Nathan-to-go am Schauspielhaus Salzburg
Ein Klassiker auf Augenhöhe, ganz ohne Risiken oder Nebenwirkungen: Jérôme Junod inszenierte „Nathan der Weise“ am Schauspielhaus Salzburg allgemein bekömmlich und laut.
Wenn man so will, ist Lessings „Nathan der Weise“ ein feuriger Revoluzzer der Aufklärung, ein streitbarer Rebell im Dienste von Humanität und Toleranz. Mit seinem Stück verhalf der Bibliothekar aus Wolfenbüttel nämlich nicht nur dem ungereimten fünfhebigen Jambus zum Durchbruch, nein, er umging auch elegant eine an ihn verhängte Zensur wegen religiöser Streitigkeiten. „Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.“ Wollte man – und das mit sehr großem Erfolg bis heute.
In Salzburg inszenierte Jérôme Junod (Regie) mit Julia Thym (Dramaturgie) den wohlbekannten Kanon-Stoff auf schnörkelloser Bühne (Agnes Hamvas) und schnitt sich dabei ein appetitliches Stück vom aufmüpfigen Originalgedanken ab. In diesem „Nathan der Weise“ wird so meinungsstark kommuniziert, dass den Besucher:innen selbst im letzten Eck noch die Ohren schlackern dürften. In gemäßigtem Ton parliert hier nur Nathan selbst (Olaf Salzer), der mit einer Brise Ironie über den Dingen steht und sich niemals aus der Ruhe bringen lässt. Mit Bedacht schreitet die Figur über die Bühne und bringt mit freundlicher Gelassenheit selbst den stärksten Antisemiten ins Wanken.
In aller Plot-Kürze
In „Nathan der Weise“ dreht sich alles um die drei Weltreligionen, die sich selbstverständlich – der Mensch ist unbelehrbar – bereits im 18. Jahrhundert schon feindlich gegenüberstanden und keinen Widerspruch in der eigenen Bedeutung duldeten. Zumindest bis Nathan mit seiner Ringparabel ihre rigide Frömmigkeit auf die Probe stellt. Übrigens ein Überbleibsel aus dem 14. Jahrhundert, Lessing orientierte sich hier an Boccaccios „Decamerone“ – und wir lernen, was wir ohnehin schon wussten: Religiöse Differenzen sind zeitlose Klassiker.
Jérôme Junod setzt am Schauspielhaus zwar auf die Originaldialoge und zeigt wunderbar vor, wie schön sich der fünfhebige Jambus modern inszenieren lässt, zugleich greift er zu starker Überzeichnung. Das Resultat ist ein punkiger „Nathan“, der ein breites Publikum für sich einnimmt und mit seiner rebellisch-komischen Note bei jungen Besucher:innen voll einschlagen dürfte. Zugleich rutscht das gelungen komprimierte Schauspiel szenisch etwas zu sehr ins humorige Tal ab und bleibt bisweilen im Sumpf der Lachkultur stecken.
Slapstick-Overdose bei „Nathan der Weise“
Während Daja (Sophia Fischbacher als emsige Christin), der Klosterbruder (sich köstlich selbstkasteiend: Enrico Riethmüller), Al-Hafi (überall und nirgendwo: René Eichinger) und Sittah (1001 Nacht glamourös: Kerstin Maus) die feine Grenze zwischen Humor und Klamauk beherrschen, wirkt das Spiel des Tempelherrn (stoisch fokussiert: Marvin Rehbock) zu abgehackt. Dieser Christ stakt wie aufgezogen über die Bühne und blafft jeden an, der es wagt, ihn zu adressieren; er scheint mehr Golem als Mensch zu sein.
Nathans Tochter Recha (Julia Rajsp) indes beweist Situationsflexibilität. Zuerst vergeblich in einen Engel verliebt, dann in den sterblichen Tempelherrn, übt sie sich in Reduktion. Dadurch wirkt die Szene der frisch Verliebten am Hof, die erfahren, dass sie Bruder und Schwester sind, umso abrupter. Die kalte Dusche trifft auch das Publikum. Hier wäre weniger Slapstick sehr förderlich gewesen. Reduzierter im Klamauk ist der glitzernde Saladin (Benjamin Muth). Beim Muselmann funkelt nicht nur die Hose, sogar die Musik greift orientalische Klänge auf (wunderbar arrangiert von David Lipp).
Toleranz geht uns alle an
„Nathan der Weise“ ist auch 2024 noch ein höchst aktuelles Plädoyer für mehr Nächstenliebe und weniger starre Frömmigkeit. In diese Kerbe schlägt auch die Ausstattung mit ihren zeitlos entrückten Kostümen, die überall und nirgendwo angesiedelt sein könnten. Eigentlich ein schönes Versprechen an das Spiel rund um den weisen Mann; und seien wir ehrlich, mehr Toleranz, weniger Vorurteile und einfach nur Mensch sein, das geht uns doch alle an. Auch wenn „Nathan der Weise“ aktuell bereits abgespielt ist. Keine Bange, ab dem 25. März geht das Schauspiel in die zweite Runde.
Fotonachweis: Salzburger Schauspielhaus / Jan Friese
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