Der Richter und sein Henker - Der Verdacht | Schauspielhaus Salzburg | Jan Friese

Der Richter und sein Henker | Der Verdacht – Schauspielhaus Salzburg

Effizienz am Schauspielhaus Salzburg: Gerhard Willert inszenierte mit „Der Richter und sein Henker – Der Verdacht“ gleich zweimal Dürrenmatt in einem Stück.

Er hat’s mit der Gerechtigkeit, dieser Dürrenmatt. Man möchte sogar soweit gehen und dem Schweizer einen regelrechten Gerechtigkeitsfimmel attestieren. Das ganze selbstredend ohne jedes medizinisches Know-how. Das Œuvre pfeift es schließlich auch so von den Dächern. Egal ob betagte Dame oder bejahrter Kommissär, vor dem Schweizer Schriftsteller, Dramatiker und Maler sind alle Figuren gleich: Die Rache ist ihre und vergolten wird mindestens genauso biblisch. Wer also weiß, wo Dürrenmatts Grab liegt, sollte die Ohren spitzen. Vermutlich wird es dort aktuell freudig rumpeln. Grund dafür ist die geballte Krimi-Power am Schauspielhaus Salzburg. Gerhard Willert führte mit „Der Richter und sein Henker – Der Verdacht“ zwei Dürrenmatt Texte auf knackige 90 Minuten zusammen.

In aller Plot-Kürze

Kriminalkommissar Bärlach liegt im Krankenhaus und erinnert sich in seinen Träumen an die Konsequenz einer fatalen Wette, die er vor 40 Jahren mit Gastmann schloss. Gastmann schwor damals auf die Existenz des perfekten Verbrechens, Bärlach hielt dagegen und es startete eine morbide Versuchsreihe. Dass der Komissär dem Mörder nur mit einem untergeschobenen Verbrechen beikommen kann, kratzt am Ego – selbst als er am Lebensende auf der Krankenstation liegt. Tagsüber vertreibt er sich die Zeit mit Nachrichten aus den diversen Journalen. Eines Tages beobachtet er zufällig, wie sein Doktor bei einem Artikel über einen ehemaligen KZ Arzt erbleicht. Bärlach will es genauer wissen und setzt sich auf die Fährte jenes Mediziners, der nach dem Krieg vielleicht doch nicht den Freitod wählte.

Kollision der Metaebenen

Dass das mit den 90 Minuten funktioniert, bedarf es einer straffen Handlungsabfolge und Trick 17. Tatsächlich ist der Plot bis ins kleinste Detail durchgetaktet und folgt einem minutiösen Zeitplan ohne Leerlauf. Keine Sekunde wird verschenkt, sondern für das Konzept sinnstiftend umgesetzt. Dafür macht sich Regisseur Gerhard Willert Rahmen- und Binnenhandlung zu eigen und lässt die Metaebenen kunstvoll durch die Luft sausen. So wird allerdings auch das Einfinden in den Erzählstrang zum eigentlichen Kraftakt – für das Publikum. Was ist hier Traum, was Realität? Die Entdröselung dauert, lohnt sich bei aller Schwere allerdings auch (Musik: Wolfgang Dorninger).Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

„Der Richter und sein Henker“ oszilliert zu einer psychedelischen Grenzerfahrung. Dazu tragen die Traumebene sowie das entrückte Trio bei, das sich dort tummelt. Tschanz (Jakob Kücher), Gastmann (Antony Connor) und die dritte Frau (Sophia Fischbacher) springen und hüpfen wie unheilvolle Narrengestalten durch den Krankensaal und künden vom Teufel, in zweierlei Regiolekten, schließlich ist der Autor ja Schweizer. Das mutet vorurteilslastig und erzwungen ulkig an. Selbst wenn sich noch ein unheimliches Moment dazu gesellt, laboriert die Fasnacht Anleihe an einem akuten Fall von Inhomogenität. Vielleicht, weil sie so aus dem ansonsten strengen, naturalistischen Rahmen fällt.

Umso gelungener hingegen die klaren Momente der drei Figuren, die demonstriert, hier ginge noch so viel mehr. Antony Connors Gastmann beherrscht das Perfide, Aalglatte seiner Rolle, an dem Bärlach 40 Jahren scheiterte. Küchers Tschanz ist einfachen Naturells, aber voller Elan und Frustration. Der perfekte Henker, um das mit der Gerechtigkeit doch noch in die für Bärlach richtigen Bahnen zu lenken.

