Und wer nimmt jetzt den Hund?!
Eine Frau, ein Mikrofon, ein Stuhl und ein turbulenter Monolog. HEILIGE LÜGEN lässt die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion charmant-ironisch verschwimmen.
Theater ist etwas Schönes. Theater erlaubt das Eintauchen und Absinken in fremde Welten. So wie Arturas Valudskis Inszenierung HEILIGE LÜGEN, das aktuell zu Gast am Toihaus Theater Salzburg ist. Frei nach Jean Cocteau kreierte der Regisseur ein Panoptikum der höchst persönlichen Gefühle, eine seelische Introspektive anhand unbeobachteter Gestiken und überspielter Reaktionen am anderen Ende der Leitung. Dafür genügt eine Schauspielerin, ein Mikrofon, ein Stuhl und 60 Minuten gespiegelter Monolog.
Relativ rasch wird die Verteilung der Geschlechterrollen deutlich. Sie kokettiert und erzählt ihm gutgelaunt von ihrem Tag, dem Essen mit einer Freundin und von dem roten Kleid, das sie trägt, während sie ganz in Schwarz unruhig vor dem Telefon steht. Immer wieder droht die Leitung abzubrechen, was die Frau fahrig werden lässt und ihre Abhängigkeit ihm gegenüber unterstreicht. Umso mehr, da ihn diese ungewollten Zäsuren nicht sonderlich zu kümmern scheinen. Oder ist das nur der Reaktion der Frau geschuldet, durch die er im Stück präsent ist? HEILIGE LÜGEN zeigt einstudierte Geschlechterrollen – Bernadette Heidegger schlüpft dafür in eine divergente, unaufdringliche Doppelrolle. Sie ist beide in dieser verstrickten Liebesbeziehung, durch die das Publikum aber nur von ihrer Perspektive aus erfährt. Seine Erklärungen, seine Ausflüchte, seine Emotionen sind in ihren Antworten greifbar und entsprechend verzerrt; auch weil ihre Gefühle die seinen bei Weitem zu übersteigen scheinen. Das ist eine spannende Darstellungsweise, die Bernadette Heidegger spielerisch dem Publikum präsentiert. Mit unsicheren Gestiken und schwankender Stimme lässt sie die Frau von ihrem Selbstmord erzählen. Als sie sein Interesse daran spürt, seine plötzlich aufflammende Fürsorge, wird sie selbstsicherer und ergeht sich in Details. Sie kokettiert mit ihrer Rolle, wird zu einer Art invertierter Märtyrerin – bis sie schließlich so viel Courage besitzt, dass sie ihn, den emotional Überlegenen, mit seinen eigenen Lügen konfrontieren kann.
Arturas Valudskis beließ den gespiegelten Monolog in seiner Zeit, irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts. Und genau das konstituiert auch diesen bittersüßen Charme von HEILIGE LÜGEN, diese Zeitlosigkeit der Geschlechter-Differenzen bei gleichzeitigem technischen Fortschritt. Früher, seufzt die Frau, früher sei alles besser gewesen. Da traf man sich noch und konnte den anderen mit Küssen und Taten umstimmen. Heute telefoniere man nur noch. – Und heute-heute? Wären sie und er vermutlich Smombies (= ‚Smartphone Zombie‘) und würde sich über What’s App Kurznachrichten zusenden. Damit wäre allerdings auch der manchmal amüsante und meistens bittersüße Charme von HEILIGE LÜGEN passé – und das wäre doch sehr schade. Vor allem, da hier bei aller Ernsthaftigkeit das Spiel mit einem abrupten Bruch der Ebenen und einem ironischen Augenzwinkern endet.
Fotonachweis: Toihaus Salzburg
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