„Schäfers All“ an der ARGEkultur
Major Schäfer an Ground Control: Völlig losgelöst schwebt Ingrid Adlers Sci-Fi-Inszenierung SCHÄFERS ALL durch das Studio der ARGEkultur. Dystopisch anders.
Wir leben in temporeichen Zeiten. Am laufenden Band wird an humanoiden Robotern gebastelt, die Unsterblichkeit soll 2045 mit Hologram-ähnlichen Avataren vor der Tür stehen und erst diese Woche wurde die Sichtung einer zweiten Erde bekanntgegeben. TOI 700d – so heißt der Erden-Cousin – ist total nah, schlappe hundert Lichtjahre entfernt. Wer jetzt schon Koffer packen möchte, sollte allerdings lieber noch einmal innehalten und sich von Ingrid Adlers SCHÄFERS ALL inspirieren lassen. Die Koproduktion mit der ARGEkultur greift kassandrahaft diese und ähnliche Topoi auf und zelebriert „future now“ auf ganz eigene, dystopische Weise.
In aller Plot-Kürze
Astronautin Schäfer fliegt mit einem Raumschiff durch das unendliche Weltall. Mit an Bord befindet sich nur ihr genetisches und geistiges Material, auch liebevoll Kinder und Content genannt. Das entspricht dem Zeitgeist, dem Schäfer mit ihrer Mission den Rücken zukehrt. Als leibhaftige Eva-Personifikation gibt es kein Zurück für sie. Will sie auch gar nicht. Die Artificial Intelligence an Bord, kurz Liv genannt, optimiert rund um die Uhr und kreiert eine ganze eigene Welt, die sich nur um Kapitän Schäfer dreht. Relativ rasch geschehen seltsame Dinge an Bord, die die resolute Raumfahrerin langsam an ihrem Verstand zweifeln lassen.
Perfekte Imperfektion
Tatsächlich und gerade in Bezug auf die Entdeckungen der letzten Zeit beweist sich SCHÄFERS ALL als sehr Gegenwarts-affines Theaterstück. Die Mittel dafür sind denkbar einfach (Bühne: Resa Lut, Ingrid Adler, Video, digitales Puppenspiel: Resa Lut, Musik: Roger Egli, Kostüm:Veronika Müller-Hauszer).
Genau diese Imperfektion und Gemachtheit verleiht der Regiearbeit von Ingrid Adler allerdings auch seine schräg durchgeknallte und charmante Note. Hier wird nicht aalglatte Perfektion betrieben. Lieber werden Sci-Fi inspirierte AI-Bilder einer fiktiven Figur namens Astred (Katharina Paul), die persistent an Fenstern steht und Kaffee trinkt, auf Leinwände aus Papier projiziert. Aber selbst diese Figur ist weit entfernt von Perfektion. Immer wieder wird sie adaptiert, um den Wünschen von Kapitän Schäfer zu entsprechen. Aus Tag wird Nacht, aus Nacht wird Tag, der Kaffee sitzt und konspirativ überdreht grinst Astred in die Kamera.
Jonglieren mit Metaebenen
Wer genau hinhört, kann das Klicken der Maus vom Technikpult vernehmen, das die AI-Bilder springen lässt. Auch das fügt sich homogen ins große Ganze ein. Schäfer selbst wird mit ihrem Alleinsein konfrontiert. Umgeben nur von Bordsystem Liv und ihren Tech-Features, wird an Sophie Hicherts Figur Zukunftskritik und menschlicher Größenwahn paradigmatisch durchexerziert.
Es sind die Tech-Features, die die Figur in ihrer Isolation in den Wahnsinn treiben. Leichte Zweifel schleichen sich ein, Geräusche tauchen plötzlich auf, die nur Schäfer selbst wahrnimmt. Dass sie immer nur mit Nachnamen genannt wird beziehungsweise der Vorname gar nicht bekannt ist, hebt Schäfer auf eine andere, unpersönliche Ebene. Sie kann exemplarisch für den Rest der Menschheit stehen. Auf divergierende Ebenen versteht sich SCHÄFERS ALL; mit Liv, Logbucheinträgen und Mitteilungen von der Erde schlängelt sich die Inszenierung durch die Zeit. Alsbald wird nicht nur Schäfer schwindlig, sondern auch das Publikum kämpft zunehmend mit Orientierungsschwierigkeiten, wenn die Metaebenen springen.
Völlig losgelöst: SCHÄFERS ALL
Sophie Hichert lässt ihre Figur langsam und mit immer exzessiveren Ticks und pathologischen Schüben am eigenen Verstand zweifeln. Gleichzeitig verselbstständigt sich die Artificial Intelligence, selbst Liv scheint nicht mehr einwandfrei zu funktionieren. Technik, die sich des Menschen bedient, ein wahr gewordener Albtraum? Man weiß es nicht, man kann nur vermuten. Kunst deutet hier nur an.
Ziemlich viel bleibt in SCHÄFERS ALL im Vagen. Das Ende überrascht dann aber mit gelungenem Bruch; einem Epilog, der dem Stück auf den letzten Metern neuen Schwung verleiht. Während an Bord Chaos dominiert, erfolgt statt des Blacks ein ‚Light‘. Unvermutet steht Liv als Olivia auf der Bühne und ist nicht länger Projektion. Ein spannender Aspekt, wenn man bedenkt, dass die Regisseurin beide Figuren spielt. Verfolgt man diese Idee weiter, dann könnte es auch schon immer Liv gewesen sein, die Schäfer die Richtung wies. Spätestens an dieser Stelle dürften Zuschauerköpfe potentiell qualmen. Genau das macht SCHÄFERS ALL aber auch so spannend. Humorig übrigens ebenfalls, denn der letzte Teil wird zum Stück im Stück, mit einer Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielen könnte und zur Astronautin wird. Oder doch vice versa? …
Fotonachweis: Wolfgang Lienbacher
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