Frauenlist, Feenklamauk und zwei Freier im Onesie.
Stellen Sie sich vor, Sie erhalten einen Liebesbrief. Das ist erfreulich. Stellen Sie sich außerdem vor, eine gute FreundIn bekäme genau den gleichen Brief, identisch bis in den letzten Vokal. Das ist ärgerlich und der Stoff zu William Shakespeares Komödie „Die lustigen Weiber von Windsor“. Dem hat sich die Theaterachse in der Regie von Mathias Schuh angenommen. Temporeich, mit nur sechs SchauspielerInnen in wechselnden Rollen und leichtfüßiger Klavierbegleitung (Klavier: Sophia Schuh) entfaltet sich ein mitunter derbes, aber zugleich unglaublich humoreskes und authentisches Stück englische Komödie.
So könnte William Shakespeare öfters inszeniert werden. – M. Schuh verbindet ungeschliffene, anstößige Zoten mit heiteren komödiantischen Momenten und garniert sie mit modernen Einsprengsel. Das verleiht der Unterhaltung eine kurzweilige Note und entzückt (hörbar) das Gros des Publikums. Neben zahlreichen Wortspielen finden sich auch einige Goethe-Zitate. Goethe selbst wäre vermutlich ziemlich erfreut, indirekt von seinem großen, ca. 185 Jahre vor ihm lebenden Vorbild Shakespeare zitiert zu werden. Genau diese Tendenzen werde auch vom Kostüm wunderbar aufgegriffen, das mit epochenübergreifenden, schlichten Kombinationen punktet (Ausstattung: Rafaela Wenzel).
Exkurs – Anfang: Freundin B. und ich kennen Shakespeare auch anders. Als wir wieder einmal gemeinsam in London weilen, wollen wir unbedingt eine Vorstellung im berühmten Globe Theatre an der Themse beiwohnen. Das hatten wir schon ewig geplant, bisher aber nur die Führung (einmal) und den Museum Shop (mehrmals – übrigens sehr empfehlenswert für Dinge, die man nie braucht, aber unbedingt besitzen möchte -> u.a. „Shakespeare – The Bard’s Guide to Abuses and Affronts“) von unserer Liste streichen dürfen. „Richard III.“ hatte das Glück. Wir eher weniger. Der Ausflug schrieb Geschichte in unseren Freundschafts-Memoiren; nie langweilten wir uns mehr als an diesem Nachmittag über den Köpfen der „groundlings“ und den pompösen, steifdeklamierenden Charakteren auf der Bühne. Exkurs – Ende.
„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah“. – „Die lustigen Weiber“ im Kleinen Theater haben uns wieder mit Shakespeare-Inszenierungen versöhnt (danke liebe Theaterachse). Ähnliches hatten wir uns damals in London für Richard III. erhofft; M. Schuh tobte sich kräftig auf seiner Regie-Spielwiese aus. Die Interpretation ist laut, sie flucht und poltert, ist zum Umfallen komisch und die Aussprache mitunter feucht (ein kleiner, maliziöser Gruß an die 1. Reihe – dahinter lebt es sich recht fein).
Sir John Falstaff, ein trink- und spielsüchtiger Zeitgenosse, tendiert zur absoluten Selbstüberschätzung. Nur so ist zu erklären, dass er in seinem bankrotten, desolaten Zustand gleich mehrere Damen zur selben Zeit umwirbt. Freilich nur um dabei kräftig abzusahnen. Das rächt sich. Der Schwindel fliegt natürlich auf (böses Karma möchte man einwerfen) und die Damen beschließen, den dicken Ritter vorzuführen. Doch auch dieses Vorhaben verläuft nicht reibungslos. Denn plötzlich mischen auch noch ein eifersüchtiger Ehemann und eine heiratsfähige Tochter im großen Intrigen-Reigen mit. Die Shakespeare-Komödie ist perfekt, das Chaos groß und nicht nur der dicke Sir John am Rande der Verzweiflung. Sommernachtstraumähnliche Zustände erwachen auf der Bühne zu neuem Leben.
Einer der herausragendsten Interpreten der generell überhaupt allesamt herausragenden InterpretInnen an diesem Abend ist Sebastian Brummer. Trinksüchtig, ungustiös und an maßloser Selbstüberschätzung laborierend, tappt er zielsicher in jede ihm gestellte weibliche Falle. Sehr zur diebischen Schadenfreude der auf Revanche sinnenden Damen. Nebenbei lässt Sir John voluminös und kräftig seine Stimme erklingen und tanzt sich abwechselnd in Ekstase oder Rage bis die Bühnenbretter vibrieren. Das hohe Tempo wird beibehalten, die Energiereserven scheinen unerschöpflich. Als französischer Jüngling glänzt der gleiche Akteur mit humoresken Interpretationen eines französischen Akzents und liefert sich köstliche pantomimisch-imaginäre Schlägereien mit seinem Kontrahenten (Andreas Jähnert). Ähnlich begeistert Elisabeth Nelhiebel in ihrer Doppelrolle als Herold (höchst kokett als singendes Telegramm und Sekretärin der Windsor-Ladies), Wirtin (burschikos, wortkarg und unglaublich neugierig mit sämtlichen Abhörmethoden gewaschen) und Fen (maskulin jugendlich). Auch die zwei listigen Damen, die die Rache an Sir John aushecken, brillieren mit ihrem Gespür für Humor und leidenschaftlichem Engagement (Anna Paumgartner, Claudia Schächl). Überhaupt harmoniert das Ensemble der Theaterachse bestens und versprüht unglaubliche Spielfreude. Die kulminiert in der Sommernachtstraum ähnlichen Wald-Sequenz, wenn zur finalen Rache an Falstaff gerufen wird. In absolut amüsanten, kreativen und aberwitzigen Kostümierungen (optisch und verbal) bittet die Gesellschaft zum Feenklamauk. Die Szene ist der köstliche Höhepunkt eines wunderbaren Abends, der viel zu schnell endet.
Um auch hier noch einmal auf Freund Goethe zurückzugreifen: „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“. Es war gar nicht so einfach, Freundin B. – die kritischste aller kritischen aus dem Englischen ins Deutsche übertragenen Stücke-Rezipientin – zum Besuch der „Lustigen Weiber von Windsor“ zu motivieren. Nach diesem Abend dürfte es allerdings ein Leichtes sein, sofern die Theaterachse involviert ist. Apropos: Alles Gute zum 20jährigen Bühnenjubiläum. Live long and prosper.
Fotomaterial: (c) Chris Rogl // Die Theaterachse
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