Uraufführung „Mitterbachkirchen“ am kleines theater
Dörfliches Panoptikum mit hohem Unterhaltungswert: Peter Blaikners MITTERBACHKIRCHEN feiert in der Regie von Cornelius Gohlke Uraufführung.
Ein Bürgermeister und die einflussreichste Wirtin im Ort, die bevorzugt in die eigenen Taschen wirtschaften. Ein Agenturinhaber, der auf windige Geschäfte spezialisiert ist und eine neugierige Nachbarin mit allzu weißer Weste. Für sein neues Stück musste Peter Blaikner nicht sonderlich tief in der Vorurteilskiste kramen. Die Klischees sitzen, wackeln und haben Luft und werden gleichzeitig noch mit dem einen oder anderen politischen Skandälchen garniert.
Verbaler Schabernack
Die temporeiche Inszenierung von Cornelius Gohlke sorgt dafür, dass im dörflichen Idyll der sprachaffine Bär steppt. Ganz in Blaikner-Manier frönt MITTERBACHKIRCHEN dem Humor; von kalaurigen Pointen über heitere Wortspiele bis zu verbalem Schabernack. Es könnte alles so herrlich seicht sein. Ist es aber nicht. MITTERBACHKIRCHEN kommt nur vordergründig als Bauerntheater daher, das mit Vorliebe Lexemen wiederholt und mit Syntax jongliert. Hinter all dem Klamauk und Dialektgeplänkel verbirgt sich genauso verlässlich eine Gesellschaftssatire samt Botschaft.
Multitasking
Das Team ist überschaubar und die meisten Schauspieler*innen mit mehreren Rollen bedacht. Sehr gelungen bereits die Eingangsszene, wenn Wirtin Erni (Gaby Schall) und Mitterbachkirchnerin Anni (Judith Brandstätter) die Köpfe zusammenstecken und öffentlich lästern. Über den Bürgermeister (Peter Blaikner), der es bei seiner Rede nicht so mit dem Gendern hat und gegen das weibliche Suffix rebelliert. Tiefenentspannt verhaspelt er sich immer wieder und brummelt lästerlich vor sich hin.
Ebenfalls gelungen, wie Gaby Schalls Erni die eigenen Interessen verfolgt. Mit hartnäckiger Besessenheit reißt sie sich den „berühmten Schauspieler aus Hollywood“ unter den Nagel und entführt ihn in ihr Hotel. Dass sie den Bürgermeister in benebelten Zustand in einem ihrer Zimmer antrifft, kein Grund zur Sorge. Lieber nutzt die emsige Geschäftsfrau die Chance, ihm endlich den Namen der Künstleragentur des Amerikaners zu entlocken. Als gottesfürchtige Waltraud frömmelt die gleiche Schauspielerin im Anschluss vorzüglich. Wunderbar, als ihr der Heilige Joseph erscheint (Daniel Pink als niesende Heiligenerscheinung mit voluminöser Perücke).
Lästerschwestern
Anni (Judith Brandstätter) reicht ihrer Kontrahentin Erni in Sachen Lästereien absolut das Wasser. Immer auf der Suche nach einer neuen Versicherung ist sie dem Bürgermeister dicht auf den Fersen und steigt schließlich sogar ins gleiche Hotelzimmer ein. Als ihr der Bürgermeister am Krankenbett ein folgenschweres Mitbringsel beschert, bleibt kaum ein Auge trocken. Plötzlich ist die quirlige Anni gar nicht mehr sooo übersprudelnd, sondern lamentiert theatralisch und sehr humorvoll.
Als russische Oligarchin setzt die Schauspielerin auf affektierte Gebaren, überdrehten Akzent und stolpert ständig über parallele syntaktische Strukturen – frei nach dem Motto, je höher die Absätze, desto kürzer die Hauptsätze. Hier wird jedes böse Klischee bedient und die Ibiza-Warnglocken läuten längst Sturm. Da wäre der erklärbärige Hinweis ihres Chefs Sedlacek gar nicht notwendig gewesen, doch bitte auf saubere Nägel zu achten (Daniel Pink stark wienernd, aalglatt und mit amüsantem VerFührer-Fetisch). Gleichzeitig ist Judith Brandstätters Olga in ihrer Naivität und Kindlichkeit extrem liebenswürdig und hat selbst mit dem Bürgermeister Mitleid. Der bereut die Geister, die er rief alsbald auf herrlich amüsante Weise.
Variable Kulisse
Daniel Pink setzt für seine Figuren auf unterschiedliche Soziolekte. Für den Sedlacek wienert er euphorisch, nasal und mit unsäglich viel Charme, der bald zur Stolperfalle wird. Der angeblich berühmte Hollywood-Schauspieler wird mit ominösem Sprachfehler ausgestattet, den Pink konsequent durchexerziert und Judith Brandstätters Anni liebevoll spiegelt. Als besonders effektiv entpuppt sich das Bühnenbild. Während die einen emsig Schreddern, noch so eine skandallastige Anspielung, blättern die anderen. Für Letzteres tauchen die Schauspieler*innen auch aus ihren Rollen auf. Das sorgt für Authentizität und Volksnähe – und das wiederum passt zum dörflichen Panoptikum mit dem großem Unterhaltungswert und den politisch absolut unkorrekten Rollenbildern.
Fotonachweis: Christian Streili
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