Susanne

„Wir sind doch empathische Herdenviecher“

Nur raus aus der Provinz, weil Erdäpfel-Brezn-Supp’n kann sie sich überall machen. Aber auch Theater. Und genau das tut Susanne Lipinski, seit sie damals von Leogang in die große weite Welt, gut, den Rest von Österreich aufgebrochen ist: Theater machen, das unbequeme Fragen stellt (und vielleicht auch hin und wieder Erdäpfel-Brezn-Supp’n löffeln).

Wien? Empfand Susanne Lipinski als prägend – und feiertechnisch ziemlich anstrengend. Zum Glück flog sie aus dem Max-Reinhardt-Seminar, denn das führte sie zum Germanistik-Studium nach Graz und das wiederum zurück ins Salzburger Land. Immer mit dabei, die Erdäpfel-Brezn-Supp’n, der sie vor 10 Jahren ein eigenes Programm widmete. Auch wenn es um Susanne Lipinski feiertechnisch ruhiger geworden sein mag, Kunst und Kultur mässig könnte es mit ihrem kollektiv KOLLINSKI kaum lauter tönen. Bald auf dem Programm der ARGEkultur: AUSTROPOPO – WEIL’S (NED) WURSCHT IS. Wegen des dritten Lockdowns zwar virtuell, aber eine Förderung des Land Salzburgs für den Drehtag und einer wunderbaren Kooperation mit FS1 und ARGEkultur sei Dank eben doch Premiere.

Deine allererste Begegnung mit dem Theater? Prägend oder schon vergessen?
AUSTROPOPO
© Sabine Heide (zweiblatt)

Absolut prägend. Das war ein sehr schlechtes Kinderstück in Salzburg mit partizipativem Konzept, DIE ZAUBERFLÖTE. Als Kind dachte ich mir, was ist das jetzt für ein unprofessionelles Theater, das uns Kinder fragt, ob eine von uns die Papagena spielen könne. Natürlich habe ich mich aber trotzdem gemeldet, weil ich ja auch damals schon total Theater affin war. Aber sie haben meine Erzfeindin genommen, die später meine Freundin wurde, was mich ziemlich ärgerte. Ich war total schön angezogen, wir waren auf Schaumstoffsesseln, ich bin dauernd irgendwie neben der Mama runtergerutscht, was mich ebenfalls total aufgeregt hat. Ja, das war meine erste Begegnung mit Theater und jetzt mach ich genau das: partizipatives Theater.

Wie kam es dazu, dass du das kollektiv KOLLINSKI gegründet hast und was ist dieses kollektiv KOLLINKSI eigentlich genau?

Das Kollektiv bin ich, dass ist der Schmäh daran – aber natürlich arbeite ich mit vielen Leuten zusammen. Es hat irgendwie sehr lange gedauert, bis ich das Kollektiv gegründet habe, weil zuerst mein zweiter Sohn geboren werden musste. Danach war mir klar, ich muss was Eigenes machen. Ich habe schon früher Theater gegründet. Vor zwanzig Jahren das Theater Quadrama in Graz, das sind gute Freunde von mir.

Das kollektiv KOLLINSKI macht gesellschaftskritisches Theater, partizipative Formen, spartenübergreifend und hoffentlich auch bald transdisziplinär. Wir möchten mit Wissenschaften zusammenarbeiten, weil es so viel mehr gibt als reines Theater. In Salzburg existiert aber noch diese klare Sparten-Trennung beziehungsweise gibt es natürlich schon auch Häuser, die alle Sparten vereinen, aber für mich ist das so etwas Klares. Es ist logisch, dass Musik auf der Bühne stattfindet, auch Live-Musik. Im Umkehrschluss ist aber auch klar, dass Musiker*innen spielen und Schauspieler*innen singen, dieses Umtanzen ist für mich keine Neuerfindung. Deshalb müssen wir auch hinausgehen und neue Orte entdecken. Wir wollen das Theater auch in Menschen implementieren, die andernfalls wenig Berührung damit haben. Das ist unser Dreh- und Angelpunkt, um den ich mich kümmern möchte.

