Der Kaktus OFF Theater

Der Kaktus – OFF Theater Salzburg

Mein kleiner grüner Terror-Kaktus

Am OFF Theater sorgt ein Chaos-Quartett für Gerechtigkeit – oder auch nicht. Juli Zehs „Der Kaktus“ moralisiert in Salzburg und das in sehr heiterer Inszenierung.

Früher, da war alles anders. Da wurde der Kaktus noch besungen und von allen gemocht. Jetzt ist er plötzlich ein Gefährder. Statt Zuckerbrot die Peitsche. Statt eigenem Plätzchen auf dem Balkon, ein gnadenloses Verhör im Aufenthaltsraum für Polizeianwärter*innen. Das ist ziemlich lustig. Zumindest für das Publikum. Die Politsatire „Der Kaktus“ stammt von Juli Zeh und wird in einer Inszenierung von Alex Linse am OFF Theater in der Salzburger Eichstraße geboten. Zugleich ist das Stück aber natürlich alles andere als lustig. Schließlich arbeitet die Schriftstellerin auch als Juristin und hinterfragt regelmäßig Begriffe wie Gerechtigkeit.

In aller Plot-Kürze

GSG-9-Mitglied Jochen Dürrmann hat einen echten Coup gelandet und einen international gesuchten Terrorverdächtigen verhaftet – einen Kaktus! Doch der gibt sich im Verhör abgebrüht und schweigt eisern. BKA-Beamtin Dr. Schmidt wird hinzugezogen und greift zu noch radikaleren Methoden, die im starken Widerspruch zur Demokratie stehen. Polizeischülerin Susi ist empört, ihr Kollege Cem beeindruckt und selbst Jochen Dürrmann beginnt langsam zu zweifeln.

„Der Kaktus“ und tief fliegende Klischees

Juli Zeh ist engagiert. Das spiegelt sich auch in „Angriff auf die Freiheit“. Das 140 Seiten lange Plädoyer veröffentlichte sie mit Ilija Trojanow im gleichen Jahr wie „Der Kaktus“. Die Themenwahl ist die gleiche. Aber, selbst wenn die Klischees im „Kaktus“ tief fliegen, das OFF Theater bringt Farbe ins Spiel. Frech, selbstbewusst und ungeniert zaubern sie ein Vorurteil nach dem anderen aus dem Hut und lassen kein Fettnäpfchen ungenutzt. Stattdessen wird mit viel Liebe zum Detail die politische Inkorrektheit und ein Boulevard-Kammerspiel gefeiert.

Dafür darf auch, und das ist das wirklich schöne, ein blonder weißer Mann den Bürger ausländischer Provenienz mimen. Thomas Pfertner ist ein gelungen einfach gestrickter Cem, der sich wunderbar beim Denken zusehen lässt. Kindlich beeindruckt zeigt er sich vom scheinbar abgebrühten GSG-9-Mitglied Jochen Maria Dürrmann (Jakob Kücher). Dass der aggressive Sondereinsatzkollege sich selbst als Opfer betrachtet, nämlich das seiner total verständnisvollen biodeutschen Eltern, ist eine herrliche Pointe. Überhaupt ist dieses Good Cop, Bad Cop Duo mit der zum Teil etwas verlängerten Leitung sympathisch. Nichts verbindet so sehr, wie gemeinsame Bastelarbeiten.

Über Demografen und andere Dinge

Diana Paul gibt eine selbstbewusste Susi, auf die die Polizeischüleraufenthaltsraumbesetzungsmischpoche mal lieber besser hätte hören sollen. Sie ist, was Cem so charmant als „Demografin“ bezeichnet. Als ihr aber durch die Foltermaßnahmen der Kollegenschaft besagte Demokratie abhanden kommt, steht die ehemalige Abiturientin plötzlich ohne Glauben da. Das gibt zu denken. Schließlich definieren sich die meisten über dieses und jenes – und der Glaube an die Demokratie dürfte allgemein recht weit vorne angesiedelt sein, genauso wie das Wanken derselbigen.

Vorher folgt aber noch ein Plädoyer, fast genauso flammend wie das von Dr. Schmidt (Anja Clementi) oder Jochen Dürrmann. Wer genauer hinsieht, erkennt in diesen Ansprachen Parallelen zu antiken Dialogen. Verteidigen sie doch alle ihre jeweils präferierten Rechtssysteme und Moralvorstellungen. Gar nicht so abwegig, schließlich ist es auch Dr. Schmidt, die an einer Stelle das antike Griechenland bemüht. Aktuelle Parallelen dürfen nicht fehlen. Schließlich ist 2009 schon ein Weilchen her und auf dem Feld der Freiheitsminimierungen und Bürger-Überwachung hat sich in den letzten 14 Jahren so einiges getan.

Der Schluss ist fragwürdig und wirkt von Juli Zeh erzwungen.Vielleicht wollte sie aber auch einfach keine Lösung aus dem Dilemma bieten. Das OFF Theater rettete den „Kaktus“, in dem es Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ über die Reste der Gerechtigkeitschaoten rieseln lässt – und ja, der Song passt hervorragend ins Konzept. Statt der roten Rosen sind es dann halt die roten Laserpunkte der Scharfschützen von der Fraktion 21. Jahrhundert.

 

Fotonachweis: Taro Ebihara

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