The Complete Works of William Shakespeare (abridged)

The complete works of William Shakespeare (abridged) – International Theatre Salzburg

Be to not or be to: Wer immer schon einmal Shakespeares gesammeltes Werk lesen wollte, gerne auch rückwärts, ist bei „The Complete Works of William Shakespeare (abridged)“ genau richtig. Liebevoll eingekocht auf 97 Minuten, punktet diese Komödie mit frechen Dialogen, literarischen Übersteigerungen und psychologischen Einblicken.

Dieses ganz besondere Gefühl von West End wabbert durch die ausverkauften Reihen der Kammerspiele in Salzburg. Richtig, sie sind zwar 1.031,70 km Luftlinie vom berühmten Londoner Theaterdistrikt entfernt, aber das kümmert an diesem Abend keine Publikumsseele. Auf dem Spielplan steht mit „The Complete Works of William Shakespeare (abridged)“ ein echter West End Klassiker, aufgeführt vom International Theatre Salzburg.

Das International Theatre Salzburg ist der jüngste Zuwachs in der Salzburger Kulturszene und eine Initiative des bekannten Hauses in der Schwarzstraße. Theater – davon kann es nie genug geben, und neuerdings auch in englischer Sprache. Shakespeares gesammeltes und „leicht“ gekürztes Werk ist die zweite Inszenierung der bunten Truppe, die sich – thank goodness – aus lauter Native Speakern zusammensetzt. Mindestens zwei Mitwirkende (Janna Ramos-Violante & George Humphreys) sind Teil des Ensembles des Salzburger Landestheaters. Owain Rhys Davies zwar (noch) nicht, aber so ein bisschen frisches Blut schadet bekanntlich nie. Die drei harmonieren prächtig auf der Bühne, und unter der Regie von Marco Dott geben sie sich die Pointen im Turbotempo die Klinke in die Hand.

Es, Ich, Über-Ich: Schlag nach bei Freud

Nach eigenen Angaben wurden 37 Stücke auf 97 Minuten reduziert. Nachgerechnet wurde selbstverständlich Stelle nicht, aber diesem Stück ist alles zuzutrauen. Ein bisschen Monty Python, ein bisschen Horrible Histories, sehr viel schwarzer Humor: Die Zeit rast, und mit ihr Janna, George und Owain, die mit den Ebenen jonglieren wie andere mit Bällen. Mal wird das Publikum direkt angesprochen, dann dominiert das Spiel im Spiel. Beiseitesprechen trifft auf (fast) seriöse Theatermomente, und wie formuliert es die Produktion so schön? Die Komödien von Shakespeare sind nicht annähernd so lustig wie seine Tragödien. Deshalb wird hier „Hamlet“ zelebriert, als gäbe es kein Morgen, egal ob in normaler Reihenfolge oder rückwärts. Sogar Ophelia (George Humphreys) wird tiefenpsychologisch analysiert. Wir lernen: Id, ego und super ego stehen analog für Es, Ich und Über-Ich. Unter Publikumseinsatz werden die unterschiedlichen psychologischen Kategorisierungen eingehend betrachtet – das kann man mögen oder nicht, die Lachtränen fließen so oder so.

Gerade weil so viel gelacht wird, scheint „The Complete Works of William Shakespeare (abridged)“ auch einen kleinen Bildungsauftrag zu erfüllen. Selbst wenn das Gros sehr stark übersteigert wirkt, bergen die Szenen immer auch kluge Beobachtungen. Wer könnte je dieses Macbeth wieder vergessen? Oder wie es im Stück so schön genannt wird: „The Scottish play“, in dem die Schauspieler:innen ihren schönsten – und ja, wirklich schönsten – schottischen Akzent ausgraben. Hier rollen fortan übermütig und frech die rrrrrrrrs, aber auch rote Zöpfe und Kilts haben ihren großen Auftritt. Und siehe da, es geht sogar noch kürzer. Shakespeares historische Texte werden auf ein American Football Match subsumiert. Großartig durchchoreografiert und sportlich ausgeführt von Janna, George und Owain. Auch „Othello“ als Rap erhält eine ganz eigene Note, und wie war das nochmals mit „Romeo und Julia“?

Gendergerechtigkeit bei Shakespeare

George und Owain laufen schon in „Romeo und Julia“ zu Hochformen auf, das den Anfang des heiteren 37 Werk Reigens macht. Das Erstaunliche: Sie halten die Form. Bereits an dieser Stelle zeigen sich erste Tendenzen, zum Beispiel, dass George auf Perücken und sich übergeben gebucht ist. Owain hat ein Faible für Hauptfiguren, während Janna als Sprecherin und Sidekick brilliert. In der Rolle von Oberkämmerer Polonius beweist sie obendrein Nerven aus Stahl. Millimeter um Millimeter kämpft sie sich mit Rollator im Schneckentempo über die Bühne. Als Polonius einmal aufschaut, entschlüpft ihm nur ein verblüfftes „ahhh“, weiter geht die vermutlich langsamste Rollatorfahrt der Bühnengeschichte.

Endlich erfährt auch Shakespeares Werk Gendergerechtigkeit. Im Globe Theatre in London stehen traditionell nur Männer auf der Bühne, in „The Complete Works of Shakespeare (abridged)“ werden diese und ähnliche Klischees über den Haufen geworfen. George begeistert in den weiblichen Rollen, und Janna hüpft kreuz und quer durch die Geschlechter. Die Kostüme lassen sich mindestens ebenso sportlich anpassen (Kostüme: Simon Barth). Das scheint passend für so ein herausforderndes Tempo. Besonderes Highlight: der Geist von Hamlets Vater als gigantische, aber angesagte Tennissocke – und damit auch absolut sportlich-linientreu.

Viel Lärm um alles

Das Bühnenbild des International Theatre Salzburg hat sich monochrom der Nachhaltigkeit verschrieben. Es ist auf einige Stück Wandtrenner reduziert, die vom Bühnenhimmel baumeln. Sehr effizient gedacht, denn sie lassen sich auch spielend einfach in Position bringen (Bühne: Eva Musil). Redundant scheint in dieser Inszenierung wirklich nur die Pausenunterbrechung, die so plötzlich wie ungebeten auftaucht. Nun gut, für das Publikum. Den Schauspieler:innen verschafft sie Zeit zum Durchatmen, und das dürfte auch nötig sein, schließlich sausen sie in Höllentempo durch die zahlreichen Höhen und Tiefen von Shakespeares Texten. In lauten und in leisen Tönen wird das Werk des Autors auf zwei Stunden komprimiert – und am Ende sorgt das Publikum für den Lärm. Der Applaus ist redlich verdient.
 

 

Fotonachweis: Tobias Witzgall

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