Happy-go-lucky am Toihaus
Das Toihaus Theater ist auf das Barock gekommen – mit PASSACAGLIA zelebriert das experimentierfreudige Haus die bekannte Tanzkomposition in fünf performativen Miniaturen.
Nichts bereitet darauf vor, auf diese Stampede gebündelter spanischer Fröhlichkeit, die mit dem ersten Trommelschlag den Raum stürmt. Dort springt, tanzt und musiziert sie in Form einer buntgewürfelten Schar von Tänzer*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen durch die Bühnen-Gassen, dass es kein Morgen und keine Traurigkeit mehr gibt. Womit PASSACAGLIA bereits beim Thema ist: Im sprechenden Titel der aktuellen Toihaus Inszenierung steckt es, das spanische „pasar una calle“, also das durch die Straßen Gehen – und davon macht die Produktion von Myrto Dimitriadou (künstlerische Gesamtleitung) reichlich Gebrauch. Gleichzeitig ist dann aber auch noch diese andere Assoziation. Denn PASSACAGLIA schlägt als Musikform eine Brücke in die Vergangenheit. Im Barock tauchte sie erstmals auf und eine ihrer bekanntesten Varianten in g-moll für Violine solo stammt aus der Feder von Heinrich Iganz Franz Biber – einem (hübsches, lokale Detail am Rande) immigrierten Salzburger. Alle diese Komponenten ‚warf‘ man im Toihaus also in einen Topf und aus dem brodelnden Kreativ-Gemisch erhob sich PASSACAGLIA. TANZ DURCH DIE GASSEN (Regie/ Choreografische Begleitung: Viktoria Pichler, Astrid Seidler; musikalische Leitung/ Konzept/ Komposition: Yoko Yagihara, Yorgos Pervolarakis; Sound Design: Matthias Leboucher; Bühne/ Kostüme: Ragna Heiny; Licht/ Technik: Alexander Breitner, Robert Schmidjell).
Reigen der Bildlichkeit
Das Toihaus Theater bietet als spartenübergreifendes Haus mit ausgeprägtem Hang zu zeitgenössischen Kunstformen die perfekte Basis für experimentierfreudige Produktionen. Für PASSACAGLIA orientierten sich Kreativ-Team und Ensemble am individuellen Augenblick. Der wird von der Musik – einer Passacaglia – eingefangen und zerspringt in tausend kleine Einzeleindrücke. Das Ensemble ließ sich davon inspirieren und kreierte aus dem bunten Substrat fünf Miniaturen, die einmal mehr Sparten-Grenzen überschreiten.
Die Stampede der demonstrativen Fröhlichkeit lässt eine Schauspielerin (Susanne Lipinski) im verschiebbaren Bühnenboden zurück. Was dann passiert, könnte als Reigen der Bildlichkeit bezeichnet werden. In Anspielung auf Bibers Rosenkranz-Sonaten – „Passacaglia“ ist das letzte Stück des Zyklus‘ – wirft sich die Darstellerin in eine Art weibliches Büßerhemd; einen offensichtlich sehr dehnbaren Rollkragenpullover, den sie nach allen Seiten strapaziert, um komplett darin zu verschwinden. So ganzkörper-verhüllt, robbt die Performerin über die Bühne, während sie mit „Gegrüßet seist du Maria“ den Rosenkranz anstimmt. So weit, so sakral. Weltlich wird es mit Zitaten aus Friederike Mayröckers Romanen, die Weiblichkeit auf eine andere Weise thematisieren, während Gudrun Raber-Plaichinger die Szene mit Elektro-Sounds und Beats bespielt. Das wohligen Bad im leeren Bühnenboden oszilliert zum Grab, in dem die Performerin verschwindet. Mit ihr das Büßerhemd, das längst als geschälte, platt gepresste zweite Haut am Rande liegt. Melodisch-verspielt musizieren Yorgos Pervolarakis und Yoko Yagihara in der zweiten Miniatur verschiedene Musikrichtungen und treffen trotzdem genau den richtigen Ton. Die ausgelassene Fröhlichkeit ist weiterhin omnipräsent und breitet sich aus. Beim musikalischen Kräftemessen ergreifen die anderen Partei, ehe sie wieder in den Zuschauerreihen entschwinden. Diese Dauerpräsenz schafft Nähe, das Publikum wird zur Bühne oder zur Auszeit von der Bühne.
Basso ostinato
Schweben, fliegen und Leichtigkeit sind die Themen von Pascale Staudenbauers losgelöster Miniatur. Mit Ballon über dem Kopf bewegt sie sich fließend in alle Richtungen, und verleiht ihrer Performance durch ihre Mühelosigkeit etwas unglaublich Meditatives. Weniger besinnlich-ausgeglichen, sondern gutgelaunt und temperamentvoll knüpfen Yorgos Pervolarakis und Julia Schwarzbach mit einem spanischen Volkstanz an. Für die PASSACAGLIA bedeutet das also: Back to the roots, wenn sich spanische Folklore und Tanz verbinden. Noch ursprünglicher wird es für die Rosenkranz-Sonaten im letzten Bild. Juan Manuel Araque-Rueda spielt dafür – vom restlichen Ensemble umringt – auf einer Barockgeige aus dem 18. Jahrhundert. Diesem Moment haftet etwas durch und durch Feierliches an; vielleicht liegt das aber auch an der absoluten Dunkelheit und dem singulären Scheinwerfer, der nur den Musiker beleuchtet – und der lässt sanft im Kreis drehend die Jahrhunderte Revue passieren.
Fotonachweis: Nadine Weixler
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