jedermann (stirbt) | Schauspielhaus Salzburg

jedermann (stirbt) – Schauspielhaus Salzburg

JEDERMANN 2.0.

Am Schauspielhaus Salzburg entrollt Rudolf Frey mit JEDERMANN (STIRBT) den Catwalk der Eitelkeiten. Das Ensemble präsentiert die ausgefallensten Laster mit maliziösem Verve und amoralischer Hingabe.

Die einen benötigen für ihre Texte wenige Wochen oder straffe Monate, die anderen Jahre. Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ war so ein Acht-Jahres-Kandidat. Das scheint logisch, schließlich ist es immer schwieriger, bereits vorhandenes Textmaterial umzukrempeln, als neuen Stoff aus dem Ärmel zu schütteln. Hofmannsthal jedenfalls kannte da keinen Genierer und bediente sich für seinen „Jedermann“ großzügigst an Vorlagen wie dem englischen „Everyman“ (1509) oder Hans Sachs‘ Übersetzung des neulateinischen Schuldramas „Hecastus“ (1539) – been there, done that für den Salzburger Festspielheiligen. Umso konsequenter, dass irgendwann auch Hofmannsthals Kopie der Kopie der Kopie der… als Inspiration herhalten darf. Ferdinand Schmalz aktualisierte das Spiel vom Leben des reichen Mannes im Auftrag des Burgtheaters und katapultierte es eloquent ins 21. Jahrhundert. Was für das Burgtheater gut genug ist, darf auch in Salzburg debütieren: Rudolf Frey inszenierte JEDERMANN (STIRBT) als Catwalk der Eitelkeiten am Schauspielhaus Salzburg (Dramaturgie: Tabea Baumann, Licht: Marcel Busá).

In aller Plot-Kürze

Gott ist ’not amused‘ über den Zustand der Welt. Seinen Frust lässt er an Jedermann aus, dieser menschgewordenen Allegorie des raffgierigen, nach immer mehr strebenden Geschäftsmannes, den er zur Rechenschaft bittet.jedermann (stirbt) | Schauspielhaus Salzburg

Grüner Hausarrest

In Rudolf Freys JEDERMANN (STIRBT) wuchern und gedeihen die Anspielungen, soweit Geist und Auge reichen. Die Bühne (Vincent Mesnaritsch) wird zum grünen Catwalk und Garten Eden, von dem der neue Jedermann nicht müde wird zu schwärmen (Theo Helm großartig energiegeladen und immer die ganze Emotionspalette zur Hand). Ein bezeichnendes Bild, das auch an Adam und Eva denken lässt. Die wurden einst ziemlich unsanft aus dem Paradies vertrieben. Jetzt aber ist Gott endgültig der Geduldsfaden gerissen (Bülent Özdil gegen die eigenen Gebote verstoßend: gebührend hoffärtig und ansprechend gelangweilt). Statt Adam und Eva bestraft er das paradigmatische Menschheitspärchen, Jedermann und seine Frau (Susanne Wende, von maliziös abgebrüht bis zur trauernden Witwe – mit eindrücklichem „Jedermann“-Ruf zum Grande Finale). Zurück in den Garten mit den Sündern. Dort wird sich Jedermann alsbald selbst zu viel und als dann auch noch die Buhlschaft als Tödin auftaucht, wird es richtig übel für den habgierigen Börsianer. Das erinnert an Petrarcas „Trionfo della Morte“, wo der Tod ebenfalls als ziemlich verstimmte weibliche la Morte ihre Aufwartung macht. Kristina Kahlert vereint gelungen beide Rollenbilder, die der Femme fatale und der düsteren Matrix-Erscheinung, die nur der Brandner Kaspar übers Ohr zu hauen vermag.

Love me gender

Selbstverständlich wird Kapitalismus-Kritik in JEDERMANN (STIRBT) großgeschrieben. Auch Grenzzaun-Phantasien und Flüchtlingskatastrophe fließen ein, wenn sich Jedermann und seine Gefolgschaft verbarrikadieren oder Der arme Nachbar Gott seinen Auftritt hat (Bülent Özdil diesmal gerecht und gütig auch die andere Wange hinhaltend).jedermann (stirbt) | Schauspielhaus Salzburg Die Sünden der Wirtschaft sind mannigfaltig und über die Marketing-Branche wird ausgiebig gelästert. Gleichzeitig bedient sich Ferdinand Schmalz‘ Vorlage aber genau der gleichen Metaphern, wenn sie nicht gerade auf altertümliche Weisen setzt. JEDERMANN (STIRBT) spielt mit den Worten; gebundene Sprache wechselt mit modernen Dialogen, immer wieder wird das Publikum direkt adressiert – das sich ganz mittelalterliches Mysterienspiel um die Bühne gruppiert. Überhaupt zelebriert die Inszenierung den Stilbruch. Während der eine Culottes und Monks trägt, ist die andere mit mittelalterlicher Häubchen-Anleihe oder SciFi Matrix-Klamotte unterwegs. Die Bewegungen sind teilweise verkürzt, abgehackt und verfremdet. Das verleiht der Produktion einen spannenden, zeitgenössischen Touch und ‚Kill Bill‘-Augenblicke. Als modernes Stück frönt man außerdem dem Gender-Trend. Gott darf Brautkleid und Blumenkränzchen tragen und Charity stolziert mit Maxi-Rock und Ohrclips über den Laufsteg.

