Engagiert, motiviert und voller Ideen: Die Münchner Schauspielerin Sophie Mefan sorgt in Salzburg für frischen Wind – und das nicht nur als Ensemblemitglied am Landestheater.
Still sitzen und Däumchen drehen, das ist nicht so ihres. Sophie Mefan packt lieber an und ändert Dinge. Zur #BlackLivesMatter Demo am Salzburger Domplatz griff die Schauspielerin deshalb zum Mikro und sprach über Alltagsrassismus. Während des ersten Lockdowns besuchte sie mit Kollegin Patricia Unger Salzburger Seniorenheime, um für die Bewohner*innen zu singen und zu tanzen. Eigenes Stück? Läuft. ALL YOU NEED IS…? ist ein musikalischer Querschnitt seiner Zeit. Inzwischen ist der zweite Lockdown da und Sophie Mefan kein Stückchen leiser geworden. Im Gespräch mit der Schauspielerin.
Wie kamst du zum Theater und was führte dich nach Salzburg?
Gut, dass beide diese Punkte in einer Frage zusammengefasst sind, denn, wie es bei mir immer ist, bin ich wegen des Theaters in die Stadt gekommen. Es zieht mich eigentlich immer dorthin, wo Theater ist. Der Anblick vom Boden aus Richtung Schnürboden mit all den hängenden Kulissen und Scheinwerfern, wenn man sich auf der Hinterbühne liegend morgens aufwärmt, ist mir der allerliebste.
So hat mich auch mein Vorsingen für das Festensemble im März 2019 erstmals nach Salzburg gebracht. Ich habe schon immer gesungen! Zum Theater kam ich über den Tanz, über anfängliches Geklimper am Klavier, das irgendwann zu eigenen Kompositionen mit Gesang wurde und zuletzt schlossen sich alle drei Disziplinen des Musicals für mich zusammen, weil man mit ihnen so wunderbar Geschichten erzählen kann. Ein Spruch, mit dem unser Genre immer gerne zusammengefasst wird: „Wenn Worte nicht mehr reichen, um die für die Geschichte benötigte Emotion auszudrücken, übernimmt die Musik und der Gesang. Und wenn der Gesang auch nicht mehr ausreicht – dann hilft nur noch Tanzen!“
Was bedeuten Kunst und Kultur für dich?
Puh… ALLES! Die Erklärung der Menschheit, das Handbuch zum Thema Menschsein. Meine ersten Assoziationen sind: Untersuchung und Erklärung des menschlichen Handelns und Strebens, eine Embryostellung fürs Gehirn. Klingt sicherlich verwirrend, wenn man nicht gerade in meinem Kopf drinsteckt. Was diese Verbildlichung für mich ausdrückt, ist zunächst einmal ein Ort der Geborgenheit, des Vertrauens, ein Ort, an dem alles erlaubt und nichts falsch oder richtig ist. Was nicht bedeutet, dass falsch und richtig nicht stets diskutiert und untersucht werden sollen.
Kunst und Kultur können Spiegel oder Utopie der Gesellschaft, aber auch ihr Gewissen sein. Ich denke, jede Künstlerin und jeder Künstler würde diese Frage sicherlich anders beantworten, aber eins ist klar: Kunst und Kultur gibt es, solange wie es Menschen gibt. Da stellt sich für mich überhaupt nicht die Frage nach irgendeiner Systemrelevanz.
Als Künstlerin bist du mitten drin in der von Corona arg strapazierten Kulturszene. Wie fühlt es sich an, wenn der eigene berufliche Bereich von der Politik in Frage und in Analogie mit Glücksspiel und Ähnlichem gestellt wird – Stichwort die „Kulturverliebten“?
Fatal. Fatal fühlt es sich an. Fatal finde ich, dass Theater in der Politik derzeit mit Freizeiteinrichtungen gleichgestellt, sogar als solche eingestuft wird. Ja, Theater ist etwas, das man als „Konsument*in“ in seiner Freizeit tut. Es ist jedoch absolut nicht mit zum Beispiel einem Schwimmbad zu vergleichen, allein schon von der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Menschen.
