Das Goldene Vlies | Schauspielhaus Salzburg

Das Goldene Vlies – Schauspielhaus Salzburg

MEDEENS IST DIE RACHE.

Christoph Batscheider inszenierte Grillparzers DAS GOLDENE VLIES am Schauspielhaus Salzburg als starke Tragödie mit archaisch-modernen Momenten. Sehr gelungen, extrem kurzweilig.

Auch Autoren haben Gefühle. Und die wurden bei Franz Grillparzer ordentlich strapaziert, als sein dramatisches Gedicht in drei Teilen, auch bekannt als „Das Goldene Vlies“, anfangs nur Achtungserfolg erfuhr. Schlimmer geht immer, deshalb wurde der letzte Teil der Triologie häufig sogar ganz alleine gespielt. Neun Aufführungen der ersten beiden standen den 37 der „Medea“ gegenüber. Höchste Zeit, die Zahl zurechtzurücken und das Stück vollständig zu spielen. Das Timing dafür ist so perfekt, dass man am  Zufall zweifeln möchte: Als die europäischen Politiker*innen neulich in Salzburg beim EU-Gipfel die Flüchtlingsfrage debattierten, feierte am gleichen Tag der Mythos des europäischen Flüchtlingsdramas um Medea und Jason Premiere. Am Schauspielhaus. Sowieso.

In aller Plot-Kürze

Der Grieche Phryxus kommt nach Kolchis und bittet mit dem Goldenen Vlies im Schlepptau um Asyl. Aietes, der König von Kolchis, willigt zum Schein ein, raubt dann aber das wertvolle Göttergeschenk. Medea, seine zauberkundige Tochter, findet das wenig erfreulich und vorsieht Übles für das Land. Ihre Visionen bestätigen sich; kurz darauf landen die Argonauten mit Anführer Jason auf Kolchis, um den Schatz zurückzuerobern. Medea verliebt sich in den schönen Helden und warnt vor des Vaters List. Kurz darauf fällt ihr Bruder Asyrtus durch seine Hand und auch Aietes stirbt. Dank Medeas Hilfe gelingt es Jason mit dem Goldenen Vlies zu flüchten, immer an seiner Seite, Medea. Die beiden irren umher, niemand will dem Griechen mit der Barbarin Asyl gewähren. Einige Jahre und zwei Kinder später landen sie in Korinth. König Kreon gewährt Jason und dem Nachwuchs Gastrecht, Medea muss leider draußen bleiben. Schließlich will Kreon seinen Traumschwiegersohn mit der eigenen Tochter verehelichen. Jason sagt sich von Medea los und folgt Kreons Angebot. Aus Rache ermordet Medea ihre Kinder.

Kolchis‘ Abgründe

Das Konzept von Christoph Batscheiders Inszenierung zerfällt in zwei spannende Teilbereiche: dem Flüchtlingsdrama rund um Medea und Jason zum einen und der neuzeitliche Ehe-Tragödie zum anderen. Dabei erfolgt keine strikte Trennung, die Grenzen sind fließend und verleihen dem GOLDENEN VLIES Tiefe. Klar archaisch gestaltet sich das erste Gedicht, DER GASTFREUND. Bereits die Kulisse wird zur seelischen Introspektive (Ausstattung: Isabel Graf, Musik: Georg Brenner, Licht: Marcel Busa). Große, quadratische schwarze Klötze liegen scheinbar wahllos verstreut auf der Bühne und gemahnen düster an Kommendes; in Kolchis regiert das Wilde, das Unbekannte. Dementsprechend treten die Kolcher in dunklen Gewändern und mit barbarischem Gehabe auf. Das Goldene Vlies | Schauspielhaus SalzburgUntereinander verläuft die Kommunikation erstaunlich gesittet. Der Perspektiven-Wechsel hält der Gesellschaft dezent den Spiegel vor. Im Kontrast dazu das erhabene Griechenland. Die schwarzen sargähnlichen Gebilde stehen jetzt geordnet wie große Dominosteinen auf der Bühne. Selbst die Kleidung drückt Stolz auf die griechische Provenienz aus: gülden, herrschaftlich, schön.

Archaische Extreme

Zur archaischen Heldin schwingt sich Kristina Kahlert als Medea mit großartiger Intensität auf. Wild schlägt sie mit den Händen auf die Erde und erhebt das Haupt flehend zu den heidnischen Gottheiten. Wie von Sinnen brüllt sie Jason an, der Medea, um sich selbst zu retten, so ganz und gar unrühmlich verstößt. Medea kann aber auch gefährlich ängstlich; es graut ihr eindrucksvoll vor den eigenen Visionen. Gleichzeitig verhöhnt die junge Königstochter Jason in der Höhle des Drachens, als er vor dem Raub des Vlieses kurz zögert. Es sind raue und wilde Emotionen, die Kahlerts Medea durchlebt und eindrucksvoll in den Saal schmettert. Medea ist hier, mitten auf der Bühne, da kümmert auch die Gipshand wenig, die sich die Schauspielerin bei der Premiere zuzog.

