Mal eben kurz die Seele retten.
Viktorianisches Highlife am Schauspielhaus Salzburg mit Charles Dickens WEIHNACHTSGESCHICHTE als Kindermusical. Sehr vorweihnachtlich und kurzweilig.
Vergesst Sisyphos. Der arme Kerl schleppt seit Jahrtausenden seinen Felsblock auf den ewigen Berg und muss ihn doch jedes Mal wieder beim Hinunterkullern zusehen. Ein anderer hat es auch ohne Einfluss aus dem Olymp ähnlich schwer, Ebenezer Scrooge. Der ewige Geizhals aus Charles Dickens „A Christmas Carol“ wird jedes Jahr pünktlich zur Vorweihnachtszeit mit den eigenen Sünden konfrontiert. Drei Geister bringen ihm Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft näher. Das ist vieles, aber garantiert nicht erbaulich. So ein Sündenregister wirkt schwer. Um nicht wie sein alter Geschäftspartner Marley am heißesten Punkt der Hölle zu enden, ist einiges an Bekehrung notwendig. Die Geister der Weihnacht sind bereit und Ebenezer Scrooge sollte lieber den Hausmantel enger schnüren.
Heiterer Reigen aus alt und neu
Weihnachten ohne die „Weihnachtsgeschichte“, das ist ein bisschen wie Geburtstag ohne Geschenke. Deshalb packt Robert Pienz mit seinem Regiewerk pünktlich zur Vorweihnachtszeit Charles Dickens EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE aus.
Das mobile Bühnenbild übernimmt den Handlangerjob und befördert das Publikum auf direkten Weg ins viktorianische England (Bühne: Victoria Diaz Varas, Franziska Lang). Die Kostüme (Monika Heigl) springen auf den Nostalgie-Zug auf und werfen mit dem einen oder anderen modernen Twist den Anker Richtung Heute. Schauspieler Olaf Salzer, in den meisten Stücken mit Bademantel beglückt, schlüpft als Scrooge ausnahmsweise in keinen. Stattdessen setzt die Ausstattung für die Titelfigur auf maßgeschneidertes Morgenmantel-Frack-Crossover. Das Schöne an der Salzburger Inszenierung ist aber auch die Dramaturgie (Tabea Baumann), die an das Strömungs-Kaladeioskop anknüpft und originale Textteile mit neu hinzugefügten verbindet. Das Ergebnis ist eine lebendige Produktion mit eigenständiger Richtung.
Ironische Untertöne für die Großen in der WEIHNACHTSGESCHICHTE
Ein Kindermusical ist ein Kindermusical ist (k)ein Kindermusical. Auch wenn EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE als Kindermusical konzipiert wurde, so ganz will sich das Stück dem Kindsein dann doch nicht verpflichten. Der sprachliche Humor der Inszenierung orientiert sich tendenziell an den Großen im Saal. Olaf Salzer begeistert als ironischer Miesepeter, der Weihnachten mit „Humbug!“ straft und Wortspiele zelebriert. Wenn er die drohende Zwangsräumung von Mrs. Marsh mit einer Lobeshymne auf den Minimalismus kommentiert und die Vorteile des harten Bodens bei Verspannungen preist, dann ist das nicht nur semantisch sehr 21. Jahrhundert, sondern auch unglaublich amüsant – für die Erwachsenen. Die goutieren jeden verbalen Seitenhieb und amüsieren sich köstlich. Die Kinder freut es indes, wenn sich Scrooge mit großen Gesten zur Ruhe begibt und kurze Zeit später auch noch der Geist der Gegenwärtigen Weihnacht humorig kalauernd aus seiner Bettstatt erwächst (Bina Blumencron mit großen Tönen).
Kinderhumor? Check!
Übertreibung ist das Zauberwort ins Humorland der Jüngsten. Den Schlüssel dazu hält Wolfgang Kandler fest in der Hand. Mit hyperbolischen Gesten und Slapstick-Einlagen frönt er der gestischen Übertreibung. Jeder Figur lässt der Schauspieler eine andere körperliche Eigenart angedeihen, die sich leitmotivisch durch das Stück windet.
Sein Cratchit buckelt devot und versinkt dabei effizient in sich selbst. Immerzu sucht er das Tintenfass in der bitterkalten Stube zu wärmen, da Scrooges Geiz dem treuen Bediensteten nur das mickrigste Zweiglein für ein Feuer gönnt. Wolfgang Kandlers Frederick hingegen springt überdreht zur Tür herein und strahlt dabei vor Freude. So viel gute Laune wirkt ansteckend, zumindest auf Nicht-Scrooges im Saal. Die Zukunft? Ganz sicher Fredericks Steckenpferd, während sich Grimes‘ Gestalt konträr dazu wie eine einzige große Kurve in die Vergangenheit zu biegen scheint. Den Rücken durchgedrückt, das Bein abgestreckt, schwingt der betagte Lehrmeister mit der Kippa auf dem Kopf große Reden. Fezziwig hingegen outet sich hoch droben auf dem Christbaum mit dem schiefen Spitz als humorig kauziger Amor, der konspirativ hinter Weihnachtsdekorationsbüchsen hervorlugt und sein Werk betrachtet.
