Thomas Bernhards HELDENPLATZ als Letztes Abendmahl
Das Skandalträchtige haben Bernhards Texte über die Jahre intensiver Rezeption eingebüßt. Der moralische Stachel ist aber immer noch präsent und sorgt auch in HELDENPLATZ am Salzburger Landestheater für Unwohlsein.
An diesem Abend wird kein Misthaufen vor dem Theater abgeladen. Auf Transparente schwingende und Flugblätter verteilende Demonstrant*innen wartet Zuschauer*in vergeblich und auch die Politik ruft nicht zum Boykott auf. Das liegt weniger am Charakter des Online-Streams (aber auch – da müssten Störer*innen schließlich schon Hacker*innen sein), sondern vielmehr daran, dass es 33 Jahre nach der Uraufführung ruhig um Thomas Bernhards HELDENPLATZ wurde. Was damals für den größten österreichischen Theaterskandal sorgte und sich zur erfolgreichsten Produktion an der Burg entwickelte, ist heute Kultstück mit vorauseilendem Uraufführungsruf. In Kombination mit dem langen Schatten der Rezeptionsgeschichte scheint es also wenig verwunderlich, dass HELDENPLATZ 33 Jahre später weniger skandalös als faszinierend ist. Diesen moralisch ungemütlichen Spiegel packt auch das Salzburger Landestheater aus – drei Tage bevor Thomas Bernhard seinen 90sten Geburtstag gefeiert hätte.
Die Musikalität der Sprache
Dass Thomas Bernhard mit Österreich und Salzburg im Speziellen eine Hassliebe verband, ist bekannt. Auch, dass eigentlich ein 70jähriges Aufführungsverbot seitens des Autors besteht. Genau das macht die Inszenierung von Regisseurin Alexandra Liedtke am Salzburger Landestheater aber auch zu einem würdigen Abgesang. Die Bühne (Eva Musil) ist in dunkle Nuancen und düstere Schatten gehüllt. Die Szenenwechsel werden von melancholisch reduzierten Klängen begleitet (Musik: Karsten Riedel). Genauso puristisch und zugleich erhaben erscheint das Bühnenbild. Die Grandezza wird an den überdimensionalen Formen sichtbar. Fenster, die sich bis ins Nirgendwo zu erstrecken scheinen. Ein Kleiderschrank, der gänzlich neue Dimensionen erschließt und gleichzeitig zu einer Metapher der alles umfassenden Vergangenheit wird, die ihren Schatten bis in die Gegenwart wirft. Zugleich beschränkt sich die Kulisse auf das Nötigste und gewährt dem Schauspiel und seiner präzisen Sprachlichkeit, seiner Musikalität den entsprechenden Entfaltungsraum (Licht: Richard Schlager, Kostüme: Johanna Lakner).
In aller Plot-Kürze
Familie und Freunde von Professor Schuster haben sich nach dessen Begräbnis zu einem gemeinsamen Essen versammelt. 50 Jahre nach Österreichs Anschluss an Hitler-Deutschland stürzte sich der Mathematiker aus dem Fenster seiner Wohnung direkt am Wiener Heldenplatz. Schuster stand kurz vor dem Umzug nach Oxford, wollte sich aber kein zweites Mal aus der Heimat vertreiben lassen. Die Hinterbliebenen tauschen Erinnerungen aus und diskutieren über den aufkeimenden Antisemitismus. Die Frau des Professors indes hört sie noch immer, die Stimmen, die am Heldenplatz vor 50 Jahren dem Anschluss entgegenjubelten.
Letzte Zuflucht
Der Stachelt sitzt, wackelt und hat Luft. Britta Bayer trägt die Verbitterung als Wirtschafterin Frau Zittel schon in der Intonierung. Strenge Züge, zackige Worte. Die Verehrung für den Professor ist allgegenwärtig, gleichzeitig sind ihre Reden düstere Glorifizierungen; es entsteht das Bild einer diffizilen, durch den Nationalsozialismus und sein Judentum auf ewig traumatisierten Person. Diese Verletzungen gingen auf die Wirtschafterin ohne jüdische Vergangenheit über. Mit Abneigung im Blick mustert sie Hausmädchen Herta und lässt es Hemden auf die sozial Niedergestellte regnen.
Das Hausmädchen wird von Patrizia Unger großartig dargestellt. Sie pendelt zwischen Verletztheit (der Professor hatte ihr eine Fahrt nach Graz versprochen), Traumatisierung und Schüchternheit. Immer wieder blickt sie aus dem Fenster, wo sie den toten Professor als Erste entdeckte. Diese Position hoch droben auf der Leiter konstituiert auch das starke erste Bild der Inszenierung. Malerei oder doch real? Die Frage erübrigt sich, wenn Bewegung in die Figur kommt. Die Nähe zur Kunst wird noch einmal deutlich, wenn Alexandra Liedtke den moralischen Abgesang mit dem Bild des Letzten Abendmahl befeuert. Eine lange Tafel, zusammengesteckte Köpfe. Das Hausmädchen steht in leicht gebückter Haltung daneben, umklammert ihre Suppenschüssel und wird zur Zeugin des Untergangs.
Darf und soll für Unwohlsein sorgen: HELDENPLATZ
Die Salzburger HELDENPLATZ Inszenierung dominieren August Zirner als Professor Robert Schuster und Julienne Pfeil als dessen Nichte Anna. Der eine ist der eigentlich Kranke, der den Bruder überlebte und jetzt gerne sein ruhiges Auskommen in der Provinz hätte. Fernab von Wien, wo sich die Ereignisse von damals zu wiederholen scheinen. Ein Umstand, den er nicht ertragen kann. Mit großer Präsenz spielt sich Zirner in den Fokus. Ihm ebenbürtig ist Julienne Pfeils Anna. Die hartnäckige Tochter des Verstorbenen will und kann nicht vergessen. Sie fordert vom Onkel, sich zu engagieren und nicht einfach nur zu flüchten. Die Straße durch den Obstgarten und der friedfertige Onkel werden zur Metapher für eine Gesellschaft, die ebenfalls nur vergessen möchte. Dafür reichen wenige Gesten und großartiges sprachliches Können.
Elisabeth Rath verleiht der Witwe des Professors, Hedwig, wunderbare Scharfsinnigkeit die das Letzte Abendmahl erst so richtig belebt. Mit einem aus unbekannten Gründen völlig überdrehten und dadurch redundant erscheinenden Sohn, erfolgt ihr Auftritt relativ spät. Gleichzeitig führt Alexandra Liedtke für sie mit den Stimmen vom Heldenplatz eine eigene Metaebene ein. Die findet vordergründig nur in Hedwig Schusters Kopf statt, verleiht dem Ende aber eine umso intensivere Note. Das Volk jubelt damals wie heute dem Anschluss entgegen. Raths entsetzter Mimik wohnt etwas kassandrahaftes Inne, wenn die anderen blind gegen die Gefahr anbrüllen.
Auch wenn der Theaterskandal zu HELDENPLATZ längst verjährt ist, die Sprachlichkeit und eminente Musikalität von Thomas Bernhard und seinen Dialogen besitzen immer noch ihre großartige Kraft und verleihen dem moralischen Stachel eine eigene Schärfe. Die darf, soll und muss nach wie vor für Unwohlsein sorgen, was am Landestheater gelingt.
Fotonachweis: © Anna-Maria Löffelberger
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