Freche und heitere verbale Schlagabtausche in „Der Lawinenauslöser“: Die Uraufführung in der Inszenierung von Jurij Diez premierte am kleines theater in Salzburg.
Premieren-Fieber in Salzburg und dann handelt es sich auch noch um eine Uraufführung. Im kleines theater steht mit „Der Lawinenauslöser“ ein neues Stück von Anna Burzynska auf dem Programm. Die gebürtige Polin ist nicht nur Professorin für Literaturtheorie in Krakau oder literarische Leiterin des Juliusz-Słowacki-Theaters ebendort. Nein, sie zählt auch zu den zuverlässigsten Komödien-Quellen am kleines theater in Salzburgs Landeshauptstadt. Ihre Stücke sind meistens pechschwarz, zuweilen speziell und tief drin immer heiter.
In aller Plot-Kürze
Voller Vorfreude wartet Judith auf die Heimkehr ihres Mannes. Zur Feier des runden Ehejubiläums hat sich die Angetraute extra in Schale geworfen und der Braten schmort auch schon im Rohr. Als sich die Haustüre öffnet, steht allerdings nicht ihr Göttergatte in der Tür, sondern ein Unbekannter. Äußert zumindest die Protagonistin; doch der seltsame Fremde lässt nicht locker und entführt Judith auf eine recht unerbauliche Reise in ihre Vergangenheit, die dunkle Kuriositäten zu Tage befördert und die geplanten Feierlichkeiten mit ihrem Mann beginnen sich in Schall und Rauch aufzulösen.
Achtung, Lawine rollt
Die Stimmung ist vergnüglich, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Saal. Es scheint fast so, als wisse das Publikum, was es erwartet. Dazu bedarf es keiner Glaskugel. Tatsächlich ist das Ensemble mit Judith Brandstätter und Jurekt Milewski voll Anna Burzynska erprobt. Die beiden standen schon für ziemlich alle Stücke der Autorin auf der Bühne, die bisher in Salzburg aufgeführt wurden. „Der Lawinenauslöser“ stellt insofern eine Ausnahme dar, als erstmals Jurij Diez Regie führte. Damit erhält die Inszenierung eine latent comic-hafte Note. Michail Bachtins Lachkultur als moderne Gegenkultur?
Zumindest findet Wickie aus „Wickie und die starken Männer“ Eingang, wenn Judith (Judith Brandstätter) zur Ideenfindung immer wieder die berühmte Gestik aus Nachdenken und Ich-habs-Schnipsen bemüht. Eine humorige Stilisierung, die das dankbare Publikum genauso abholt wie das akzentuierte Beiseitesprechen der Protagonistin, regelmäßig eingeläutet durch konspirative Handverschränkung und veränderte Lichtstimmung. Beides wird phasenweise bis zum Exzess durchgeführt oder lange Strecken ad acta gelegt. Eine feine Abwechslung, auch wenn hier weniger und dafür regelmäßiger tatsächlich mehr gewesen wäre.
Humorkeule „Der Lawinenauslöser“
„Ana hat immer des Bummerl“? Jurek (Jurek Milewski) hat es gleich doppelt und dreifach. Der Schauspieler spielt den geknechteten und gemobbten Ex-Schulkollegen von Judith genauso gruselig und ambivalent wie später… ach, das Ende soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Für die perfekte Psychopathen-Optik sorgen jedenfalls Kostüm, Ausstattung und eine adrett nach vorne gekämmte Haarpracht sowie der eine oder andere exzentrische Einfall. Judith Brandstätter hingegen findet sich einmal mehr in ihrer Paraderolle der Femme fatale, die sie so nonchalant wie elegant aus dem Ärmel schüttelt. Frech und aufmüpfig die Schlagabtausche mit Entführer Jurek, bei der der naiv-rebellischen Protagonistin bisweilen das Mundwerk abhanden kommt. Für die derbe Würze der so gar nicht subtilen Komödie sorgt dann das Vokabular mit zahlreichen, ebenfalls so gar nicht dezenten, dafür aber vorsätzlichen Versprechern.
Gut, die derbe Richtung ist unerwartet und ja, ein Ventil zum Drosseln wäre auch an dieser Stelle von Vorteil. Dafür ist dieser „Lawinenauslöser“ zeitgenössisch. Dann nämlich, wenn Täter und Opfer auf überdrehte Weise die Rollen wechseln und zu unerwarteten Einsichten gelangen. Lässt sich an dieser Stelle gar von Genderfluidität sprechen? Nein, das Repertoire ist beschränkt und so richtig woke geht es auf der Bühne des Theaters auch nicht zu. Dafür nutzte Regisseur Jurij Diez die Chance, einmal auch etwas ernster zu sein, wodurch die Inszenierung Psychothriller Analogien erhält. Keine Angst, der Stimmungswechsel ist nur von kurzer Weile. Das Pechschwarze und das Humorige sind eine zu verlässliche Komponente, die „Der Lawinenauslöser“ voll auskostet. Es wird gelacht, vom Gros des Publikums sogar schallend – und mit dem Lachen folgt vielleicht die eine oder andere Erkenntnis. Frei nach Michail Bachtin, sehr frei.
Fotonachweis: Kilian Kovacs
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