ALL YOU NEED IS… Sophie Mefan. Ein musikalischer Soloabend am Landestheater Salzburg
Selbst ist die Schauspielerin und Sängerin. Statt im Frühjahr 2020 in Corona-Starre zu verfallen, schaute Sophie Mefan lieber aus dem Fenster und ließ sich inspirieren. Vom Leben im Allgemeinen und dem der Menschen, die vorüberliefen, im Besonderen.
Die Idee zu ALL YOU NEED IS…? kam Sophie Mefan durch „Humans of New York“. Wer das Format nicht einzuordnen vermag: HONY ist das Projekt des Amerikaners Brandon Stanton, das es inzwischen als Homepage, Facebook-Seite, Instagram-Account und sogar in Buchform gibt. Auf seinen Kanälen veröffentlicht der Fotograf regelmäßig Bilder und Texte von den unterschiedlichsten Menschen, die er zufällig auf der Straße trifft, und die ihm eine Episode oder gleich ihr ganzes Leben erzählen.
Das Ergebnis ist ein divergenter Querschnitt, der spannender, dramatischer und manchmal auch einfach nur amüsanter kaum sein könnte. Ähnlich dürfte da auch Sophie Mefan denken. Die Schauspielerin und Sängerin des Ensembles des Salzburger Landestheater griff im Lockdown Stantons Idee auf. Das Ergebnis: ALL YOU NEED IS…?
Sag‘ es mit Musik
Wo Stanton zur Kamera greift und Menschen einfach erzählen lässt, setzt Sophie Mefan auf das Mittel der Musik. Entstanden ist ein musikalischer Soloabend, der die unterschiedlichsten Kurzgeschichten bereit hält. Sophie Mefan beherrscht die genaue Beobachtungsgabe von „Humans of New York“ und rekapituliert in ihrem eigenen Format die spannenden, dramatischen und manchmal auch einfach nur amüsanten Episoden mit schauspielerischem Feingefühl und großartiger Sangeslust.
Da ist zum Beispiel die junge Frau, die Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“ in fast schon aggressiver Eile schmettert. Hier wird die jobbende Sängerin sichtbar, die überall lieber wäre als in der kleinen, vermutlich schmuddeligen Bar. Eben noch hastig mit lahmer Ausrede in den Raum gestürzt, ist sie auch schon wieder auf dem Weg. Dem Pianisten (an diesem Abend: Adrian Sucio – großartig spontan eingesprungen) ruft sie noch flüchtig ein schnelles „mach‘ nicht mehr zu lange“ zu.
Der Fokus liegt auf weiblichen Charakteren und künstlerischem Milieu. Die Probleme junger Künstlerinnen werden genauso angeschnitten wie die der geringfügig älteren. Nur einmal rückt auch ein betagter Mann in den Fokus, der auf einer Parkbank von seiner verstorbenen großen Liebe spricht. Letzteres ist sehr HONY, mit Ersterem drückt Sophie Mefan sehr viel freier dem Format ihre eigenen Stempel auf.
Im Casting erzählt eine junge Frau lächelnd von all den Missständen, mit denen sie konfrontiert wird. Der Klavierspieler spiele zu laut, der möge sie wohl nicht. Die Verantwortlichen am Tisch seien alle schwul und einer starre auf ihre Schuhe. Nein, nicht die Schuhe, erklärt sie im nächsten Atemzug, die sehen doch so furchtbar aus. Dann der nächste gesungene Gedankensprung in hohem Tempo. Ob sie ihnen sagen soll, dass ihre Stimme heute so klinge, weil sie erkältet sei oder lieber doch nicht? Es sind die Nöte und Mängel der eigenen Branche, die Mefan besonders beherrscht und vermutlich auch nicht auf der Straße recherchieren musste.
Kleine HONY Schwester
Die Straße als Inspiration ist also doch virtueller zu Denken als irgendwo in Salzburg. Schließlich ist da beispielsweise auch ein Hauch 9/11, einmal mehr „very“ HONY. Gleichzeitig ist es eine ihrer berührendsten Geschichten, wenn die Sängerin in die Rolle der Witwe schlüpft, die unglaublich poetisch von der ersten Begegnung mit ihrem Zukünftigen spricht. Mit verklärtem Blick verschmilzt Mefan die Wochen und Monate zu einer Zeile, nur um dann an diesem einen Tag anzuhalten, der ihr Leben für immer veränderte. Märchenhaft schön rieselt der Schnee. Das Ende ist nichtsdestotrotz so unglaublich romantisch, mit so viel Einfühlungsvermögen und Empathie erzählt, dass man versucht ist, unbeobachtet ein Taschentuch zu zücken. Ja, genau das sind diese besonderen Momente, die auch „Humans of New York“ konstituieren – und ALL YOU NEED IS…? zu einer ebenbürtigen, kleinen Schwester machen.
Wehe, wenn sie losgelassen
Bei Sophie Mefans musikalischem Soloabend darf aber auch gelacht werde. Herrlich das Geständnis der Frischgeschiedenen, das die Sängerin mit unglaublichem Schalk im Nacken und sehr viel Lebensfreude in die Kamera plaudert. Genauso munter und unterhaltsam geht es weiter, wenn Sophie Mefan in der Rolle der jungen Frau schlüpft, die ihren One-Night-Stand am liebsten per sofort aus dem Bett verbannen möchte und dafür auf besonders opulente Gesten setzt.
Also, was ist es nun, das wir brauchen? Ganz klar, Sophie Mefan und ihre Figuren! Divergent, unterhaltsam und gleichzeitig modern und wunderbar poetisch.
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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