Du bist kulturpolitisch sehr aktiv, deine Stücke regen zu Diskursen an, die sich meistens auch um die Gender-Debatte und die veraltete Rolle der Frau in der Gesellschaft drehen. Was hat dich dahingehend geprägt?

Ich glaube, mein Satz: „Die Emanzipation hört dann auf, wenn man Kinder kriegt“. Das ist irgendwie eine private Erfahrung, obwohl mein Mann sehr unterstützend ist. Trotzdem sind wir alle in diesem alten Muster verfangen, auch wir Frauen selbst. „Frau“ erfüllt so viele Rollen, zu Hause, im Beruf und Ähnlichem. Das zu vereinen, ist gerade mit kleinen Kindern sehr schwierig und ich merke, dass es im näheren Umfeld vielen so geht. Das scheint ein systemisches Problem zu sein. Wir waren mit der Johanna Dohnal ja schon viel weiter, als wir es jetzt sind, in dieser restriktiven Politik. Ich finde, die Frauenfiguren in der Politik gerade sehr schwierig, die nur als Handlangerinnen agieren. Das ist schon fast reaktionäre Politik und unglaublich diskussionswürdig. Außerdem gibt es starke Diskursverengungen, wenn es um feministische Themen geht. Deshalb muss ich da kulturell und kunstmässig etwas dagegensetzen.

Also getreu dem Motto, „und jetzt erst recht“?

Ja, genau, es ist ein Zusammenspiel aus privaten und durchaus systemischen Geschichten.

Was treibt dich an, auch weiterhin so aktiv zu sein, was ist dein Movens?

Ich glaube, ich bin eine alte Weltverbesserin und eine Idealistin.

Immer schon gewesen?

Definitiv! Ich mag die Underdogs sehr gerne und die muss man irgendwie pushen. Ich liebe das Wort „Gleichberechtigung“ und gleichzeitig soll es aber nicht nur eine Worthülse sein. Deshalb versuche ich, es zu leben und für andere vorzuleben. Weil bei uns findet doch Jammern auf hohem Niveau statt. Rechtlich gesehen sind Frauen gleich. Wenn es um Flüchtlingsproblematik geht, sieht das anders aus – da sind wir in Österreich ganz hinten. Es gibt also sehr, sehr viele Themen, die geändert gehören. Auch in den Köpfen der Menschen! Es gibt zur Zeit auch viele Akademikerinnen, die sagen, „nein, ich bleib jetzt daheim bei meinen Kindern. Ich habe das selbst entschieden und ich habe eine souveräne Entscheidung getroffen.“ De facto ist es aber so, dass sie innerlich wahrscheinlich gerne mehr arbeiten wollen würden, aber der Mann einfach mehr verdient. Stichwort Gender-Pay-Gap. Und da muss ich doch etwas dagegensetzen, da kann I net mei Papp’n hoit’n.

Auch das kommende Stück von kollektiv KOLLINSKI handelt von der Rolle der Frau: AUSTROPOPO – WEIL’S (NED) WURSCHT IS. Die Premiere findet gezwungenermaßen online statt. Stichwort dritter Lockdown. Ist es ein Stück zum ersten im Frühling und den Konsequenzen für die Frauen oder beschäftigt es sich generell mit der Rolle der Frau im 21. Jahrhundert in Österreich?

Da muss ich weiter ausholen, meine Projekte beginnen ja zwei Jahre bevor sie premieren – und AUSTROPOPO ist eigentlich seit zehn Jahren ein Wunschtraum von mir. Es entstand also vorher. Gleichzeitig war es aber vorher auch als Musical gedacht, das österreichischen Austropop entweder selber schreibt oder sogar alle Texte von Austropop nimmt und daraus ein Stück konzipiert. Die Ausgangslage hat sich aber stark gewandelt und das ist auch das, was das Kollektiv ausmacht. Ich habe super Frauen an meiner Seite, die mit mir die Konzepte erarbeiten. Bei AUSTROPOPO war es Natascha Grasser. Sie ist Preisträgerin des Grazer Frauenpreises und eine tolle Regisseurin. Mit ihr zusammen habe ich das Stück entwickelt.

