Training für die grauen Zellen: ODYSSEE IM KREIDEKREIS stellt nicht nur die Protagonisten vor Herausforderungen. Auch das Publikum darf seine kleinen grauen Zellen bemühen.
Das Glück is a Vogerl, sagt der Volksmund, besonders der Wiener. Die Hoffnung ist aber auch so ein keckes Federvieh. Das sagt zwar niemand, aber dafür darf man ihm dabei zusehen. In ODYSSEE IM KREIDEKREIS ist es die Hoffnung, die unstet von hierhin nach dorthin flattert. Mal wird sie als Findelkind besungen, mal in Faust’scher Manier verneint, immer ist ein Herzklopfen im Hintergrund zu vernehmen und am Ende schunkelt das dreiköpfige Orakel zum Schwarzen Loch mit der antiken Götterfigur und den beiden Reisenden im Akkord.
Einmal quer durch die Galaxis und dann links
Wer in der ODYSSEE IM KREIDEKREIS nach einem roten Faden sucht, darf sich warm anziehen – und sollte besser außerhalb der berühmten Box beginnen. Tatsächlich ist es vermutlich der weiße Kreidekreis, den das dreiköpfige Orakel (wunderbar Natalia Sarajlic, Philipp Kieninger & Andreas Schober) gleich zu eingangs auf dem Boden zieht und mit dem es das Publikum fast schon okkultisch umfängt. Bereits bei dieser seiner ersten Handlung entwickelt sich das Orakel zu einem echten Blickfang. Kostümtechnisch ein bisschen wie in einen schwarzen Farbtopf getunkte Teletubbies anmutend, begeistern die einzelnen Orakel-Figuren mit ihrem Eifer und ihrer Euphorie. „A.K.T, A.K.T“, skandieren sie immer wieder und quietschen vergnügt auf, wenn Arbeit, Krankheit und Tod besungen werden, dass es eine invertierte Freude ist. Das mit dem Singen erinnert übrigens ein wenig an die alten Heldenlieder. Vermutlich nicht von ungefähr. Stichwort Odyssee.
Eines ist an diesem Abend sicher: Zum Mutmaßen lässt die inklusive Inszenierung von Cassandra Rühmling und Jürgen Kramer jede Menge Spielraum, die in Kooperation mit dem Budapester Ensemble und der LAUBE VOLXtheaterwerkstatt entstand. Choreografie: Danielle Dutombé, Kostüm: Lili Brit Pfeiffer, Bühne: Alois Ellmauer, Musik: Cassandra Rühmling, Stefan Ried.
Deshalb zieht da beharrlich eine antike Figur ihre Bahnen (Torsten Hermentin). Ein bisschen wie ein Planet, der durchs Universum kreist, ein bisschen wie ein aus der Zeit geworfener Göttervater schreitet das Wesen in heroisch nachdenklicher Pose und mit Buch in der Hand konsequent entlang der weißen Kreidelinie. Da davon ausgegangen werden darf, dass es sich dabei nicht um die Bibel handelt, könnten es auch die alten Göttererzählungen sein. Passend dazu deklamiert die Figur in spärlicher Bekleidung aber mit glitzernder Körpermalerei die antiken Klassiker. Den Mann und die Frau scheint sie wie Marionetten durch das Stück zu führen. Im Hintergrund der pulsierende Herzschlag.
ODYSSEE IM KREIDEKREIS: „Du bist mir Sternschnuppe“
Roter Faden, roter Faden. Tatsächlich dient der Kreidekreis als Orientierungshilfe. Denn um in der ODYSSEE IM KREIDEKREIS die Übersicht zu wahren, ist – nomen est omen – eine echte Herausforderung. Zum Glück sind da noch die Frau und der Mann (musikalische und schauspielerische Tausendsasa: Cassandra Rühmling & Stefan Ried), die stark an Odysseus und Penelope erinnern. Also meistens, denn munter springen sie durch die unterschiedlichsten Sphären. Dabei wahren sie meistens gebundene Sprache, der ein Hauch von letztem Jahrhundert anhaftet.
Vielleicht ist die alte Sprachlichkeit eine Hommage an Brecht, dem Paten des Kreidekreises. Schließlich basiert das Stück zum Teil auf seinem „Kaukassischen Kreidekreis“ und der wiederum auf dem chinesischen Ur-Mythos. Beides findet Eingang. Sowohl das Gleichnis mit dem Kind, das zerteilt werden soll, um zu beweisen, wer die echte Mutter ist – als auch Brechts profunde Kritik am biologischen Anrecht und ein bisschen Verfremdungseffekt. Überhaupt wird Brecht auch direkt gehuldigt, neben Goethe und anderen, selbst wenn er zu späterer Stunde in Taschenbuchform auf dem Boden landet. Aber auch die Astronomie darf stattfinden und weise Ratschläge werden mit kalaurigen Absagen verbunden. „Du bist mir Sternschnuppe“, verkündet sie ihm und dreht ihm aufmüpfig den Rücken zu.
Odysseus in der Hölle
Zuweilen verläuft man sich etwas in den unterschiedlichen Sphären, die dicht auf dicht folgen. Redundant scheint die Szene der Versuchung, die ein Crossover aus Himmel und Hölle sein könnte? Man weiß es nicht genau. Vielleicht spielt auch Dantes Inferno mit ins Stück und Vergil steht mit dem Dichter vor dem Höllentrichter, bereit zum Abstieg. Allerdings scheint das Motiv eher von christlichen Höllenfantasien geprägt. Und ja, ist tatsächlich auf einfache Pointen und sehr viel Übertreibungsgestik ausgelegt. Das birgt freilich seine ganz eigene Art von Komik, die an dieser Stelle aber seltsam simpel gestrickt wirkt und sich nicht so recht ins homogene Ganze einzufügen möchte. Das nämlich ist auf subtile Poetik und performative Anspielungen fokussiert.
Fotonachweis: Foto Flausen
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