Unruhe im Königreich Popo, der Prinz will die Prinzessin von Pipi nicht heiraten. – Georg Büchners „Leonce und Lena“ ansprechend von Caroline Ghanipour am Landestheater Salzburg inszeniert.
Schon einmal aufgefallen, wie viele literarische Titel eigentlich mit Alliterationen auf Namen beginnen? „Kasimir und Karoline“ – „Leonce und Lena“ – „Laura und Luis“ – „Bernard und Bianca“. Nun gut, bei letzteren beiden handelt es sich um Kinderfernsehserien und vermutlich sind es dann vielleicht doch nicht ganz so viele. Aber an dieser Stelle immerhin zwei.
Georg Büchners LEONCE UND LENA ist eigentlich vor allem dem Zufall gezollt. Der politisch engagierte junge Literatur litt unter Geldmangel. Das erstaunt wenig, wenn man bedenkt, dass Büchner gemeinsam mit Friedrich Ludwig Weigel die politische Flugschrift „Der Hessische Landbote“ verfasste und unter das Volk brachte. Grund genug für die Obrigkeit, einen Haftbefehl gegen ihn zu erlassen und den jungen Geistesmenschen in die Flucht zu treiben. Dort lebte es sich, so darf angenommen werden, relativ ungemütlich und ziemlich mangelhaft. Als der Cotta-Verlag 1836 zum Preisausschreiben für ein Lustspiel aufrief, schickte Georg Büchner deshalb „Leonce und Lena“ ins Rennen. Nur leider übersah er den Einsendeschluss, weswegen sein Text ungeöffnet retour kam, posthum erschien und erst Jahre später seine volle Wirkungskraft entfaltete. Denn unter der banal heiteren Lustspielschale versteckt sich ein satirisch höchst brisanter Kern.
Diesen satirisch höchst brisanten Kern ins rechte Licht zu rücken, machte sich Caroline Ghanipour (Inszenierung) zur Aufgabe und schuf mit Peter Engel (Ausstatter) eine neue, zeitgenössische und sehr jugendlich hippe Version des Büchner’schen Klassikers. Der Salzburger Schwerpunkt liegt dabei auf den politischen Aspekten von LEONCE UND LENA, die mit viel Liebe zum Detail herausgearbeitet wurden und durch das nüchtern klare, trist graue Bühnenbild eine hervorragende Doppelung erfahren. Das entpuppt sich dank zahlreicher Türen und Türchen als höchst divergent und spiegelt das duodezhöfische Fürstentum auf höchst pointierte Art und Weise. Der Zwergenstaat trifft auf eine zwergenhaft anmutende Kulisse, komplett mit reduziertem Stuhl. König Peter vom Königreich Popo möchte seinen Sohn mit der Prinzessin von Pipi verehelichen. (Übrigens Büchners Chiffre für Darmstadt – die Analogie dazu darf jede*r selbst ergründen. 😉 ) Das gefällt dem von Weltschmerz und Langeweile geplagten Prinzen keinesfalls und er flüchtet gemeinsam mit Diener Valerio nach Italien. Ungefähr genauso wenig erbaut von ihrer Opferrolle ist Lena, die mit ihrer Gouvernante ebenfalls zu unbekannten Ufern aufbricht. Problematisch nur, wenn man sich in einem so kleinen Staat befindet, dass man von einer Grenze zur anderen sehen kann und unweigerlich aufeinandertrifft. Dafür erkennt man sich immerhin nicht; die beiden entflammen unbekannterweise füreinander und schwuppdiwupp befinden wir uns mitten in der köstlichen Prinzen- und Zeremionalsatire. Valerio vermittelt an die väterliche Front, als Lohn winkt ihm ein höfisches Amt.
Das literarische Anspielungstableau von Büchners LEONCE UND LENA scheint unerschöpflich und das erfreut vermutlich nicht nur das Germanistinnenherz. Das breit gefächerte und archetypische Figurenensemble wird in Salzburg voll ausgespielt und der Wiedererkennungswert ist dementsprechend hoch. Walters Sachers kann dabei als philosophischer König begeistern, der sich bereits in seiner Materie verloren hat und in geistig verwirrtem Zustand nur noch leere Worthülsen produziert. Als dezentes Echo, mit klugen Worten gezielt konternd, fungiert Axel Meinhardt. Mit Prinz Leonce schlüpft Clemens Ansorg einmal mehr in eine Prinzen-Rolle, die ihm allerdings bekommt. Jung, leidend und ziemlich viel Werther versprüht seine von Ennui und Melancholie geplagte Figur. Valerio wiederum ist der Shakespeare’sche Narr im Repertoire, die Besetzung mit Sascha Oskar Weis war deshalb absehbar, der ihm ein gewohnt mephistophelisches Moment verleiht. Zu recht, möchte man anmerken; außerdem werden Büchners Sprachjonglagen und Wortwitz durch entsprechendes Sprachkolorit charmant akzentuiert. Nur die eingestreuten karikaturesken, romantischen Anspielungen geraten ein wenig ins Hintertreffen und Prinzessin Lena (Julienne Pfeil) und ihre Gouvernante (Nikola Rudle) müssen ohne unterstützendes Bühnenbild ihr Auskommen finden. Zumindest ein unter den Arm geklemmtes Plastikblümlein und selbst gestreute weiße Papierfitzelchen verstärken den Schwärmer-Charakter der Prinzessin, die sich die Welt nach den Mustern der Hirten- und Ritterromane zurücklegt.
Dafür werden die vorhandenen satirisch-übersteigerten Tendenzen wunderbar durch die Lichttechnik unterstützt. Wenn das von Melancholie geplagte Prinzen-Herz mit leidendem Gesichtsausdruck nach mehr oder weniger Licht dürstet, dann erfolgt der abrupte Wechsel. Zu dunkel? Gut, geht auch heller. Endlich ist die Stimmung perfekt, um ausgiebig zu leiden und in gelangweiltem Elend aufzublühen. Das Los ist aber auch zu hart… „Ich habe alle Hände voll zu tun. Ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein hier dreihundertfünfundsechzig Mal hintereinander zu spucken (…).“
Ghanipours Inszenierung greift aber auch Büchners Kritik an der philiströsen Kleinbürgerlichkeit und der Marionettenhaftigkeit der Hofgesellschaft auf. Sie lässt das präsente Volk live vom Staatsmann konditionieren und das freut sich. Begeistert übt es das Fähnchen Schwenken, ehe der Staatsdiener abgezogen – der alte König benötigt ihn, um endlich zu „denken, ungestört denken“ – und durch einen neuen ersetzt wird.
Das Lachen sprudelt nur so aus dem vergnügten Publikum hervor. Bei den allerletzten Versen wird der nagend, düstere Beiton omnipräsent. Die komische Kritik an den realen Missständen hat ihr Ziel erreicht. Beruhigend. Da können dann auch getrost die Fähnchen wieder eingesammelt werden, die nächsten willigen Untertanen warten vermutlich bereits.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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