Laufsteg der Eitelkeiten

Der grüne Garten wird zum Catwalk der Eitelkeiten, auf dem statt der neuesten Kollektionen die ausgefallensten Laster präsentiert werden. Das steht durchaus in der Jedermann-Tradition, weil allegorisch, und wird liebevoll zelebriert. jedermann (stirbt) | Schauspielhaus SalzburgAlle sind sie da: Der dicke und der dünne Vetter (Antony Connor und Simon Jaritz), die sich wunderbar ergänzen und erstaunlich an Laurel und Hardy erinnern. Symbolhaft will Jedermann dem dünnen Vetter an den Kragen. Während Simon Jaritz auf der einen Seite der Bühne effektvoll nach Luft japst und sich taumelnd immer weiter entfernt, drückt Jedermann Theo Helm gefühlte Meilen entfernt kaltblütig zu. Dieses pantomimenhafte Spiel sorgt für Ping-Pong-Gefühle beim Publikum, die einem Tennismatch gleich ihre Köpfe im Sekundentakt von links nach rechts und vice versa sausen lassen dürfen. Stilistische Brüche kann übrigens auch die Requisite, die durch fast vollständige Abwesenheit glänzt. Getreu der ‚weniger ist mehr‘ Maxime wird mit imaginären Gläsern angestoßen und auch sonst vermehrt auf Vorstellung gesetzt. Das wirkt durchaus belebend auf die eigenen grauen Zellen.

Amoralische Liaison

Aus eins mach‘ ein halbes Dutzend: Der Spielansager ist plötzlich viele und verschmilzt maliziös und ironisch zum griechischen Chor. Der vervollständigt auch gerne in ausgeklügelten Monologen die eigenen Sätze. Ping-Pong sausen die Zuschaueraugen einmal mehr. Gelungen auch die Kostümierung (Elke Gattinger): Als Braut und Bräutigam hält die illustre, verdorbene Schar Einzug. Dass sie bereits an dem einen oder anderen pathologischen Defekt laboriert, wird subtil angedeutet. Die weißen Brautkleider sind mit dunklen Rändern versehen, die Hemden der Herren ebenfalls. Unheil lässt sich erahnen, von wegen Unschuld und so. Ganz in Schwarz auch die buhlende Tödin.

„Don’t stop me now“

Vergessen sind die gebrechlichen Guten Werke. Am Schauspielhaus dominiert die kokette Charity (Marcus Marotte), die sich in ihren eigenen Taten sonnt.jedermann (stirbt) | Schauspielhaus Salzburg Selbstverliebt trippelt sie über die Bühne, kokettiert mit der angeblichen Menschlichkeit und führt sich selbst obsolet. Vor JEDERMANN (STIRBT) sind alle Allegorien gleich verderbt. Auch den Mammon beherrscht Marcus Marotte und zieht mit seinem güldenen Umhang Jedermann magisch an. Wie ein Kind kriecht der Börsianer unter den Mantel und umklammert die Beine, als erwarte er vom Mammon Rettung und Trost. Die Gier ist ein Hund.

Als besorgte Mutter bittet Ute Hamm die Tödin kollegial – man ist ja unter Frauen – um einen kleinen Aufschub und lässt sie im Gegenzug mütterlich an ihrer Schulter rasten. Da könnte sich der Ackermann des Johannes von Tepl eine große Schreibe Diplomatie abschneiden. Jedermann indes läuft die Zeit davon. Theo Helm lässt jetzt alle Emotionen raus und saust wie ein Flummi über die Bühne, knallt mit großem Getöse auf das so gar nicht weiche Gras und versucht panisch, den grausamen Spielen der Tod bringenden Buhlschaft zu entkommen.jedermann (stirbt) | Schauspielhaus Salzburg Die erinnert plötzlich sehr stark an Frau Welt aus Konrads von Würzburg „Der Welt Lohn“, die dem ritterlichen Sünder ihre ungustiöse Rückenansicht präsentiert.

Jedermann-Challenge

Der Anspielungsreichtum von Rudolf Freys Inszenierung ist allerdings nicht nur eitler Sonnenschein, sonder könnte auch ins Gegenteil kippen, je nach Publikumspräferenzen. Während die einen also voller Hingabe mitfiebern und Brücken in unendliche Interpretationsweiten schlagen, werden die anderen von den Verweisen, Allegorien und Vorbildern aus allen Himmelsrichtungen und Epochen vielleicht überrumpelt.  In diesem Fall wäre weniger mehr oder aber, das Publikum überrascht sich selbst und nimmt die Jedermann-Challenge an. Der Rest weiß ja ohnedies, wo die in die Jahre gekommene Version des Mysterienspiels steppt und kann dort Hofmannsthal-Flair tanken. JEDERMANN (STIRBT) jedenfalls bringt Schwung in ein altes Thema und beweist eindrücklich: Jedermann? Funktioniert auch in modern. Sogar in Salzburg.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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