„Zum Teil sind die Szenen leicht und lustig, zum Teil tragisch wie man sie sonst nur in einer griechischen Tragödie erlebt.“
Jubiläen sind eine feine Sache. Da knallen die Korken, herrscht ausgelassene Stimmung und gibt es bestenfalls Torte bis zum Umfallen. Das sind die einen Ehrentage. Allerdings sind da auch noch die anderen, über die nicht so oft gesprochen wird – von Feiern ganz zu schweigen. Jubiläen wie hundert Jahre Ende Erster Weltkrieg. Oder hundert Jahre Gründung der Ersten Republik. Oder hundert Jahre Frauenwahlrecht. Ein Triple-läum, das 2018 erstaunlich ins Hintertreffen geraten ist. Dass dem nicht so sein muss, zeigt Nicholas Monu. Der Dramatiker, Schauspieler und Regisseur griff für die neue Produktion des Ensembles Juvavum die hundertjährigen Errungenschaften Österreichs auf und inszeniert mit KAMERADEN ein spannendes Stück Zeitgeschichte.
Cheap Seats: KAMERADEN ist die deutsche Übersetzung von Peter Whelans „Accrington Pals“, das den Ersten Weltkrieg und das Frauenwahlrecht thematisiert. Am 6. Oktober feiert das Ensemble Juvavum mit dem Stück am OFFtheater deutschsprachige Erstaufführung. Was waren die Beweggründe, genau dieses Stück zu wählen?
Nicholas Monu: Ich bin selber im Krieg geboren, Biafra-Krieg 1965-72, und merke ein gewisses Trauma das in meiner Familie sitzt. Keiner spricht über die Kriegszeiten. Als ich meine Frau Simone heiratete, saß ich an einem Tisch mit der Familie meiner Frau und wir haben über Ihre Vorfahren gesprochen, auch über den Krieg. Da habe ich über den Urgroßvater Simon erfahren, der als K&K Soldat in den Dolomiten gekämpft hat, und den Großvater Rupert, der als einer der letzten Soldaten aus Stalingrad evakuiert wurde. Es hat mich getroffen, wie ähnlich die Gespräche waren mit meiner neuen österreichischen Familie. Es ist nicht nur das, was man sagt, sondern viel mehr das, was man nicht sagt. Das hat mir klar gemacht, dass meine neue österreichische Familie genauso traumatisiert war wie meine kriegserfahrene Familie. Und wenn es bei meiner Familie so war, hieß es, dass das gesamte deutschsprachige Volk auch dieses Trauma geerbt hat. Ab meinem fünften Lebensjahr bin ich in England aufgewachsen. Dort gedenkt man der Verstorbenen beider Weltkriege jedes Jahr am Rememberance Day, dem 11. November. Aber eigentlich ist dieser Erinnerungstag eine ganze Woche präsent. Das heißt, dass das englischsprachige Volk ihre Trauer aufarbeiten kann und frei über Krieg redet. Dieser Umstand löste in mir ein Gefühl von Mitleid und Mitgefühl für meine neue Heimat aus; und als Theatermensch suchte ich nach einem Weg diese Gefühle auszudrücken.
War es schwierig, die Geschehnisse nach Salzburg zu transferieren – oder ist es bedingt durch die Erste Weltkriegs- und Frauenwahlrechts-Situation egal, wo genau in Europa das Geschehen angesiedelt wird – die Konflikte waren ähnlich?
Es war nicht unbedingt schwierig, aber auch nicht einfach. Das Stück handelt in der Arbeiterklasse Salzburgs und das Schicksal der Arbeiterklasse Europas war eben sehr ähnlich. Das Original-Stück von Peter Whelan handelt von einer Gruppe von Freunden aus einer Provinzstadt in Nordengland, die zusammen in den Krieg zogen. In den ersten zwanzig Minuten fielen sie gemeinsam in der Schlacht an der Somme mit fast 20.000 Briten. Sie waren in sogenannte „Pal-Regimenten“ oder eben Kameraden-Regimenten; wenn ein Pal-Regiment dezimiert wurde, waren oft auch die Männer aus einer ganzen Stadt gestorben. Das war auch beim Rainer Regiment aus Salzburg und Oberösterreich sehr ähnlich. Das verlor im Ersten Weltkrieg 5.700 Männer; fast die doppelte Größe des gesamten Regiments. Ein extrem hoher Verlust für Salzburg und die Umgebung.
Bezüglich dem Frauenwahlrecht haben Frauen in vielen Ländern Europas 1918 das Wahlrecht erlangt, so auch in Österreich. Es war nicht leicht, aber es hat funktioniert die Geschichte nach Österreich zu verlegen. Und obwohl unsere Soldaten in den Bergen gekämpft haben, waren die Bedingungen und die Art des Krieges ähnlich an allen Fronten. Die Frauen haben in jedem Land die Arbeit der nicht anwesenden Männer übernommen und nach dem Krieg bessere Rechte eingefordert, die bis heute noch nicht ganz erfüllt sind.
Mit welcher Sprachlichkeit arbeitet KAMERADEN?
Weil wir ein Ensemble sind, das in Salzburg sein zu Hause hat und in und für Salzburger spielen, haben wir uns entschieden, dieses Stück im Salzburger-Regiolekt aufzuführen. Um so nahe wie möglich an die Vorfahren unserer Zuschauer zu kommen.
Was liegt Ihnen bei der Inszenierung besonders am Herzen?
Es ist sehr rar ein Stück aus dieser Zeit zu finden, das die Menschen der Arbeiterklasse als Helden einbaut. Zum Teil sind die Szenen leicht und lustig, zum Teil tragisch wie man sie sonst nur in einer griechischen Tragödie erlebt. Ihre natürliche Weise berührt, ihr Schmerz wird greifbar
Was bedeuten Freiheit und Wahlrecht für Sie?
Die Möglichkeit Teil eines demokratischen System zu sein, die Verantwortung für den anderen, auch den mit dem ich nicht gleicher Meinung bin. Das Wahlrecht ist ein Recht, das man nur in Ländern hat, in denen Freiheit herrscht – und auch dort wird es oft leicht übersehen.
Haben sich die Menschen in Europa über die Jahre zu selbstverständlich in Ihrem Wohlstand eingerichtet und vergessen, dass Demokratie und Freiheit keine naturgegebenen Werte sind – die auch wieder genommen werden können?
Ja.
Wie beschreiben Sie KAMERADEN in drei Sätzen?
Ein Stück über Krieg, Liebe und Freundschaft. Ein Stück, das den Menschen zum Denken anregt: über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein Stück, das einen zwingt, die Sinnlosigkeit des Krieges zu erkennen.
Was soll das Stück bestenfalls in den Zuschauer*innen auslösen?
Mitleid für den anderen.
Infos zu Ensemble Juvavum
Fotonachweis: Mathias Scheuringer
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