AUSTROPOP - WEIL'S (NED) WURSCHT IS
© Sabine Heide (zweiblatt), Bearbeitung © Nina Ortner

Wir hatten dann auch schon diese Kochshow – unseren Rahmen: Back to the 50s. Das hatten wir aber schon vorher, bevor Barbara Tóth ebenfalls Back to the 50s sagte. In der Kunst denkt man immer an einem Strang und dann freut es natürlich, wenn die Community oder das Kollektiv dieses Thema aufgreift. Wir wollten noch eins draufsetzen. Wie wir das jetzt umändern konnten? Systemerhalterinnen! Das ist das Thema und nicht so weit weg von der Originalidee. Aktuell sind wir dabei, dass wir vier Frauen auf der Bühne als Rahmenhandlung alles machen: eine Fernsehshow, eine Kochshow und Musik. Außerdem schlittern wir ins Private ab, was bei unseren Stücken zur Norm zählt. Daraus konstituiert sich der Konflikt und diese vielen Schichten, die dann im Stück rauskommen sollten. Ob es gelingt oder nicht, zeigt sich aber immer erst am Ende.

Das ist jetzt also der grobe Plan und den Rest erarbeitet ihr dann gemeinsam, oder?

Genau. Früher habe ich die Konzepte selber geschrieben und dann ist es aber ganz anstrengend für Regiemenschen, sich in meinen Kopf hineinzuversetzen, weil ich ja dann auf der Bühne bin. Und da gibt es dann diesen wunderbaren künstlerischen Prozess, der sagt: „Das geht sie ois net aus, wos da du docht host“ – und wir kommen dann aber wunderbarerweise immer zurück zu dem, was ich mir anfangs gedacht habe. Das ist irgendwie cool und bestätigt meine Konzepte, aber es ist trotzdem geiler, das im Austausch mit anderen zu entwickeln, damit sich das potenziert. Das ist so herrlich. Es kommen dann immer mehr Leute dazu. Zuerst sind es nur Regie und ich, dann die Schauspielerin, die auch mit in der Regie arbeitet, dann die Musikerin, dann die andere Schauspielerin. Dann gibt es mal eine erste Probe und dann wächst das Ganze. Dann kommt das Bühnenbild dazu und dann fließt die Expertise aller ein und dann macht es hoffentlich immer „Boom“.

Wenn du nicht Künstlerin geworden wärst, was wärst du dann geworden?

Ärztin! Ich habe mich schon immer für Biologie interessiert und habe eine Achtung vor dem menschlichen Körper. Ich war noch einmal in Graz, bevor ich aus dem Reinhardt-Seminar hinausgeschmissen wurde…

Du bist rausgeschmissen worden?

Ja, aber leider bin ich nicht das Enfant terrible, wie man so denkt, sondern ich war sehr jung und bin immer kleiner geworden. Ich war mit der Birgit Minichmayr in der Klasse und habe es einfach nicht geschafft, mich in dem Max-Reinhardt-Seminar zu öffnen. Es waren die falschen Pädagoginnen. Ich bin aber jetzt sehr froh darüber, weil ich dadurch einen ganz anderen Weg gehen konnte.

Ja, genau, dann war ich in Graz und dachte mir, Schauspiel möchte ich aber schon weitermachen. Deshalb entschied ich mich dann für das Germanistik-Studium, weil ich das als bessere Mitte empfand. Nebenbei nahm ich Schauspielunterricht und legte die paritätische Prüfung ab. Und letztlich ist es dabei geblieben, dass ich Künstlerin bin, mir aber auch die Germanistik sehr viel hilft. Ich kann jetzt großartig Konzepte schreiben, das ist wirklich ein Plus. Ich liebe es, hohe Summen an Budgets zu errechnen. Wenn ich Geld sehe, denke ich „jaaa – und da könnten wir noch einreichen und das können wir noch machen und da können wir noch kooperieren“ (lacht). Das finde ich super!

