The Effect | Schauspielhaus Salzburg (c) Jan Friese

The Effect – Schauspielhaus Salzburg

Das Schauspielhaus Salzburg feiert mit dem heiter-düsteren Boulevardstück „The Effect“ die erste Premiere der neuen Spielzeit und legt kräftig vor.

Klassisch? Kann doch jeder. Das Schauspielhaus Salzburg feiert den Auftakt der neuen Spielzeit lieber mit einer zeitgenössischen Versuchsanordnung. Lucy Prebbles “The Effect” tänzelt eloquent zwischen den hauchdünnen Grenzen von Komödie und Drama. Diese Linien, so die Autorin über sich selbst, werden mit den Jahren immer dünner und dünner. Wie filigran sie bereits sein dürften, lässt sich am Schauspielhaus erahnen. Dort inszenierte Dora Schneider das pointenreiche Boulevardstück mit RomCom-Anleihen und Thriller-Qualitäten.

In aller Plot-Kürze

Zwei junge Menschen treffen im Rahmen eines Medikamententests aufeinander, der die Wirkung des Antidepressivums erforschen soll. Sie verlieben sich – und könnten so glücklich sein. Stattdessen stellen sie die Echtheit ihrer Gefühle infrage. Hätten sie sich auch ohne Dopamin-Kick ineinander verliebt? Während die beiden noch grübeln und Regeln sehr flexibel interpretieren, wird deutlich: Auch im Ärzteteam hängt der Haussegen schief.

Saubere Versuchsanordnung

Zentrales Element von „The Effect“ ist die Bühne. Dora Schneider (Regie) und Ilona Glöckel (Ausstattung) positionierten sie als großes Rechteck im Zentrum des Studios, mit Bestuhlung auf beiden Seiten. Das scheint sehr klug, denn so bleibt das übergeordnete Thema, die Versuchsanordnung, gewahrt – und zwar aus jedem Blickwinkel. In die gleiche Kerbe schlägt die Beleuchtung (Licht: Marcel Busa); wie auf dem Seziertisch werden die Befindlichkeiten und Zustände der Protagonisten präsentiert und genüsslich in kleinste Teilchen zerlegt. Homogen fügt sich da auch der gekachelt wirkende Boden ins Konzept. Verstärkend kommt die totale Überwachung hinzu, die mit Kameras und Bildschirmen festgehalten wird. Die Bühne als großes Labor, in dem selbst die Szenen klinisch-steril wechseln.

Wären die Szenen ein Reimschema, würden sie dem Muster A-B-A-B folgen. Sind sie aber nicht. Sprache nimmt in „The Effect“ dennoch eine große Rolle ein; den Schauspieler:innen, die nach allen Bühnenrichtungen spielen und immer im Fokus stehen, steht kein großes Repertoire an Ausstattung zur Verfügung. Selbst die Kostüme sind zum Gros sehr reduziert in Weiß gehalten. Nichts lenkt hier vom Wesentlichen ab. Stattdessen liegt das ganze Augenmerk auf den Dialogen, die für eine sprachliche Verdichtung sorgen, bei der jedes Wort sitzt. Geschliffen, gewitzt und mit philosophischem Potenzial fliegen die Sätze hin und her.

Lasst mich durch, ich bin Drehbuchautorin

Leonie Berner (Connie Hall) und Wolfgang Kandler (Tristan Frey) lassen ihre Figuren sich langsam aneinander herantasten. Zwei Fremde, die sich trotz jugendlicher Besserwisserei (sie) und prolliger Abgebrühtheit (er) ineinander verlieben. Während Connie als Studentin der Psychologie und Soziologie mit ihren Fragen die Psychiaterin beeindrucken möchte, hat Tristan mit seinem Imponiergehabe Connie im Visier. Es hat RomCom-Charakter, den beiden bei ihren Annäherungen zuzusehen, die Wolfgang Kandler auf eine sehr haptische Ebene führt und konsequent zelebriert. Kleine Regie-Einfälle wie die Lichtspiele am Boden und Ähnliches akzentuieren den Rosamunde-Pilcher-Charakter dieser Produktion.