Ich finde, Theater ist absolut auch eine Bildungseinrichtung. Theater hat einen Bildungsauftrag und gehört so sehr zum Mensch und zur Gesellschaft wie jede andere Auseinandersetzung mit dem Selbst und dem Außen, denn nichts anderes ist Theater – oder Romane oder Fernsehen und Radiobeiträge, CDs oder Netflix-Serien, die es übrigens ohne Kulturschaffende auch nicht gäbe.
Im Moment fühle ich mich im Bezug auf meine Branche sehr unverstanden, weil das Infektionsgeschehen nie hauptsächlich im Theater stattfand, im Gegenteil! Wir haben viel höhere Auflagen als das berühmte Beispiel Fluggesellschaften oder Fußballspiele. Eine Kollegin hat dies während des leichten Lockdowns, wie ich finde, sehr treffend in einem Posting formuliert: „Komisch, dass die Fallzahlen so hoch bleiben, man hat doch extra die Einrichtungen geschlossen, die keine Ansteckungsketten verursachten“
Ein Gefühl des nicht Gesehenwerdens. Da muss Hilfe her! Ich habe das Glück festangestellt zu sein, aber die meisten meiner KollegInnen haben das eben nicht. Der Normalfall in unserer Branche ist, dass man befristet an einem, oft auch mehreren Theatern gleichzeitig beschäftigt ist. Somit fällt man weder in die Gruppe der Festangestellten noch in die Gruppe der Selbstständigen, dafür aber umso öfter durchs Raster. Hat man das „Glück“ und ist doch selbstständig tätig, so übernehmen entsprechende Hilfspakete meistens nur die Betriebskosten. In unserer Branche sind aber wir selbst unsere Betriebskosten. Das heißt, private Miete, Verpflegung, Weiterbildung in Form von Tanz- oder Gesangsstunden, um im Training zu bleiben und jederzeit wieder einsteigen zu können. Was wir nicht haben, sind Mietkosten eigener Firmen oder hohe materielle Ausgaben und im Moment ja auch keine Reise- oder Logis-Kosten. Insofern ist es für viele Kunstschaffende, deren Arbeit untersagt wurde und die dafür keinen Ausgleich erhalten, gerade sehr schwierig finanziell existieren zu können.
Wie ging es dir im ersten Lockdown und wie ist jetzt der zweite? Nimmt man es gelassener oder ist da die Angst vor einer dritten Welle?
Ich habe keine Angst. Wir befinden uns in einer Zeit, die mittlerweile zum Alltag wurde. Nach neun Monaten zählt für mich deshalb auch die „Es ist alles so ungewohnt“-Karte nicht mehr. Doch, ja, mir ist natürlich bewusst, dass sich für viele Menschen praktisch alles und für viele Menschen kaum etwas verändert hat, nicht zuletzt aufgrund der Unterteilung einer Gesellschaft in gesund und krank. In systemrelevant und systemirrelevant, beziehungsweise kurz gesagt in wichtig und unwichtig. Natürlich spreche ich hier gerade von logistischen und politischen Zuständen und nicht davon, dass ein tödliches Virus Menschenleben gefährdet und nimmt.
Wie findest du die Maßnahmen der Regierung und was sollte anders gemacht werden?
Das ist für mich ein absolut indiskutabler Punkt. Unabhängig von all meinen vorherigen Erläuterungen finde ich, wenn Gefahr für die Gesundheit besteht, sollte es oberste Priorität sein, diese abzuwenden. Wenn das bedeutet, man muss Theater für einige Zeit schließen, dann bin ich dafür. Wenn dies bedeutet, man muss wirtschaftliche Einbüßen in Kauf nehmen, dann bin ich dafür. Wenn dies wiederum bedeutet, dass viele Menschen somit ihre Existenzen nicht mehr sichern können, fände ich auch die Einführung einer „Reichensteuer“ oder ähnliche Formate sinnvoll, um einen lebenswürdigen Ausgleich für alle im Rahmen der Bekämpfung eines globalen Problems zu schaffen.
Was wünscht du dir von der Politik?
Im Bezug auf diese Punkte hätte ich mir zwei Dinge gewünscht. Zum einen, einen etwas früher greifenden Lockdown und zum anderen eine Prüfung der tatsächlichen Gefahr, die von den einzelnen Branchen ausgeht, nicht auf wirtschaftlicher, sondern auf gesundheitlicher Basis.