Susanne Lipinski © Bina Winkler
© Bina Winkler
Was bedeuten Kunst und Kultur für dich?

Eine große Frage. Ich glaube, dass Kunst und Kultur eine gesellschaftliche Aufgabe hat, nämlich die Reflexion der Gesellschaft. Es ist der Spiegel der Gesellschaft.

Was sagst du zu Lockdown #3 und die Stellung der Kultur?

Wir haben zu wenig Lobby, das ist unser großes Problem. Wir sind keine Seilbahnschaft, keine Seilbahn-Company,

Vielleicht könntet ihr das kollektiv KOLLINSKI ja umbenennen und ihr macht Theater in der Seilbahn?

Ja, genau, kollektiv Seilbahn, Theater in der Gondel.

Tatsächlich sind wir in Salzburg bei Kunst und Kultur extrem vernachlässigt. Wir haben von März an die tollsten Konzepte, es gibt keine argen Cluster bei den Veranstaltungen. Wir könnten das durchgehend machen, wenn wir ein politisches Wohlwollen hätten. Aber das haben wir nicht. Wenn wir uns unseren Kulturminister anschauen, dann haben wir ein großes Problem. Ich glaube nicht, dass diese Politiker den Mehrwert von Kultur verstehen und auch nicht verstehen wollen. Die sehen Wirtschaft und das ist das Wichtigste. Wir sehen aber, wie verarmt wir durch diese Nicht-Kultur werden. Insofern, wenn du mich fragst, halte ich überhaupt nichts vom dritten Lockdown für die Kunst und Kultur. Ich halte aber schon etwas davon, dass wir diese Pandemie irgendwie in den Griff bekommen. Wobei ich vermute, dass das zu sehr hochstilisiert wird. Dass es durchaus andere Wege gäbe und ich wünsche mir, dass die gesamte kreative Kraft, dieses Land oder der ganzen Welt, genutzt wird, um diesem komplexen Thema gerecht zu werden.

Es warten ja schließlich noch größere Krisen auf uns. Wir haften uns jetzt auf dieser Pandemie fest. Natürlich ist es tragisch, wenn wer stirbt, aber es sterben auch sonst Leute. Gestorben wird immer. Irgendwie grenzen wir das komplett aus. Man muss das Gesundheitssystem und die Schulen ordentlich aufrüsten. Man darf nicht das ganze soziale Leben niederfahren. Das tut man jetzt zwar auch nicht, aber ich finde es halt nicht so sinnvoll, zu achttausend im harten Lockdown ins Möbelhaus zu pilgern und stattdessen die Kleinkunst niederzubrechen. Da fehlt einfach die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen komplett. Und die IGs versuchen ihr bestes, schärfen immer nach, machen wunderbare Arbeit. Aber das hilft alles nichts, wenn das politische Leben die Kunst und Kultur allem Anschein nach als Bedrohung empfindet. Denkende Menschen sind für die nicht gut, also schüren sie Angst. Und das zeigt Wirkung!

Eine Frage, die nicht gestellt wurde, die du aber gerne gehört hättest und wie würdest du darauf antworten?

Wo ist die Empathie geblieben? Ich glaube, wir müssen sie aus dem tiefsten Inneren, aus der tiefsten Menschlichkeit wieder herausgraben. Das würde ich mir wünschen und ich glaube, wir wären fähig dazu.Wir sind doch empathische Herdenviecher. (Lachen)

 

Stream für AUSTROPOPO – WEIL’S (NED) WURSCHT IS am 15.01.2021 hier

 

Fotonachweis: © siehe Bildunterschriften

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