„Der Ignorant und der Wahnsinnige“ premiert am kleines theater in Salzburg
Das testamentarisch verfügte Aufführungsverbot ist ausgehebelt und die Koloraturmaschine trilliert wieder. Das Theater.Licht bereichert mit „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ von Thomas Bernhard die freie Szene in Salzburg.
Es ist ein bisschen wie Heimkommen. Zurück in die Jugend, damals, als man für den kauzig großartigen Autor schwärmte, der Fernsehinterviews bisweilen mit einem knappen, aber kategorischen „und aus!“ beendete, sich in verschachtelter Syntax erging und überhaupt mit Missmut punktete: Thomas Bernhard. Am kleines theater in Salzburg premierte dieser Tage sein zweites Bühnenstück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ und versammelt in der Produktion von Theater.Licht vorbildlich alle Lieblingsthemen des Schriftstellers.
In aller Plot-Kürze
Die beiden titelgebenden Figuren warten in der Garderobe auf eine berühmte Opernsängerin, die an diesem Abend zum 222. Mal die Königin der Nacht geben soll. Der eine ist der bereits halb erblindete Vater der Diva, ein Alkoholiker, der andere ein Doktor, der als manischer Monologisierer zwischen medizinischen Exkursen und philosophischen Exzessen oszilliert. Die Diva selbst kommt erst in allerletzter Minute und wer jetzt noch nicht wusste, dass Bernhard am Spielplan steht, sollte es zumindest an dieser Stelle erfasst haben. Nirgends wartet es sich so zuverlässig, so wortgewaltig und zugleich so musikalisch wie bei Thomas Bernhard. Dafür wird das Stück selbst zu einer Partitur, das von Stilfiguren nur so wimmelt. Von C wie Chiasmen bis P wie Polyptoton, Palilogia oder Pronomasia.
Musik liegt in der Luft
Das Spannende, bei Thomas Bernhard werden die Stilfiguren aus dem Musikbereich auf die textliche Ebene angewandt. Das heißt, dass die Syntax verdreht, wiederholt oder ständig neu angeordnet wird; alles im Dienst der psychologischen Deutlichmachung und deutlich wird hier so einiges. Vergessen ist der Wink mit dem Zaunpfahl, bei Theater.Licht wird mit dem Empire-State-Building gewunken (Regie: Cassandra Rühmling, Musik: Stefan Ried). Und wenn das jetzt noch nicht deutlich genug war, dann hilft der Wahnsinnige sicher gerne auf die Sprünge. Stefan Ried schlüpft in die Rolle des Verehrers der Diva und gibt den manischen Wortjongleur mit Hingabe. Immer intensiver werden seine Monologe, immer körperlicher. Die Figur ist dominant und steuert das Szenenspiel. Das merkwürdige Ploppgeräusch, das die Wechsel zwischen den „Disziplinen“ das manischen Vielredners ankündigt, wäre allerdings nicht nötig gewesen.
Sehnsucht nach Selbstzerstörung
Musikalität, Genauigkeit und das Streben nach tödlicher Vollkommenheit sind die Laster der Diva, die als „Koloraturmaschine“ betitelt, immer wieder die gleiche Passage der berühmten Arie vor sich hin trällert. Tatsächlich wird durch ihre musikalischen Ergüsse und deren Neuinterpretation auch das unstete der Figur greifbar und ihre Sehnsucht nach Selbstzerstörung. Der Vater (Stefan Fleming) indes brummelt vor sich hin und wird erst dann so richtig lebendig, als es an Spott und Hohn geht oder Alkohol in greifbare Nähe rückt. Dass in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ auch noch der Vaterkonflikt auf den Tisch kommt, ist klar und wurde bereits sehnsüchtigst erwartet. Oder wie es eine Zuschauerin nach der Premiere nostalgisch seufzend formulierte, „… hach, der Thomas Bernhard halt!“.
Hommage an den berühmten Salzburger
Das Einzige, was bei „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ nicht ins Konzept passen möchte, sind Kostüme und Maske. Gut, letzteres mag beim Doktor dem Pathologischen geschuldet sein. Schließlich handelt es sich auch um ein schaurig-amüsantes Stück – längst schon ist dem Œuvre des Autors das Skandalöse abhanden gekommen (übrigens genau wie das testamentarisch verfügte Aufführungsverbot für Österreich im allgemeinen und Salzburg im speziellen).
Wenn an diesem Abend also etwas aufregte, dann höchstens die Kostüme – und auch die regen eigentlich mehr zum Nachdenken an. Machen die Vogelfänger Anleihen für Frau Vargo und Kellner Winter Sinn, so scheint es rätselhaft, warum Ignorant und Wahnsinniger in Montur von mittelalterlichem Nachtwächter und Adeligem auftreten. Zeitgenössischer als Bernhard scheint doch kaum möglich und irgendwie widerspricht diese Kostümierung gänzlich allem, wofür Thomas Bernhard steht. Das ist allerdings auch schon der singuläre Wermutstropfen einer sehr gelungenen Produktion, die ganz viel Bernhard-Nostalgie versprüht und dem großartig miesepetrigen Schriftsteller dann auch noch mit eigenem Porträt Tribut zollt.
Fotonachweis: Foto Flausen
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Sehr geehrte Frau Bloggerin
Die Kostüme entstammen sicher nicht dem Mittelalter. Der Doktor trägt so genannte Pantalons, wie sie nach der französischen Revolution (18.Jh.) in Mode kamen. Die „Königin der Nacht trägt im 2. Teil ein langes weisses Kleid. Auch hier muss man sagen dass nach der französischen Revolution Frauen kein Korsett mehr getragen haben. Ich sehe in diesen beiden Kostüme eher eine Verbindung zu Mozart, (Königin der Nacht) schließlich hat er während der Revolution noch 2 Jahre gelebt.
Den „Inverness Mantel“ des Vaters war Ende des 19.Jh. modern und ist es noch bis heute. Mit viel Fantasie kann man behaupten, dass dieses Kostüm, die Verbindung zur Neuzeit und der Welt von Thomas Bernhard symbolisiert.
Frau Vargo und den Kellner als Persiflage auf Papagena und Papageno darzustellen, ist sicher ein genialer Regieeinfall gewesen.
Das „Plopp“ hat mich ebenfalls irritiert, würde ich am Schluss allerdings durchgehen lassen, weil es dem szenischen Ablauf dienlich ist. Im Gesamten war es eine sehr gelungene Aufführung mit viel Wagemut, aber passend zur Zeit und Salzburg. Schade dass sie in ihrem Blog nicht auf das „Paranoia Medley“ ,gesungen von der Königin der Nacht, eingegangen sind.
Ansonsten ein sehr schöner Blog ihrerseits
Lieber Herr Feitler, herzlichen Dank für Ihre Korrektur. Das ist auch sehr einleuchtend und erhellend. Allerdings bin ich immer noch der Meinung, selbst wenn es auf die Zeit Mozarts zurückdatiert, der Sprung zu Bernhard dann doch zu weit ist. Wohlwissend, dass es Bernhard ja nicht wirklich mit Kostümstücken hatte.
Allerdings freue ich mich sehr über Ihre Worte (vielen Dank!) und schließe mich natürlich an, dass es eine sehr gelungene Aufführung war. Eine Gute Frage übrigens, warum ich nicht auf das Medley eingegangen bin. Ich weiß es nicht. Aber ich freue mich, dass Sie hier nochmals darauf hinweisen. Und ich würde der Produktion auch sehr wünschen, wenn sie noch sehr viel öfters aufgeführt werden würde.
Viele Grüße
Veronika von What I saw from the cheap seats