Geschäftsmann XY wird mich jetzt wahrscheinlich auslachen, aber ich finde, dass es außer Frage stehen sollte, ob bei einer globalen Pandemie die Gesundheit im Vordergrund steht oder nicht. Grundsätzlich muss ich aber sagen, habe ich noch nie so sehr wie in diesem Jahr gespürt, wie wertvoll es ist, in einem Land zu leben, in dem Handeln in einem demokratischen Sinne selbstverständlich ist.
Ist normales Theater eigentlich noch möglich oder befinden wir uns gerade am Rand einer Zäsur. Ähnlich wie beispielsweise Adorno, der nach 1945 davon sprach, dass Lyrik, wie wir sie davor kannten, nach Auschwitz nicht mehr möglich sei. Das heißt, kann man nach Corona überhaupt wieder zurück zu „normal“ oder muss sich das Theater ändern?
Theater muss sich ändern! Immer! Wenn nicht wir, wer dann? Theater ist immer im Wandel gewesen, mit der Zeit gegangen und funktioniert meiner Meinung nach auch nur so. Alles, was den Menschen beeinflusst, wird auch das Theater beeinflussen. Was nicht bedeutet, dass man keinen Faust oder keine Iphigenie mehr spielen kann, denn die inneren Prozesse dieser Figuren können heute noch oder wieder genau so aktuell sein wie früher. Sicherlich wäre es interessant beispielsweise einmal zu thematisieren wie Matrosen sich damals auf Schiffen gefühlt haben, die vor dem Anlegen 40 Tage lang im Hafen liegen mussten, um eventuell mitgebrachte Krankheiten auszurotten. Eine Art von Auseinandersetzung, die uns noch vor einem Jahr vermutlich wenig Identifikationsmöglichkeit geboten hätte.
Mir ist es als Künstlerin immer sehr wichtig mit meiner Arbeit eine Relevanz für die*den Empfänger*in zu kreieren. Das kann manchmal nur sein, dass jemand einen furchtbaren Tag hatte und diesem im Theater für drei Stunden entflieht. Was in unserer heutigen doch sehr von Überarbeitung und der damit einhergehenden hohen psychischen Belastung geprägten Zeit von Bedeutung ist. Vielleicht wird mich Geschäftsmann XY hier wieder ein bisschen besser verstehen. Gleichzeitig und fast vordergründig sehe ich die Relevanz meiner Arbeit darin, das von uns allen im Alltag Erlebte aufzugreifen und zu diskutieren. Ein so großer Einschnitt in unseren doch seit langem vergleichsweise sehr gemütlichen Alltag wird also im Theater sicher nicht außen vor bleiben.
Falls ja, in welche Richtung sollte sich Theater verändern? Müssen Kunst und Kultur progressiver werden?
Ich glaube tatsächlich, da gibt es keine Regeln. Ich glaube, dass Theater in seiner einzigartigen Mischung aus Input und Charakter der Künstler*innen, aktueller Lage und wiederum der Interpretation des Kunst-Empfangenden ein Selbstläufer und somit nicht voll kontrollierbar ist. Intention und Outcome liegen nicht immer direkt beieinander. Aber was Theater immer tut, ist bewegen, anregen, forcieren. Und solange es eine Plattform und Schaffende mit Mut und einer Vision gibt, wird das Theater seinen Weg finden.
Was hältst du vom Ausweichen der Kulturszene in den virtuellen Raum?
Im Falle des Theaters finde ich es eigentlich nicht gut, aber total verständlich. Damit die Kunst am Zahn der Zeit bleiben kann, müssen wir weitermachen. Dadurch, dass uns unsere Arbeit so erschwert wird, gestaltet sich dies gerade natürlich besonders schwierig, weshalb man versucht, neue Formen und Möglichkeiten auszutesten. Natürlich kann abgefilmte Live-Kunst aber niemals das erzeugen, was sie in ihrem Urzustand tun würde. Da fehlt dann einfach die Magie und Unberechenbarkeit eines Eins-zu-eins-Moments.
Was wünscht du dir von der Bevölkerung?
