Es fliegen die Wörter, es frohlocken die Musen: Zu Gast beim obligatorischen „Poetry Slam“-Event in der ARGEkultur in Salzburg.
Viele tun es neuerdings und einige davon sind an den hochgekrempelten Hosen mit den hervorblitzenden Socken und dem beinahe identen Schuhwerk zu erkennen. Aber auch vor 2016 war Poetry Slam (engl. für „Dichtung“ und „Wettstreit“) bereits in aller Munde, freilich hieß es da noch anders; von „Agonen“ (griech. für „Streit“, „Wettkampf“) war bereits in der Antike die Rede. Francesco Petrarca ließ die Tradition im 14. Jahrhundert wieder aufleben und schuf gleichzeitig seine ganz eigene Variation, die literarische Dichterkrönung. Dafür verwob er die bereits bekannte laureatio mit den römischen Triumphzügen zur Ehrung siegreicher Feldherren und behauptete ganz einfach, dass diese auch Dichter inkludierten; Lorbeerkranz inklusive. Petrarcas Neuinterpretation ward geboren und seine Überlieferung der eigenen Dichterkrönung, deren Wahrheitsgehalt tatsächlich natürlich unbestätigt bleibt, klingt verdächtig nach Poetry Slam.
Die vornehmsten Bürger der Stadt Rom werden aufgerufen und finden sich ein; der Kapitolsplatz ist voller fröhlicher Stimmen; man könnte meinen, selbst die Mauern und antiken Gebäude freuten sich; Trompeten erklingen; das Volk strömt herbei und raunt in Erwartung des Spektakels. Ich sehe, wenn ich mich nicht täusche, Tränen im Herzen der Freunde, die vor Anteilnahme tief bewegt sind. Ich steige den Hügel hinan. Die Trompeten verstummten, der Lärmt legte sich. Meiner Rede stellte ich einen Virgil-Vers voran, der mir gerade in den Sinn kam, doch ich sprach nicht lang, denn dies widerspräche den Gepflogenheiten der Dichter und verletzte die Rechte der Heiligen Musen, die ich vom Parnass entführt hatte, um sie für einen kurze Zeit in der Stadt, unter dem Volk, festzuhalten. Nach mir spricht Orso, ein ausgezeichneter Redner. Er setzt mir schließlich den delphischen Lorbeer aufs Haupt, während ringsum das römische Volk applaudiert. (Ep. Metr. II 1; Ü PK)
In der ARGEkultur treffen mehr Menschen im Studio ein, als Stühle vorhanden sind. Also sitzt der Rest ganz einfach und zwanglos am Boden. Das sorgt schon einmal für das richtige Flair, das durch locker flockige Moderation (Ko Bylanzky), ungezwungene DJ-Klänge (DJ Twang) und harmonische Beleuchtung auch noch entsprechend unterstützt wird. Die Auftritte der einzelnen „Poeten“ werden ausgelost und geboten wird so einiges.
(1) Nur Selbstgeschriebenes, (2) in 7 Minuten Redezeit und (3) ohne Requisiten. – Das Poetry Slam-Regelwerk ist konzis, überschaubar und mutet eingangs etwas harsch an. 7 Minuten Redezeit? Das schmerzt die wortaffine Verfasserin dieser Zeilen, ist sie sich doch selbst der Schwierigkeit kurzer Texte bewusst. Andererseits… intime Geständnisse, Träume und Fiktion können sich binnen 7 Minuten auch wahnsinnig dehnen, deshalb lehnen wir uns an dieser Stelle lieber entspannt zurück. Okay, ganz so entspannt dann doch auch wieder nicht, denn das Publikum wird in die Pflicht genommen. Es oszilliert zum Stimmungsbarometer und dadurch zur Jury, die am Ende den*die Sieger*in kürt. Das mag den leichten Beigeschmack etwaiger Casting-Formate tragen, allerdings garantiert es auch ein gewisses Mitbestimmungsvotum, dem je nach Belieben mehr oder weniger lautstark Stimme (oder Hand oder Fuß) verliehen werden kann, darf und sollte. Doch wer hätte ahnen können, dass so eine Entscheidung mitunter gar nicht so leicht zu fällen ist? Die dargebotenen Texte sind jede*r für sich spezielle Kreationen, mit mannigfaltigen Vorzügen und besonderen Eigenheiten, die es zu würdigen gilt. Soll man jetzt also für den Text mit dem verhinderten Komponisten (Laurin Buser) stimmen oder doch lieber für die Ayşe-Interpretin (deren Name mir – mea culpa – leider abhanden gekommen ist, deren Text aber ziemlich beeindruckend war), für den Salzburger und sein Salam Aleikum (Xaver), den literaturwissenschaftlichen Fabel-Exkurs und die Metapher mit der Diddl-Maus (Sven Kemmler) oder doch den Wutbürger aus Hessen (Florian Cieslik) und die Heldin aus Darmstadt (Jule Weber) oder für… ?
Gewissenskonflikte scheinen vorprogrammiert, zumal die Qualität der Texte (meistens) relativ hoch ist und sich manche*r Sprecher*in als wahres Sprachtalent mit prägnanter Stimmführung und Entertainerqualitäten entpuppt. Dass nicht mehrere Slammer*innen gleichzeitig ins Finale einziehen können, ist in dieser Entscheidungsfindungsphase definitiv zu bedauern, zumal sich die zweiten Texte dann doch qualitativ von den bereits davor dargebotenen unterscheiden können.
Die Stimmung ist ausgelassen, die Courage und das Engagement der Poetry Slammer wird in allen Fällen bewundert, die Eloquenz der erfahrenen Teilnehmer*innen bestaunt. Kann man das eigentlich auch beruflich machen? Vermutlich nicht, aber vielleicht sollte sich das doch noch etablieren. Wie war das nochmals mit den Dichterwettbewerben in der Antike?
Den Lorbeerkranz (aka 2 Champagner-Flaschen) teilten sich an diesem Abend übrigens S. Kemmler und L. Buser, während das anwesende Volk begeistert Applaus spendete. Nur das mit den Tränen der Freude konnte dann doch nicht live beobachtet werden. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden; beim nächsten Mal dann, oder so. 😉
Fotonachweis: ARGEkultur
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