Umtausch ausgeschlossen

Das Goldene Vlies | Schauspielhaus SalzburgIn die gleiche archaische Kerbe schlägt Marcus Marottes Aietes. Als König von Kolchis spiegeln sich die Gier und die rohen Sitten ungeschönt in seiner Mimik. Kaum des Goldenen Vlieses gewahr, setzt ein gefährliches Funkeln in Aietes Augen ein, das nichts Gutes verheißen möchte und wird. Wunderbar die Szene, als ihm Phryxus (Theo Helm als stolzer Grieche) das goldene Wunderding überlässt und gleichzeitig seinen Fluch darüber ausspricht. Plötzlich will Aietes das Vlies gar nicht mehr. Seine Stimme überschlägt sich fast, wird hysterisch, doch Phryxus nimmt es nicht zurück. Imposant wird der Speer geworfen, eindrucksvoll sinkt Phryxus danieder. Das Goldene Vlies | Schauspielhaus SalzburgÄhnlich effektvoll haucht wenig später Absyrtus (Lukas Bischof als gehorsamer Sohn und leidenschaftlicher Bruder) sein Leben aus. Zumindest der Schauspieler darf auferstehen: Als eindrücklicher Herold in einer sehr zeitgenössisch Videoprojektion, die sich aber erstaunlich stimmig einfügt.

Die Wilden versus die Erhabenen

Die Kolcher sind „Barbaren“. Inflationär verwenden die dünkelbehafteten Griechen das Wort und pfeffern es den Einheimischen bei jeder Gelegenheit um die Ohren. Dass sie sich damit selbst obsolet führen, ist selbstverständlich intendiert. Jason (Simon Jaritz) kommt als griechischer Anführer der Argonauten auf die Insel und ähnelt verdächtig dem Helden einer Romcom. Vielleicht liegt es an dem gutgelaunten Charme, den sein Jason in rauen Mengen versprüht. Der steht allerdings auch in merkwürdigem Kontrast zum archaischen Element der Mise en Scène. Das griechische Romcom-Idyll erhält beim Raub des Vlieses erste Risse. Die dehnen sich im zweiten und dritten Teil ins Hässliche und kulminieren in einen mythologischen Sorgerechtsstreit. Irgendwo  dazwischen pendelt Gora (Ute Hamm), Medeas Amme. Als Medizinfrau gekleidet, stachelt sie ihren Schützling zu bösen Taten an und scheint selbst plötzlich seltsam erschüttert ob des Verlaufs der Dinge. Sie ist sich aber erstaunlicherweise keiner Schuld bewusst und richtet ihre Wut lieber auf Medea.

Bruder im Nibelungen-Geiste

Das Goldene Vlies | Schauspielhaus SalzburgLieb und nett, das war einmal. Jason wird zum garstigen Ehemann und Medea zur kratzbürstigen Gattin. Nicht zum ersten Mal erinnert ein Teil des Geschehens ans Nibelungenlied. Wenn man Phryxus im ersten Teil noch zurufen möchte, seine Waffen nur ja nicht abzugeben („Denk an Hagen! Denk an den Spielmann Volker!!“) und auch wenn das Goldene Vlies verdächtig an die Fähigkeiten einer Tarnkappe erinnert, dann ist es jetzt Brünhild, die unvermutet als Medea bei Grillparzer in Erscheinung tritt. Bockig verhöhnt Medea ihren Ehemann und fordert ihn heraus. Der hat sein erhabenes Griechen-Dasein längst abgelegt und zeigt mit dem König von Korinth (Harald Fröhlich als selbstbewusster Monarch) und dessen Tochter Kreusa (Larissa Enzi ambivalent) sein gar nicht so edles Antlitz.

Kristina Kahlerts Medea hat es geschafft: Von der rachsüchtigen Kindesmörderin wandelt sie sich zur Sympathieträgerin. Medea, die Heimatlose, die Verratene als Opfer pa­t­ri­ar­cha­lischen Egoismus‘ und ihrer Umstände. Spannende Facetten einer extrem kurzweiligen Inszenierung.

Die Götter müssen verrückt sein

DAS GOLDENE VLIES von Grillparzer, diese Adaption des griechischen Mythos aus der Zeit des Biedermaiers, scheint in der Moderne dann aber doch brisanter als erwartet. Die Götter fordern auch am zweiten Abend ein Opfer. Beim Schlussapplaus verbeugt sich nicht nur eine zu Recht strahlende Medea mit Gipsarm, unvermutet humpelt auch Jason über die Bühne. Mhhhhh, also gehumpelt hat der Schauspieler vorher noch nicht. Ob es an dieser Stelle angebracht ist, dem Ensemble „Hals und Beinbruch“ zu wünschen? Es scheint fast, als wäre das beim GOLDENEN VLIES heikler als gedacht. Liegt es am griechischen Mythos? Was wollen die Götter uns sagen? Man weiß es nicht, aber „toi, toi, toi“ für den Rest der Vorstellungen. Immerhin stehen noch einige auf dem Programm – und Götter, ganz ehrlich, sollen ihre Intrigen bitte im Olymp austragen… 😉

 

Fotonachweis: Jan Friese

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