Philosophie to go am Schauspielhaus Salzburg: LAMM GOTTES in Koproduktion mit dem Theater Kosmos Bregenz
Wenn für Shakespeare die ganze Welt eine Bühne war, dann ist für Michael Köhlmeier das ganze Leben eine literarische Gleichung. Zumindest in Bezug auf LAMM GOTTES, dieses Triptychon aus Fabel, Mysterienspiel und Satire. Alles übrigens irgendwie inspiriert. Das verwundert nicht, schließlich ist Köhlmeier dafür bekannt, alte Stoffe mit neuen Ideen zu recyceln. Das funktioniert auch für die Bühne, für die er ein literarisches Gemälde schuf, metaphorisch gesprochen. Zurück bleiben drei Ebenen, die fast immer homogen ineinander greifen und sich als Philosophie to go entpuppen. Einfach aufbereitet und von massenkonformer Überzeugungskraft.
LAMM GOTTES in aller Plot-Kürze
Ein Kater, der einer Katze die Welt erklärt. Eine Frau, die die Seele ihres eben geehelichten Mannes dem Teufel verspricht, um ihn vor dem Tod zu bewahren und ein Spielleiter, der Vorschläge bringt, dass die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Staat eben nicht zur Last fallen.
Rock me Prediger
Das Bühnenbild von LAMM GOTTES erinnert an ein auf den Kopf gestelltes Triptychon (Regie: Augustin Jagg, Ausstattung: Ragna Heiny). Die Ebenen aufeinander gestapelt, in der Mitte die Kanzel. Alles sehr römisch-katholisch sakral, weil gülden. Von der Kanzel, die aber erstaunlich ebenerdig ist, predigt allerdings kein Vertreter Gottes, sondern ein Spielleiter (Hubert Dragaschnig); ein Prediger der anderen Art, der mal Spielleiter, mal Teufel sein kann und vor allem als Showmaster der 70er Jahre das Ding im Alleingang rockt. Sein Anzug könnte einen Gary Glitter vor Neid erblassen lassen, auch wenn die namenlose Figur die Attitüde eines amerikanischen Fernsehpredigers besitzt. Genauso überdreht und überzeugt (von sich selbst, was sonst), wuppt er das Ding, das sich Leben nennt. Kokett steht er an der Kanzel und ist sich seines häretischen Tuns voll bewusst. Gott? Ist in LAMM GOTTES der größte Häretiker. Er versteckt sich hinter 100 Vorzimmern, in denen die 100 strengsten Engeln sitzen. Zu ihm (offensichtlich ist es also doch ein „er“) vorgelassen zu werden, ist schwieriger als eine Audienz beim Papst. Hat man ihn aber erreicht, tritt man vor den größten Skeptiker seiner Menschenkinder. Blöd gelaufen, irgendwie.
Ich bin ein Star, lasst mich hier rein
Als omnipräsenter Spielleiter nimmt Hubert Dragschnig den anderen Schauspieler*innen gerne die Worte aus dem Mund. Eigentlich könnte er auch alleine auf der Bühne stehen. Das wäre ein spannender Monolog. Tatsächlich gesellen sich aber auch noch andere Figuren hinzu, die für divergentes Chaos im System sorgen. LAMM GOTTES ist eine Koproduktion des Schauspielhaus Salzburg mit dem Theater Kosmos. Kater und Katze stammen aus dem Salzburger Teil der Liaison. Jakob Kücher und Christiane Warnecke schleichen im Fellnasenkostüm durch das Stück und disputieren nach dem Modell Meister und Schüler. Küchers Kater erklärt weltgewandt die eigenen Philosophien, während Warneckes Katze naiv charmant staunt und lernt. So ganz richtig scheint Köhlmeiers Konzept allerdings nicht aufzugehen. Das eine Wolke als Wolke und nicht als Baum verstanden wird, ließe sich mit der Sprachwissenschaft noch einfacher erklären. Stichwort Semiotik. Ist vielleicht nicht ganz so philosophisch, aber ziemlich sinnstiftend. Gleichzeitig können Kater und Katze auch als Prolepse begriffen werden, die den Inhalt des verlässlich darauf folgenden Streitgespräches bereits mundgerecht aufbereiten. Das vermeidet spätere Verdauungsbeschwerden beim Publikum.
Gekommen, um zu holen
Der Tod selbst ist ebenfalls anwesend. Haymon Maria Buttinger ist ein hervorragender Gevatter Tod, der mit seiner Grabräuberstimme bitte unbedingt auch eine ganze CD einsingen sollte. Das musikalische Œuvre von LAMM GOTTES begeistert mit einer Verortung irgendwo zwischen Wienerlied und Totentanz (Musik: Herwig Hammerl, Maske: Ariane Gmeiner). Buttinger ist Teil des Mysterienspiel, das an Johannes‘ von Tepl „Der Ackermann und der Tod“ denken lässt. Nur, dass hier die Rollen vertauscht sind. Der dem Tode Geweihte ist noch nicht abgeholt, der Schnitter hat auch eine weiche Seite. Statt ihn jetzt wie der Ackermann in ein rhetorisches Streitgespräch zu verwickeln, mit Gott als Schiedssprecher, geht Martha (sehr gelungen Stella Roberts) die Sache offensiv an. In braver christlicher Manier rutscht sie auf Knien durch die göttlichen Vorzimmer, um am 51 zu scheitern. Zurück auf der Welt, lässt sie sich frustriert auf den Deal mit dem Teufel ein. Im Gegensatz zu Gott beweist der nämlich Präsenz.
LAMM GOTTES: Staubzucker süße Seele
Dragaschnig gibt diesen Teufel mit diabolischer Freude und viel Beiseitesprechen. Das Publikum wird zum Verbündeten, mit dem es sich wunderbar kokettieren lässt. Martha ist für jeden Deal bereit, auch wenn der Teufel just ihre Seele verschmäht. Zu süß. Um nicht zu sagen „Staubzucker süß“. Dass sie sehr viel später von oberster Stelle den Tipp erhält, dem Teufel eine unschuldige Seele zu schenken, mutet da wie ein Paradoxon an. Aha, jetzt also doch? Die Frage unterlässt man lieber, da sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in den nächsten philosophischen Einsteiger-Kurs ausarten würde. Lieber also die Inkongruenz schlucken. Hat man nicht gehört. Dafür ist Alberts Seele verscherbelt. Das scheint praktisch, wenn man einfach so fremde Seelen verschenken kann. Martha wird es trotzdem bereuen und zu neuen Schuld-Dimensionen auflaufen, die Stella Roberts alle wunderbar beherrscht.
Zwischen Katzenphilosophie und fiktivem Streitgespräch taucht dann hin und wieder noch die Satire des irischen Utopisten und Sozialökonomen Jonathan Swift „A modern proposal“ auf. Dieser „bescheidene Vorschlag, um zu verhindern, dass die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Staat zur Last fallen, und um sie nutzbringend für die Allgemeinheit zu verwenden“. Das ist per se eine gelungene Idee, aber dann halt auch etwas zu viel des Guten. Spätestens hier könnten die Gehirnwindungen zu glühen beginnen. System Error. Auch wenn das Ende Swifts satirischen Vorschlag vorbildlich aufgreift. Dafür müsste folglich aber Alberts Seelenheil als Ding der Allgemeinheit verstanden werden. Nun ja. Vielleicht beim nächsten Mal doch lieber das Diptychon wählen, Herr Köhlmeier?
Fotonachweis: Gerhard Kresser
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