OUT OF ORDER: Ensemble Forced Entertainment

Out Of Order – Forced Entertainment | SommerSzene

Unendliche Clown-Weiten.

Bis wieder jemand weint. Bei OUT OF ORDER scheint das durchaus möglich und trotzdem kann sich das Publikum vor Lachen kaum halten. Sehr gelungene Performance mit perfide versteckter Gesellschaftskritik.

Clowns haben es fein. Sie können nach Herzenslust die Wahrheit verkünden und werden (fast) immer auf lachende Gesichter stoßen – Stephen Kings Es und Clownphobiker ausgenommen. Den Freibrief verdanken die heiteren Gesellen ihren närrischen Vorfahren. Gleichzeitig bietet das Spaßmacher-Privileg großartiges Potential für Gesellschaftskritik. Darauf setzt das Performance-Kollektiv Forced Company. Die englische Künstlergruppe hat ebenfalls Tradition. Vielleicht keine mittelalterliche, aber auf stolze Dreißig+ bringt sie es trotzdem. In dieser Zeit etablierte die Company ein Konzept des genreübergreifenden Arbeitens. Theater, Installationen, Performance und Medien verweben sich in ihrem Schaffen zu einem Werk. Für das Programm OUT OF ORDER streifte sich das Kollektiv die Narrenkappe über und treibt während der SommerSzene bösen, treffsicheren Schabernack (Regie: Tim Etchells, konzipiert und entwickelt von der Kompagnie).

Lachen ist gesund. Wirklich?

Draußen befindet sich das Thermometer auf der Hitzerekord-Zielgeraden und kennt dennoch kein Erbarmen. Drinnen tragen die Clowns rote Glencheck-Anzüge, traurige Mienen und ebenfalls kein Mitgefühl zur Schau (Robin Arthur, Nicki Hobday, Jerry Killick, Richard Lowdon, Cathy Naden & Terry O’Connor). Während sie gelangweilt am Tisch sitzen und die Zeit totschlagen, ertönt Patti Austins „Someone’s Gonna Cry“. Der Song ist wörtlich zu nehmen und bildet den Auftakt zu Dauerschleife (und Ohrwurm).OUT OF ORDER: Ensemble Forced Entertainment Erstere manifestiert sich nicht nur im musikalischen Arrangement, sondern auch in der düsteren, gesellschaftskritischen Abwärtsspirale, die der Song in Aktion setzt. Das eigentlich Erstaunliche daran, die Kritik ist so perfide unter der vorgeblich heiteren Fassade verborgen, dass sich der Saal vor Lachen biegt, aber kaum jemand Anstoß am wenig schmeichelhaften gesellschaftlichen Spiegel zu nehmen scheint.

Clowneskes Metaversum

Tatsächlich verbirgt sich hinter der humorig-dusseligen Fassade der traurigen Clowns keine Metawelt, sondern gleich ein ganzes Metaversum.OUT OF ORDER: Ensemble Forced Entertainment Diese unendlichen Anspielungsweiten sind außerordentlich klug verpackt. So zeigen sich erste Anzeichen der gesellschaftlichen Verrohung, wenn sich die Clowns in ihre vordergründigen Langeweile streitlustig aufeinander stürzen und schwer wieder zu trennen sind. Der Narzissmus schlägt mit der Habgier Wurzeln. „Meins, meins, meins“, kreischen die stummen Figuren in Nemo-Möwen-Manier, während sie panisch Stühle oder Tisch umklammern und so lange über die Bühne schleppen, bis sie zusammenbrechen. Mitgefühl? Können die Clowns voneinander nicht erwarten. Sie ernten lediglich erstaunte Blicke der närrischen Kollegen, die gnadenlos weiterlaufen – immer in der eingefahrenen Routine, im alten Trott. Eine auf Leistung getrimmte Gesellschaft könnte kaum schöner gespiegelt werden. Das trifft auch auf die clowneske Zombiekalypse zu, die mit starren Blicken überzeugt und einmal mehr die Ich-Zentrierung in den Fokus stellt. Auszubrechen wagen nur die wenigsten und werden prompt verstoßen.

Einhundert Prozent OUT OF ORDER

Während Luftballons über die Bühne sausen und das Publikum johlt, steht die Leistungsgesellschaft auf dem Prüfstand. Jeder will den anderen überbieten und ihm mit den bunten Plastikdingern eine lange Nase drehen. Dass die Aggressivität temporeich eskaliert, scheint eine logische und gelungene Konsequenz. OUT OF ORDER: Ensemble Forced EntertainmentAuch das Ensemble von OUT OF ORDER verausgabt sich sprichwörtlich. Traurige Clownsmasken lösen sich in Schweiß auf, der an diesem Abend dank extremer Temperaturen in Strömen fließt. Die Schauspieler*innen beweisen trotzdem bewundernswerte Kontenance kombiniert mit vollem Körpereinsatz. Der Tisch wackelt bedenklich, wenn die einen den anderen darauf fixieren. Bei den regelmäßigen Bühnen-Jagden vibriert der Boden verdächtig.

Sommerputz

Tatsächlich ist OUT OF ORDER nicht nur Performance, sondern auch sehr viel Theater. Man möchte es kaum glauben, aber im Aufbau gleicht das Programm einem klassischen Drama. Die Spannungskurve arbeitet sich von der Exposition und Patti Austins „Someone’s Gonna Cry“, über das erregende Moment bis zum Höhepunkt und fällt mit der Peripetie und Strauss‘ „Donauwalzer“ schlagartig ab. Es folgen retardierendes Moment und Katastrophe auf den Fuß, Patti Austin is back. Das Lachen ist dem Publikum ebenfalls noch nicht im Hals stecken geblieben. Aber wie verkündete bereits Michail Bachtin? Karneval ist das Ventil des Volks und das gilt offensichtlich auch für die Clowns der Moderne. In diesem Sinne, fröhlichen Sommerputz!

 

Fotonachweis: Bernhard Müller

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