Liebe unbekannte BauarbeiterInnen,
wer frühmorgens an meiner Tür klingelt und mich dem Tiefschlaf entreißt, soll sich nicht wundern, wenn ich beim ersten Läuten eben nicht euphorisch aus dem Bett hüpfe und auf der Stelle an der Gegensprechanlage stehe. Das geht nicht. Schon aus organisatorischen Gründen nicht, weil ich mich zuerst aus der Tiefe meines Traumes emporarbeiten muss. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, ist das gar nicht so einfach. Vor allem dann nicht, wenn der Vorabend arbeitstechnisch lang und die Nacht dementsprechend kurz war. Bis ich also den Schreck verwunden habe, dass da plötzlich im Traum eine Türklingel schrill auf ihr recht beharrt und bemerke, dass ich träume und gerade im Begriff bin aufzuwachen, vergehen weitere, für Euch vermutlich wertvolle, Sekunden. Es könnten aber auch Minuten sein, so genau will ich mich da gar nicht festlegen. Irgendwann bin ich dann tatsächlich da, zurück in der Realität und nun ja, wie soll ich es ausdrücken, vermutlich nicht in der besten aller Launen. Aber auch dann springe ich noch nicht sofort aus dem Bett, sondern noch im Halbschlaf, wenn die Realität aber bereits so weit über mich hereingebrochen ist, dass ich zwischen Traum und Wirklichkeit ansatzweise zu differenzieren vermag, beginne ich zu grübeln, wer – um Himmels willen – bereits so früh bei mir auf der Matte steht. Nein, der Postbote kann es nicht sein, ich habe ja nichts bestellt. Dann erst fällt mir die Baustelle ein, die Ihr da ja einen Stock tiefer aufgezogen habt. Das wird es sein. Jetzt, es tut mir furchtbar leid liebe BauarbeiterInnen, bin ich naturgemäß noch unwilliger aufzustehen. Mir wurde außerdem ohnehin schon von väterlicher Seite ausführlich auseinandergesetzt, dass es Baustellen-Usus ist, wichtige Nachrichten an die Tür zu kleben, falls MieterInnen nicht anwesend sein sollten. Fein. Ist sie in diesem Moment tatsächlich nicht; also geistig, weil ja noch im Halbschlaf unter der Bettdecke eingerollt. Mit diesem Wissen drehe ich mich neuerlich um und genieße die wohlige Wärme meines Bettes. Sollt Ihr doch von mir aus ein Gerüst aufbauen, wieder einmal den Strom kappen (halt nein, das nehme ich zurück) oder das Wasser abstellen, gerade in diesem Moment kümmert mich das wirklich nicht. Doch während ich vergeblich versuche, neuerlich in die Tiefen meines Schlafes abzutauchen, höre ich plötzlich etwas. Mitunter ist es ein Nachteil, liebe BauarbeiterInnen, über ein exzellentes Gehör zu verfügen. Andererseits versorgt mich das auch unaufgefordert mit wichtigen Informationen. Deshalb erreicht mich auch alsbald Euer pikiertes „die ist auch nicht da“ Gemaule durch das geöffnete Fenster, das sich wohl seinen Weg über zwei Etagen bis zu mir ins Bett gebahnt hat. Natürlich ist „die“ auch nicht da. „Die“ hatte ja auch einen längeren Abend als ihr. Übrigens bedankt sich „die“ an dieser Stelle dennoch für den Aufweckservice, den sie zwar anfangs nicht wirklich zu schätzen wusste, spätestens nach dem endgültigen Aufstehen aber doch noch goutieren kann. Immerhin lässt die unfreiwillige Frühschicht das Arbeitspensum ganz beachtlich schrumpfen. In echt jetzt. Merci.
Eure Die.
NB: Als Hobby – Miss Marple habe ich mittlerweile auch den Grund für Euer frühes Anläuten entdeckt, zumindest glaube ich das. Nachdem keine Notiz vor meiner Tür war und ich irgendwann einen Lastwagen vernommen habe, der auf den schmalen Parkplatz hinterm Haus einparken wollte, war mir klar, dass Ihr eigentlich nur potentielle GaragenmieterInnen warnen wolltet, ihre Autos umzuparken, bevor Euer LKW sie für heute einparkt. Das ist wirklich nett von Euch. Ich bin beinahe schon gerührt. Vorschlag: Beim nächsten Mal versucht das aber doch einfach mit einem Aushang am Vorabend zu klären, okay? Das wäre in der Tat ziemlich sozial. 😉
by