Mehr Rücksichtnahme. Im Bezug auf alle Mitglieder der Gesellschaft, nicht nur auf die (plakativ gesagt) „Schönen und Reichen“. Im Bezug auf die aktuelle Lage für meine Branche: mehr Verständnis. Gegenargumente, die ich diesbezüglich oft vernommen habe, waren „man solle doch einfach etwas anderes machen“. So „einfach“ ist das allerdings gar nicht, denn zum einen gibt es gerade einen immensen Ansturm auf Mini- oder Midi-Jobs und zum anderen würde man dies in den meisten anderen Branchen ja auch nicht zu hören bekommen. Der Beruf des Künstlers und der Künstlerin ist ganz entgegen der häufigen Annahme kein brotloser. Es ist ein Job, von dem man mehr als gut leben kann, man darf ihn uns nur nicht verbieten. Zu unseren und zu euren Gunsten: Zwingt uns nicht, zu schweigen.
Was wird dein nächstes Projekt, deine nächsten Projekte sein?
Noch vor einem Jahr hätte ich dir diese Frage mit einer Vorausplanung von 6 Monaten sicherlich auf die Minute genau vorhersagen können. Vorstellungen waren für mich bisher immer absolute Konstanten, um die ich mein kleines, aber feines Privatleben aufgebaut habe. Jetzt führe ich nicht mal mehr einen Kalender.
Ich weiß, was als nächstes anstünde, aber ich habe aufgehört, mich zu fragen, wann das wohl sein könnte. Die Hoffnung brennt derzeit auf Sparflamme, sage ich mittlerweile mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Jetzt gerade sollte ich eigentlich in München auf der Bühne des Deutschen Theaters als Kitty im SCHUH DES MANITU stehen. Ab Januar sollte ich hier in Salzburg im gleichnamigen Stück die Uschi geben und im Sommer an verschiedenen Theatern in Deutschland gastieren, nachdem ich vergangene Spielzeit die Maria Magdalena in der Rockoper JESUS CHRIST SUPERSTAR an der Oper Leipzig gegeben hätte. Und meinen Sommerurlaub hätte ich im wunderschönen Kufstein für die dortigen Sommerfestspiele verbracht. Gleichzeitig bin ich mir sehr bewusst, dass ich mich durch meine Festanstellung in einer absolut privilegierten Lage befinde und trotz der vielen finanziellen Einbußen meine Existenz sichern kann.
Um der Ohnmacht der aktuellen Situation ein bisschen zu entfliehen, arbeite ich mit meiner guten Freundin und Kollegin Julia-Elena Heinrich gerade an einem Duo-Programm namens ENTZUGSERSCHEINUNGEN, um einerseits die Ereignisse der letzten Zeit zu verarbeiten, andererseits aber auch ein bisschen vergessen zu können. Denn schließlich ist das manchmal auch unsere Aufgabe, sich an einen anderen Ort, in eine andere Geschichte zu träumen. Und so schaffen wir uns trotz der geschlossenen Theater unseren eigenen Raum. Ganz nach dem Motto: „You can take the girl out of the show, but you can’t take the show out of the girl!“
Welche Frage hätten du hier gerne gelesen, die nicht gestellt wurde, und wie würdest du diese beantworten?
Was für eine tolle Frage! Vielleicht, was ich in 2020 gelernt habe und worauf es wirklich ankommt. Also, die Beatles hatten auf jeden Fall recht. All you need is tatsächlich love! In vielen verschiedenen Formen natürlich, aber alle Themen, die dieses Jahr in den Medien und auch in meinem Wohnzimmer ganz groß waren: ganz vorne mit dabei die Gesundheit, die deine und die deiner Nächsten. Unumgänglich gewordene politische Debatten, die schon lange aufgeräumt gehören, wie Rassismus und Diskriminierung, Polizeigewalt, die US-Präsidentschaftswahl, die Flüchtlingskrise, häusliche Gewalt, mentale Gesundheit, der Klimawandel.
All diese Themen zeigen uns, wie wichtig es ist, auf uns und unsere Umgebung zu achten. Mit Liebe – im Herzen und im Verstand. Und so wünsche ich uns allen, dass wir dankbar sind für die Dinge, die wir haben und umsichtig und engagiert gegenüber den Dingen, die es zu optimieren gilt.
Ich bedanke mich für diese sehr interessanten und anregenden Fragen und für die Plattform, die der Kunst hier eingeräumt wurde. Am Ende ist und bleibt es eben doch so: Sie findet immer einen Weg.
Fotonachweis: © Verena Heller-Ghanbar, Anna Löffelberger, Alescha Birkenholz und Lioba Schöneck
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