Harry Potter, wer?
Das Jugendstück KRABAT zeigt sich in Daniela Meschtscherjakovs Inszenierung am Schauspielhaus Salzburg herrlich düster und schaurig schön: Dance Mephisto!
Leise rieselt der Schnee und kümmert sich nicht darum, dass eigentlich bereits Mai ist. Vielleicht hat das mit Zauberei zu tun, was passend wäre, schließlich dreht sich auch bei der Premiere von Otfried Preußlers KRABAT alles um Schwarze Magie, Tod und noch lauter so unschöne Dinge, mit denen der Jugendbuchklassiker seit Generationen junges Publikum in Bann zieht. Daniela Meschtscherjakov inszenierte den Plot als düsteres Märchen für Groß und Nicht-ganz-so-Klein und tobt sich im Reich der schwarzen Anspielungen aus.
In aller Plot-Kürze
Während des Dreißigjährigen Krieges stirbt die Mutter des vierzehnjährigen Krabats an Pest. Gemeinsam mit zwei anderen Jungen bettelt sich der Waisenknabe so durch den Tag, bis ihn in seinen Träumen der Ruf des Meisters ereilt. Die unbekannte Stimme lockt ihn zu einer geheimnisvollen Mühle, wo ihn Kost, Logis und eine Ausbildung in Schwarzer Magie erwarten. Der Preis ist hoch – jedes Jahr stirbt einer der Jungen, um das Leben des Meisters zu verlängern. Nur die Liebe eines Mädchens kann sie aus der aussichtslosen Lage befreien.
Geheimnisvolle Dunkelheit
Stolze zehn Jahre benötigte Otfried Preußler, um den Stoff der sorbischen Volkssage mit märchenhaften Zügen und historisch belegbaren Elementen in ein Jugendbuch umzuwandeln. Gut Ding braucht eben Weile, möchte man einwerfen. Zum Glück war Daniela Meschtscherjakov bei ihre Regiearbeit einen ‚Tick‘ schneller: In wenigen Wochen kreierte sie mit Team und Ensemble ein Theaterstück, dass sich sehen lassen kann, darf und auch unbedingt soll – und sich obendrein erfrischend kurzweilig anlässt.
Das beginnt bereits bei der Ausstattung (Bühnenbild: Ragny Heiny, Musik und SFX: Christian Meschtscherjakov, Maske: Daniela Meschtscherjakov, Licht: Marcel Busa) – unheilverkündend rieselt der Schnee vom Bühnenhimmel. Eine ständige Düsternis betont die geheimnisvolle Atmosphäre, die die bis dahin noch statische Zaubermühle mitten im Raum umgibt. Dass sie später nur von Lehrlingsfuß und Gesellenbein bewegt wird, ist höchst passend und verstärkt die missliche Lage der Jungen.
Schauspielnachwuchs
Das Erstaunliche an KRABAT, auch wenn die Produktion eine stolze Länge aufweist, entpuppt sie sich als extrem kurzweilig. Das liegt auch am Schauspiel. Hier läuft der hauseigene Nachwuchs zu Hochform auf, allen voran Jakob Kücher in der Titelrolle. Bewegungsfreudig avanciert Kücher zum versierten Coming-of-Age-Protagonisten mit Hingabe. Um sein Abenteuer zu bestehen, benötigt Krabat selbstverständlich Freunde – wie das mit Helden eben so ist, egal ob minderjährig oder nicht. Seriös und ganz neuer bester Kumpel steht ihm Tonda (Raphael Steiner) zur Seite. Das traurig-ernste Wesen der Figur und ihre sich häufenden düsteren Anspielungen lassen bald keine Zweifel mehr offen – das geht nicht gut aus, zumindest nicht für Tonda. Sein Abgang gestaltet sich entsprechend dramatisch und sehr gelungen.
