Charleys Tante – Schauspielhaus Salzburg

Wenn Charleys Tante dreimal klingelt

Temporeicher Farce-Reigen: CHARLEYS TANTE am Schauspielhaus Salzburg zeigt, wie Salonkomödien eloquent und slapstickreich ins 21. Jahrhundert übersiedeln und dabei an Pointen gewinnen.

Bereits Heinz Rühmann stöckelte in ihren Spuren durch die Filmgeschichte, Peter Alexander folgte auf dem Damenfuße und jetzt schlüpft auch Antony Connor regelmäßig in ihre hochhakigen Pumps. Die Rede ist natürlich von CHARLEYS TANTE, Brandon Thomas‘ leichtfüßigem Kalauer mit dem humorigem Kultcharakter.

In aller Plot-Kürze

Die beiden befreundeten Studenten Jack Chesney und Charley Wykeham sind in Kitty Verdun und Amy Spettigue verliebt. Ihr Timing dafür entpuppt sich als denkbar ungünstig, sollen die beiden jungen Damen doch bereits am nächsten Morgen mit Amys Onkel Stephen in die tiefste Einöde von Schottland reisen. Um das zu verhindern, nötigen sie Jacks Butler Brassett, sich als Charleys reiche Erbtante aus Brasilien zu verkleiden und die Anstandsdame für das geplante Tête-à-Tête zu spielen. Chaos? Ist da natürlich vorprogrammiert.

Alles Tempo

Schnell, schneller, am schnellsten: Das Schauspielhaus Salzburg setzt mit Christoph Batscheiders Inszenierung von CHARLEYS TANTE auf eine temporeiche Farce, die bereits vor zwei Jahrhunderten das Volk entzückte – und ihren Autor vom einfachen Werftarbeiter zum reichen Mann katapultierte. Über finanzielle Zukunftsaussichten der Salzburger Produktion können nur Mutmaßungen angestellt werden (toi, toi, toi für Thomas‘ Reichtum), szenisch sieht es da schon sehr viel konkreter aus: Für CHARLEYS adaptierte TANTE setzt Christoph Batscheider auf  das Beste aus dem Original und subsumierte es mit zeitgenössischen Strukturen. Verstaubt? Keine Gefahr! Stattdessen treffen viktorianische Plot-Kompositionen auf die Kostümgeschichte der fünfziger, sechziger Jahre und die Lichttechnik des 21. Jahrhunderts.

Die Guckkastenbühne bildet die solide Basis für CHARLEYS TANTE (Ausstattung: Ragna Heiny, Dramaturgie: Christoph Batscheider, Licht: Marcel Busa). Gleichzeitig wird sie zu einer belebten Metapher für die beiden berühmten Film-Varianten aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Dafür baumelt unter anderem mitten im leicht abfallenden Bühnenbild ein leerer goldener Rahmen, in den noch vor Beginn der Vorstellung mit kinematografischen Lettern „Charleys Tante“ projiziert wird. Die Ähnlichkeit der Buchstabentypen mit dem damals gängigen Schriftbild dürfte kein Zufall sein. Genauso wenig wie der musikalische Charakter, der dem Stück anhaftet, und an die entsprechenden Musikfilme mit Heinz Rühmann oder Peter Alexander denken lässt. Gleichzeitig wird aber keineswegs im ewig Gestrigen verharrt, sondern mit pfiffigen Adaptierungen und pointierten Straffungen  eine amüsante Neuinszenierung kreiert.

#HimToo

Bekannte englische Pop-Songs und italienische Schlager werden vom schwer verliebten Charley Wykeham (Magnus Pflüger) zum Besten gegeben. Dem fällt es sichtlich schwer, vor lauter Herzchen in den Augen die Fassung zu wahren. Magnus Pflüger mimt einen sympathisch chaotischen und latent dusseligen Charley, der das totale Äquivalent zur snobistischen Upperclass-Attitüde seines Freundes Jack Chesney (Matthias Hinz) bildet. Letzterer lässt zwar bei jeder Gelegenheit rhythmisch die Hüften kreisen, laboriert aber im Allgemeinen an einem Mangel an Mitgefühl und an akuter ‚Gefühlskältitis‘ für seine Nächsten. Davon kann nicht nur, aber ganz besonders der gebeutelte Butler Brassett (Antony Connor) ein Lied singen. Von Jack dazu genötigt, Charleys abwesende Tante zu spielen, läuft Brassett zunächst zur Höchstform auf, nur um im Anschluss rabiat abzustürzen. Antony Connor weiß, nach was dem Travestie-süchtigen, auf Rühmann oder Alexander (oder beiden) gepolten Publikum dürstet – und gibt es ihnen in rauen Mengen. Voller Tatendrang wirft sich Brassett in seine hohen Pumps und noch höhere Stimmlage (die der Schauspieler konsequent durchhält) und kichert kokett mit den beiden jungen Damen um die Wette. Mit zunehmenden Turbulenzen und unerwünschten Avancen invertiert sein anfänglicher Elan allerdings rasch ins Gegenteil. Immer mehr Energie wendet der gebeutelte Butler auf, um den Nachstellungen von Sir Francis  Chesney (Olaf Salzer) und Stephen Spettigue (Marcus Marotte) zu entkommen. Alleine, das will nicht so recht klappen. Stattdessen wird Brassett als reiche Erbtante Donna-Lucia jetzt bockig, was sich herrlich im Mienenspiel des Darstellers und seinem erbost bestöcktelten Gang ausdrückt. Das kümmert die anstiftenden Gentlemen allerdings wenig; widerwillig lässt sich Brassett weiter für ihre Absichten erpressen, ehe die Situation endgültig eskaliert – #HimToo.