Die Salzburger WEIHNACHTSGESCHICHTE: Mehr ist mehr
Als Geist der Vergangenen und Gegenwärtigen Weihnacht ist auch Bina Blumencron voll im Übersteigerungsmodus angekommen. Die Ausstattung dürfte von „Tausendundeine Nacht“ inspiriert sein und der Vorliebe des kindlichen Scrooges für „Ali Baba und die vierzig Räuber“. Die beiden ersten Weihnachtsgeister ähneln auf verblüffende und sehr nicht dickenseweise einem Dschinn und Sultan. Spaßpotential bergen sie allerdings beide, ebenfalls konträr zur englischen Vorlage. Geläutert wird in diesem Kindermusical auf sanfte Weise. Mit viel Wortwitz und jeder Menge Spielfreude erobert die Schauspielerin ihre Rollen. Dass sie dabei auch gesanglich über sehr viel Power verfügt, scheint Ehrensache und verbreitet gute Laune in großen Dosen. Aber auch Ernst funktioniert. Wenn Bina Blumencron die tintenschwarzen Argumente von Scrooge rezitiert, dann weichen Spiel und Spaß einem Anflug von Ernüchterung – um sich kurz darauf gleich wieder in kecke Lebensfreude zu verwandeln. Ein Kindermusical ist ein Kindermusical ist eben doch ein Kindermusical, mit leicht verdaulicher Moral und Melodien, die ins Ohr gehen (Musik: Fabio Buccafusco).
Die Geister, die er rief
Für den vermutlich gruseligsten Moment in dieser Inszenierung sorgt Johannes Hoffmanns Jacob Marley. Mit Verve ruft der verstorbene Geschäftspartner aus dem Off nach dem alten Geizhals. Das könnte an JEDERMANN erinnern, nur dass hier kein Domplatz im Spiel ist und die Stimme düster und schrill mit Intonation und Höhe jongliert. Immer exzessiver wird nach Ebenezer Scrooge gerufen. Der dunkle Auftritt sitzt, wackelt und hat Luft. Das Rasseln auch, selbst wenn sich die Ketten am Kostüm als ziemlich dünn entpuppen und von Tresor und anderem gräulichem Ballast-Gedöns keine Rede sein kann. Aber nun gut, so ein ausgewachsener Geldschrank würde sich auch ziemlich anhängen und selbst ohne liefert Johannes Hoffmann eine sehr erfreuliche Leistung. Die kulminiert in einen Wutschrei, der nicht nur den kleinsten Besuchern die Ohren schlackern lässt.
Als Tiny Tim wird Hoffmann wieder zum Kind. Kreativ das Kostüm, das ihn seiner Beine beraubt, gleichzeitig aber auch an die DREIGROSCHENOPER oder Bettler in idyllischen Ballungsräumen denken lässt. Über sein Vorankommen muss sich der Schauspieler keine Gedanken machen, das Taxi wartet bereits in Form seines Kollegen Wolfgang Kandler, der die Requisiten emsig schiebt, rückt und bei Bedarf auch zieht.
Verbeugung vor den alten Meistern
Hoffmanns junger Scrooge zeigt sich in der WEIHNACHTSGESCHICHTE am Schauspielhaus souverän und noch weich in seiner Disposition. In der Szene mit Isabella (Larissa Enzi) wandelt sich das Bild, Richtung und Tonfall ändern sich. Larissa Enzis Bittstellerin wird zur Hauptfigur einer Szene, die amüsantes aneinander Vorbeisprechen wie die alten griechischen Komödienschreiber zelebriert. Fast scheint es, als wäre hier noch besonders viel Zeit für kleine und größere Details gewesen. Deshalb hustet Larissa Enzis Figur bedrohlich in Richtung Cratchit, der sich sichtlich unangenehm berührt von so vielen Bakterien zeigt und auf Aufforderung Scrooges immer wieder losstürmt – sprichwörtlich -, um den Tresor von Keimen und vermeintlich allzu gierigen Fingern zu säubern. Dieser Spleen sitzt. Auch beim Schlussapplaus kann der Schauspieler nicht aus seiner Cratchit-Haut und schließt noch schnell den Tresor. Top konditioniert.
Wer hat an der Uhr gedreht?
Später verkürzen sich die Szenen, werden komprimierter. Kleine, spezielle Details entfallen, wenn die Schauspieler sie nicht selbst bereits in ihre Figuren integriert haben. Der Geist der Zukünftigen Weihnacht (Larissa Enzi), eigentlich der schrecklichste aller Charaktere, zeigt sich nach den märchenhaften Einflüssen seiner Vorgänger wieder erstaunlich vorlagengetreu – zumindest auf sprachlicher Ebene, weil stumm. Mit Gesten weist der unheimliche Gesell in adaptierter Mönchskutte dem knausrigen Scrooge den Weg und darf endlich auch mal Frau sein.
Wer sich für die finale Bekehrung des Geizhalses zwar keine Pauken oder Trompeten erwartete, aber immerhin etwas Dramatik erhofft hatte: Stark bleiben. Es dürfte der wohlkalkulierten Zeit gezollt sein, dass Scrooge wie aus dem Nichts ausruft zu bereuen. Das kam jetzt vielleicht unerwartet, aber damit bleibt immerhin noch genügend Zeit für Familienmusical-Romantik und einen Ensemble-Song, der, ja, sogar schon Ende November Weihnachtsstimmung verbreitet. Fehlen nur noch Kekse, Glühwein oder Kinderpunsch. Der 24. Dezember kann kommen, Scrooges Seelenheil „Ist gerettet!“ – zumindest für diesen Nachmittag.
Fotonachweis: Jan Friese
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