Tim Erkert gibt den dümmlichen Juro, der eine unvorhersehbare, aber äußerst erfrischende 380° Grad Wendung vollzieht. Auch der Rest der Mühlen-Schar erfreut: Von niederträchtig (ausgebufft intrigant Lukas Kollers Lyschko) bis resolut (Lena Steinhubers Andrusch), über ausgleichend (Marko Vlatkovics Staschko beweist Zivilcourage) und unbedarft (Corinna Bauers Lobosch als euphorischer Neuzugang).
„Dance Mephisto“
Das schwarze Zepter hält der Meister streng in seiner Hand. Wolfgang Kandler zelebriert das düstere Zaubermühlenoberhaupt mit einer ansprechenden Mischung aus gefallener Hohepriester und Mephisto. Stolz und mit geschwellter Brust wandelt der Meister mehr, als einfach nur schnöde zu schreiten. An der physischen Ausdrucksweise hält Wolfgang Kandler auch fest, wenn er eigentlich bereits aus dem Blickfeld des Publikum-Gros‘ verschwunden sein sollte – selbst die Abgänge sind geprägt von eleganter Diabolität und teuflischem Stolz. Dazwischen schießt der Meister wie ein mephistophelischer Springteufel aus dem Bühnenboden oder lässt die Knaben als Marionetten nach seinem Willen tanzen, dass es ein düster schauriges KRABAT-Spektakel ist.
Mut zur Lücke
Vielleicht liegt es daran, KRABAT zeitmässig im Zaum zu halten; Daniela Meschtscherjakov beweist mit ihrer Inszenierung jedenfalls Mut zur Lücke: Der Dreißigjährige Krieg, eines der Hauptrahmenmotive der literarischen Vorlage, darf in Salzburg getrost zu Hause bleiben. Harry Potter konditioniertes Publikum benötigt keine schlüssigen Querverweise. Die dunkle Sphäre des schwarzen Zauberreichs wird auch ohne Kriegs-Referenzen akzeptiert. Aus den elf Gesellen werden nachvollziehbare sechs, das reicht ja auch völlig aus und alles andere wäre übertrieben.
Dann allerdings taucht sie auf, diese eine Frage. Wenn schon mal der Rotstift gezückt wurde, warum dann nicht auch bei Pumphutt? Die freche Konkurrenz, die an Shakespeares Puck erinnert, gibt Sophia Fischbacher zwar voller Elan und mit jeder Menge Körpereinsatz, schlüssig scheint die Figur in diesem Regie-Konzept allerdings nicht. Vielleicht liegt es an den fehlenden Anknüpfungspunkten zum Geschehen? Warum einen magischen Kontrahenten einführen, der den Widerstandswillen der Unterdrückten entfachten könnte, aber dieses revolutionäre Aufflammen nicht auch kenntlich machen? Vom Weglassen Pumphutts hätte auch das Ende profitiert, die tatsächlich einzig weitere KRABATsche Schwachstelle. Wo vorher noch mit Hingabe der Schwarzen Magie gefrönt wurde, genügt jetzt ein junges Mädchen (Bianca Farthofer als lichtbringende Erlöserin), eine Augenbinde, eine Runde Ringelreia und ein imposanter Schrei. Simsalabim, Krabat und die anderen sind frei. Ein merkwürdig farbloser Abgang für so eine starke Inszenierung.
Zeitloser Krabat
Kurzweilig, düster, schön – Daniela Meschtscherjakov hat mit KRABAT das hohe Niveau der Schüler*innen der Schauspielschule Schauspielhaus Salzburg einmal mehr bewiesen, die selbst eine ausgewachsene Jugendstückproduktion auf der großen Bühne (fast) ganz im Alleingang stemmen. KRABAT machte am Premieren-Nachmittag ordentlich Spaß und der hohe Anteil an Erwachsenen im Publikum beweist: Preußlers Jugendbuch ist immer noch das, was es schon immer war – ein Klassiker. Dagegen sieht selbst ein moderner Harry Potter sehr blass aus.
Fotonachweis: Jan Friese
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