„Let’s Twist Again“

Amy Spettigue (Magdalena Oettl) und Kitty Verdun (Juliane Schwabe) greifen bereits optisch die Attitüde ihrer Verehrer auf. Deshalb spiegeln sich Jacks kleinkarierte Standesdünkel und Charleys sonniges Gemüt auch im gleichermaßen kleinkarierten Petticoat von Kitty und in der ebenfalls ockergelben Berockung von Amy. Obendrein gibt sich Kitty genauso distanziert und ‚betünkelt‘ wie Jack. Immer die Fassung wahrend und tonangebend, verliert sie erst die Contenance, als sie von Jacks „Paps“ beim Tête-à-Tête überrascht wird – empört gestikulierend hüpft sie daraufhin von der Bühne. Magdalena Oettls Amy präsentiert sich ebenso leidenschaftlich schwärmend und verliebt wie Charley. Um ihrer Liaison eine weitere komödiantische Note zu verpassen, setzt die Produktion auf humorige Twists; so schaukeln Charley und Amy vertraut im Bilderrahmen und küssen erwartungsvoll die Luft, während sie zum 101. Mal in den Garten entsandt werden, um die Rosen und Primeln zu bestaunen. Dort – hinter der Guckkastenbühne – versammelt sich das Ensemble auch regelmäßig zu einer ganz eigenen Choreografie; immer wieder zieht die illustre TANTEN-Polonaise im Hintergrund vorbei, wirft euphorisch Flitter, und entsendet nur die jeweilig benötigten Protagonisten*innen auf die Bühne. Eine gelungene Idee, die den Raum sehr viel größer erscheinen lässt, als er eigentlich ist, und einen Garten kreiert, der einer Parklandschaft gleicht.

Amors Pfeil

Das Läuten der Türklingel wurde durch menschliche Varianten ersetzt, die einen kleinen Vorgeschmack auf das Kommende liefern. So erfüllt sich Sir Chesneys (Olaf Salzers) gestrenges „Dingdong“ umgehend – und wird zusätzlich leitmotivisch von einem Militärmarsch begleitet. Apropos! Diesmal ganz ohne Schlafmantel, dafür aber mit schneidig-britischem Kolonial-Outfit nebst keckem Tropenhut und fest eingeklemmter Reitgerte gibt Olaf Salzer den gerade aus Indien heimgekehrten Colonel. Forsch und militärisch stramm hält er mit seiner Meinung selten hinterm Berg, sondern gestikuliert lieber wild mit seiner Reitgerte. Als sich Sir Chesney aufgrund seiner aussichtslosen finanziellen Situation doch an die reiche Erbtante heranpirscht, die er herrlich lapidar irgendwo zwischen 50 und 100 Jahren ansiedelt, ist das Chaos groß (und Brassett panisch). Wütend-unbeherrscht stürmt Stephen Spettigue (Marcus Marotte) auf der Suche nach Nichte und Mündel in den Raum, passend zum musikalischen Arrangement, das an einen Detektivfilm erinnert. Wunderbar der Wandel der Figur bei Aussicht auf Vermögen: Ungeniert stellt er der angeblichen Erbtante in rosa Hemd und grauem Zwirn nach, während immer wieder die rosa Socken aufblitzen – von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Übrigens währt Mr. Spettigues kalkulierende Verehrung genau so lange, bis ihm die tatsächliche Donna-Lucia d’Alvadorez (schelmisch Ute Hamm) einen Strich durch die Rechnung macht. Amüsiert und nonchalant entblättert sie nach und nach die Scharade und genießt ihre Aufgabe sichtlich.

Wer waren nochmals schnell Heinz Rühmann und Peter Alexander? Das Publikum zeigte sich von der adaptierten Farce sichtlich angetan und applaudierte euphorisch. Zeitreise? Check!

 

Fotonachweis: Jan Friese

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