„Liebling, würdest du mir eine Niere spenden?“ Mit dieser Frage stellt Jérôme Junos Inszenierung DIE NIERE das Studio des Schauspielhaus Salzburg auf den Kopf.
Niere Spenden oder keine Niere Spenden, das ist hier die Frage! Und die lässt Arnold ähnlich hadern wie einst Hamlet. Nur, dass die Zerrissenheit des Architekten weniger auf dem Weltschmerz eines dänischen Kronanwärters gründet, sondern auf der Angst um die Nebenwirkungen einer selbstlosen Geste. Es sind moralische Abgründe und ethische Höhenflüge, die sich in Jérôme Junods Inszenierung der zeitgenössischen Komödie DIE NIERE (Autor: Stefan Vögel) am Schauspielhaus Salzburg einstellen und zur berechtigten Frage führen – nun sag, wie hast du’s mit der Moral?!
In aller Plot-Kürze
Arnolds Ehefrau Kathrin erhält nach einer Routineuntersuchung die Diagnose Niereninsuffizienz 3. Grades. Sie benötigt eine Nierentransplantation und das zeitnah. Freilich, gäbe es einen Spender in der eigenen Familie oder im Freundeskreis, ließe sich alles beschleunigen. Die Botschaft schlägt ein wie eine Bombe und das just am Tag zur Feier der Bewilligung von Arnolds großem Projekt, dem Diamont-Tower. Ein Phallussymbol, wie Diana treffsicher konstatiert. Die befreundete Apothekerin und ihr Mann Götz wollten eigentlich mit Kathrin und Arnold anstoßen. Aber die Stimmung kippt und der Abend oszilliert zwischen Moral, Philosophie und Komik und stellt immer wieder die Verhältnisse auf den Kopf.
Vorarlberger Komödie mit französischer Struktur
Man möchte es ja kaum glauben, aber tatsächlich stammt DIE NIERE eben nicht aus französischer Feder. Auch wenn die Boulevardkomödie im Aufbau deutlich an die Arbeiten Yasmina Rezas und anderer berühmter Franzosen erinnert, sich die Plot-Verstrickungen als ähnlich divergent, dicht und explosiv erweisen, zeichnet sich mit Stefan Vögel ein Vorarlberger Autor für den Text verantwortlich. Was ihn zum moralischen Diskurs trieb? Ein Artikel über den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der erwähnte, seiner Frau im Bedarfsfall eine Niere zu spenden. Ziemlich starker Tobak, befand Vögel, der sich selbst nicht ganz sicher war, ob ihm selbiges gelingen würde. Deshalb widmete er dem Stoff einen eigenen Text – und lässt seine Figuren in alle Richtungen hadern. Jérôme Junod hob die Seelenforschung auf die Studio Bühne des Schauspielhaus Salzburg und schuf einen heiter emotionalen Abend.
„Liebling, würdest du mir eine Niere spenden?“
Vier Personen, drei Meinungen. Arnold (Antony Connor) ist der Parzival der Runde und macht seinen Fehler gleich zu Beginn. Er zögert zu lange mit der alles entscheidenden Antwort. Die Situation eskaliert, Kathrin (Susanne Wende) will seine Niere gar nicht mehr. Ruhig und gefasst trägt sie ihre Diagnose und nimmt die moralische Hoheitsposition ein, während sich Arnold vor lauter Schuldgefühlen immer weiter in Rage redet. Gleichzeitig schmollt Connors Arnold vorzüglich, fühlt er sich doch in seinem maskulinen Feieranspruch gekränkt. Heute wäre sein Abend, irgendwie scheint ihm da Ehefrau Kathrin mit ihrer Niereninsuffizienz ganz ungeniert die Show zu stehlen. So etwas nagt am männlichen Selbstbewusstsein.
Die französisch-österreichische Show must go on
Kein Ehedrama ohne mindestens ein zweites befreundetes Ehepaar und ein Wohnzimmer. In diesem Fall Diana und Götz. Diana (Ulrike Arp) ist die Personifikation einer nicht unbedingt sehr hellen Kerze auf dem Kuchen. Gleichzeitig amüsiert der Charakter gerade durch die Figurenzeichnung Arps mit kleinen, peniblen Gesten und sehr expressiven Gesichtsausdrücken. Da wird immer wieder das Desinfektionsmittelchen gezückt und Taschentücher sowie MNS in Plastiktüten oder Etuis verstaut – angenehm unauffällige 2020 Ergänzungen. Freundschaft hin oder her, am Ende ist jeder sich selbst am nächsten. Findet zumindest Diana. Als ihr rein hypothetisch die Frage aller Fragen gestellt wird, bekommt sie ähnlich große Auge wie Arnold, hat aber zum „Glück“ die falsche Blutgruppe. Was Kathrin ironisch intelligent erfasst, wird von Diana nervös kirchernd beiseite gewischt. Dass Diana auch ganz anders kann, wird erst später deutlich.
Auch Götz (Olaf Salzer) überrascht. Statt durch Ablehnung allerdings mit Zustimmung. Er ist der selbstlose Freund, der sofort bereit wäre, eine Niere zu spenden und wundert sich ausgiebig über die Zweifler in den eigenen Reihen. Herrlich der verbale Schlagabtausch der beiden Herren, in dem doch immer einer die Oberhand behält. Der Ruhe, die Salzers Figur ausstrahlt, kann sogar der Plot-Twist nichts anhaben, der dem Sittenbild eine völlig neue tragisch komische Komponente verleiht.
Nierensteine und Arterienanspielungen
Zugegeben, der Titel verleitet schon vor dem Stück zu Wortspielen und wird auch im Bühnenbild (Nora Pierer) aufgegriffen. Stichwort Wohnzimmer. In französischen (und jetzt auch vorarlbergerischen) Komödien erprobter Austragungsort turbulentester Ehedramen. Da stellt auch DIE NIERE keine Ausnahme dar. Allerdings setzt die Inszenierung auf keinen herkömmlichen Salon, sondern einen wahr gewordenen „Es war einmal… das Leben“-Traum, die Zeichentrickserie über die Reise durch den eigenen Körper. Hier ein niedlicher Nierenstein als Sitzgelegenheit, dort eine stramme Arterienanspielung als Einrichtungsgegenstand. Und dazwischen zwar kein vom Weg abgekommenes Adrenalinhormönchen ohne HLA-Ausweis oder Cholesterinarmee, aber dafür, sehr viel besser, das NIERE-Ensemble. Passend dazu pulsiert die Musik (Fabio Buccafusco) bei den Szenenwechseln und mischen sich leichte Herzfrequenzen und Rauschen in den nur scheinbar klassischen Soundtrack, der alsbald – wie im wirklichen Plot-Leben – ins Stolpern gerät und sich zu Disharmonien vermengt. Auch wenn DIE NIERE aus österreichischer Feder stammt, französischer scheint eigentlich kaum möglich.
Fotonachweis: Jan Friese
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