Keine Sorge, das zuckersüße Schnulzendasein währt nur kurz. Sehr schnell wird deutlich, die Autorin hat jede Menge Drehbucherfahrung der dunkleren Variante. Romantische Komödie war gestern, jetzt nimmt das Drama Fahrt auf, und damit auch die Figur der Connie. Leonie Berners Spiel intensiviert sich so stark, dass es fast scheint, als wäre der Charakter für das düstere Element geschaffen. Mit Leidenschaft und Verve lässt die Schauspielerin ihre Figur am Höhepunkt der negativen Emotionen genüsslich kollabieren. Wolfgang Kandler pariert diese starken Gefühle mit genauso großer Intensität. Etwas störend wirkt das abrupte Ende der Inszenierung. Alles zurück auf RomCom?

„The Effect“ – Andeutungen und Prolepsen

Für die Thriller-Vibes sorgt auch die eingangs nur angedeutete Vergangenheit zwischen Dr. Lorna James (Tanja Kuntze) und Dr. Toby Sealey (Jens Ole Schmieder). Wie ein düsteres Damoklesschwert liegt sie über dem Erzählstrang. Wenn Toby mit dem Gehirn im rosa Plastikeimer auf die Bühne springt und wie ein amerikanischer TV-Host dort herumturnt, ist das nicht nur ein amüsanter Streich, sondern auch eine tragische Prolepse auf Kommendes. Jens Ole Schmieders Figur ist ein Mephisto im weißen Kittel, ein eloquenter Tut-nicht-gut, der unter all seinen flapsigen Albernheiten mit den eigenen Dämonen kämpft.

Tanja Kuntze verleiht ihrer Lorna eine wunderbare Tiefe und drückt dem Spiel zugleich einen intensiven Plot-Twist auf. Die Spannung wird vom Ensemble von „The Effect“ hochgehalten. Vermutlich wäre es klug, die heiteren Kuriositäten des Anfangs (Stichwort rosa Plastikeimer) nicht zu sehr zu übertreiben. In der Retrospektive brechen sie mit dem Stück, vielleicht ist das aber auch als kleiner Verfremdungseffekt intendiert, der aber das Potenzial besetzt, ungemütlich aufzustoßen. So wie der Dialog von Lorna mit dem eigenen Denkorgan. Eine Szene, die schizophrene Züge trägt, wenn man das rote Etwas auf der Bühne übersieht.

Sehr gelungen ist übrigens die musikalische Untermalung von Thomas Richter (Video: David Haunschmidt), mit dem Hang zu kleinen Details, wie dem aufgescheuchten Federvieh in der alten Psychiatrie, das wegen der beiden Turteltäubchen das Weite sucht. Getrost hiergeblieben und verweilt werden darf am Schauspielhaus Salzburg. Die neue Spielzeit ist mit dem zeitgenössischen Boulevardstück „The Effect“ eingeläutet und macht in jedem Fall Lust auf mehr.

 

Fotonachweis: Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese

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2 Kommentare

  1. Ein Antidepressiva macht keine Dauererektion,ganz im Gegenteil. Die Liebe ist durch Oxytocin induzierbar,eine Beziehung entsteht durch gemeinsames Erleben und erreichbare Ziele, das fehlt beiden Paaren und alle wirken und bleiben einsam. Ein deprimierendes Stück

    1. Author

      Ich glaube, darum gehts auch gar nicht so sehr. Die Dauererektion war für mich nur ein eher unwichtiger Seitenstrang. Die beiden haben ja gemeinsam davor einiges gemeinsam durchlebt und im Krankenhaus gibt es dann die nicht näher definierten Zeitsprünge. Für mich wirkte das Ende schon sehr, sehr Happy End mässig. Das war schon fast zu kitschig. Aber ich glaube, das ist auch das Spannende, es eben jeder anders empfindet. Die Dauererektion fand ich jetzt auch einen Punkt, der entbehrbar gewesen wäre. Ansonsten hat mich das Stück wirklich gefangen und mitgenommen.

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