FAMILIENAUSFLUG INS ZEITGENÖSSISCHE SELBST.
Wenn Schauspielhaus Wien und ARGEkultur gemeinsame Sache machen, dann steht kurz darauf Enis Macis AUTOS in der Uraufführungsinszenierung von Franz-Xaver Mayr auf dem Spielplan der ARGE. Über das Gestern, Heute und damit auch das Morgen.
Dichter Bühnennebel hängt tief über den ersten Zuschauerreihen und kreiert einen durchaus dramatischen Effekt, den auch der unschuldig weiße Bühnenboden nicht zu negieren vermag. Das soll er vermutlich auch gar nicht, schließlich wummern mit Vorhangfall bereits die elektronischen Beats aus den Lautsprechern, die Bretter im Saal vibrieren. Zuckende Lichteffekte lassen an Techno-Tempel denken, die allgemeine Dunkelheit rundet das homogen düstere Elektro-Treiben ab. Da halten sie auch schon Einzug, die fünf archaischen Figuren. Andächtig verharren sie als geschlossene Einheit in der Mitte, schwingen erhabene Dialoge in monologischer Manier und tragen soutane-ähnliche Kostüme (Bühne & Kostüme: Korbinian Schmidt, Maske: Inge Schra, Musik: Matija Schellander).
In aller Plot-Kürze
Ein Mann und eine Frau fahren Auto. Wie sie zueinander stehen, wird nicht deutlich. Scheinbar Gastarbeiter der ersten Generation, vielleicht auch nicht. Die Stationen bleiben vage, das Radio plärrt und Gegenwart, Vergangenheit, Imaginäres und Reales verschwimmen immer häufiger.
Musik liegt in der AUTOS-Luft
Wenn schon klotzen, dann aber richtig, Franz-Xaver Mayrs Lorbeer-Sammlung für AUTOS will schließlich verdient sein (Dramaturgie: Tobias Schuster). Der Anfang ist also dieses hochdramatische optische Versprechen. Das wird von archaisch sakralen Chor-Momenten in Kombination mit weltlichen Gefühlen und Texten auf ambivalente Weise gespiegelt. Es ist gerade diese hyperbolische Zwiespältigkeit und die eminent erhabene Statik, die den Figuren als stoische Ruhe innewohnt und für den feierlichen Charakter sorgt. Diese Eindrücke werden durch die liebevoll präzise exerzierte Sprachlichkeit mit ihrer ausgeprägten Musikalität verstärkt. Auch in Form von Sopranistin Johanna Baader, die der AUTOS Inszenierung durch ihre starke Stimme eine eindrückliche Note verleiht. Wieder ist da dieses liturgische Moment, wenn Baader sakral anmutende Gesänge anstimmt.
Klatsch und Tratsch aus dem Heute und Gestern
Die Sprachlichkeit wird zum Erlebnis. Vassilissa Reznikoff redet sich in pfeifende Ekstase, eindrückliche Gesten unterstreichen ihre Worte. Steffen Link ist ihr traumatisierter Wegbegleiter. Simon Bauer beherrscht die feierliche Erhabenheit wie kein anderer und zelebriert sie stoisch, wohl appliziert und ausgiebig. Gravitätisch ist auch Sebastian Schindeggers Figur, die über die argentinische Ameise doziert und sich dabei langsam in Rage redet. Aber selbst dieser Wut haftet noch eminente, priesterliche Eleganz an. Bei aller Sakralität vermischt sich Kirchliches mit Weltlichem. Aus dem Radio tönen Klatsch und Tratsch, die den zeitgenössischen Diskurs dominieren. Immer wieder werden Daniel Küblböck und die AIDA zum Thema. Erinnerungen an den letzten Henker wechseln mit denen an Olga Hepnarová; der ersten Frau, die mit einem LKW in eine Menschenmenge raste und die überhaupt der erste Mensch war, der das Fahrzeug in ein Mordinstrument verwandelte.
Selbstfindung
Selbstverständlich ist AUTOS der ‚Roadmovie‘, als der das Stück von Beginn an gepriesen wurde. Die Reise der Protagonisten führt von Deutschland in den Balkan. Wer sagt aber, dass das titelgebende AUTOS für den fahrbaren Untersatz auf vier Rädern steht? Gleichzeitig könnte es eine Anspielung auf „auto“ sein, das griechische Wort für ’selbst‘. Damit wäre Mayrs Inszenierung eine Reise ins Selbst, eine stimmige Konklusion. Tatsächlich ergründen die Figuren zumeist sich selbst auf ihrer Fahrt durch Land und Vergangenheit. Sie werden zum Spiegel der Gesellschaft, zum Abbild ihrer Zeit. Das Publikum assistiert im Geiste und erhält einen ungeschönten Gesellschaftsentwurf, der nichts muss, aber alles kann. Auf der Reiseroute werden Erinnerungen wie Rastplätze besucht. Als roter Faden immer dabei, die unterschiedlichen Traumata, vor allem die des Vaters. Von Schuld ist die Rede und von Vergessen.
Letzte Station Wolfgangsee
Ob die Protagonisten jetzt tatsächlich die ehemalige ‚Gastarbeiterroute‘ gefahren sind, bleibt unklar. Zumindest endet der Referenz-Reigen am Wolfgangsee, also eher nein. Fröhlich schmettert die Sopranistin den passenden Schlager und macht deutlich, extreme musikalisch-textliche Brüche befeuern die Dramatik. Heiterkeit wechselt mit nachdenklichen Momenten und nimmt gleichzeitig – wie praktisch! – der Tragik ihre Schwere. Die Gastarbeiterroute von damals wird zum Fluchtweg von heute. Das setzt zugleich die neuen Asylbewerbern mit den alten in Korrelation. Zur Sicherheit packt Franz-Xaver Mayr jetzt doch noch den Erklärbären aus: Der weiße Bühnenboden wird mit Wellen geflutet, selbstverständlich nur visuellen. Zwei Schauspieler drapieren die anderen als Leichen. Im Meer. Fast genauso artifiziell die Lichtblitze, die minutenlang durch den Raum jagen, dass sich Epileptiker besser ausklinken. Schließlich funktioniert AUTOS ohnehin auch auf rein sprachlicher Ebene: Klar und deutlich hallen die Worte durch den Raum und verlieren dabei weder an Erhabenheit noch Sakralität oder ihren weltlichen Anker.
Fotonachweis: Matthias Heschl
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