Politisches Setting

Gerhard Willert orientiert sich an Dürrenmatts Konzept der Verfremdung. Beim Zuschauer soll Distanz zum Geschehen erweckt werden, eigenständiges Denken satt passiver Konsum. Dafür setzt setzt der Regisseur auf tragisch-groteske Elemente und das passende Setting von Alexandra Pitz (Ausstattung). Das Bühnenbild lädt zum Sinnieren ein und fordert den Geist mit einer Krankenstation, wo außer Bärlach nur noch die Lichter ruhen. Die blinken hin und wieder resolut auf. Wie Ideen, die – ganz ephemer, im Moment ihrer Geburt schon wieder entschwinden.Marcus Marotte und Olaf Salzer als Bärlach und Gulliver Dass dazu unterm Bett auch die blauen Strahler leuchten, erzeugt die Farben der Ukraine. Das, so darf vermutet werden, ist kein Zufall. Zumal dann auch Gulliver (Olaf Salzer) immer wieder die Wodka Flasche schwingt und alkohohlselig ermahnt, an all die Juden zu denken, die noch heute verfolgt werden. Er hebt das Glas, weil Theater immer irgendwie (un)freiwillig politisch ist.

Text als Komposition

Komissär Bärlach ist das Verbindungsglied zwischen den Handlungssträngen und unterschiedlichen Ebenen. Auch wenn es anfänglich nach Pyjamaparty anmutet, artet die relativ rasch in einen waschechten Kriminalfall aus. Marcus Marotte mimt den nunmehr todkranken Bärlach („Der Verdacht“) mit großartigem Gespür für unterschiedliche Gefühlsstadien. „Chile, Chile“, murmelt er immer wieder wissend, als er erfährt, dass der Arzt, den Hungertobel (Harald Fröhlich gelungen skeptisch) wiedererkannt zu haben meint, eigentlich in Südamerika hätte weilen müssen. Was dann an Dialog zwischen Bärlach und Hungertobel folgt, ist eine amüsante musikalische Abfolge an Sätzen. Ein durchkomponierter Dialog, der Gesagtes wieder aufgreift und mit neuen Untertönen versieht. Humorvoll redet Bärlach jetzt vom „wir“. Hungertobel ist keine eigenständige Person mehr; ungeniert klingt sich Bärlach in seine Gedanken ein und stellt kriminalistische Mutmaßungen an (Dramaturgie: Jérôme Junod).

Groteske Moderne

Es macht Spaß, diesem Komissär bei seinen Ermittlungen zu beobachten. Messerscharf kombiniert der Todkranke und ist den andern – so scheint es – immer einen Schritt voraus. Ganz wie Hercule Poirot, nur mit politischem Beigeschmack. Erst als Emmenberger (Wolfgang Kandler) stumm durch die Bettreihen schreitet, erhält die böse Ahnung eine Gestalt. Das schwingt auch in den Worten des Mediziners mit, die Kandler immer mit Bedacht spricht und dabei ebenso beherrscht in den Raum gleiten lässt, wie das Feuerzeug durch seine Finger. Stock und scheinbar erstarrt Marlok, seine Untergebene (Susanne Wende). Dass sie mehr weiß, als sie preisgibt, wird subtil an ebenso kleinen Gesten sichtbar, mit der sie Emmenbergers Feuerzeug Einhalt gebietet. Feine Nuancen, die das Spiel vertiefen und mit Bedeutung aufladen.Wolfgang Kandler, Susanne Wende und Marcus Marotte in Gerhard Willerts Inszenierung

Dürrenmatt: „Der Verdacht“

Bärlachs Figur ist divergent. Auch wenn er auf Rache sinnt und dafür über Leichen geht, bei Emmenbergers kaltblütiger Raffinesse ringt der Todkranke kurz um Fassung. Die wahrt er zwar, ja, die Figur beharrt regelrecht darauf, aber der innere Kampf wird greifbar und auch die Verbissenheit des Charakters, der im moralischen Hoheitsgebiet selbst längst ebenfalls vom Weg abgekommen scheint.

Schwester Kläri (Sophia Fischbacher) setzt indes fleißig auf Eigen-PR und erzeugt einen genauso überdrehten Eindruck wie die drei Gestalten aus Bärlachs Traum. Warum die Regie auf dieses übertriebene Gebaren setzte, erschließt sich nicht von selbst (anzunehmen ist aber der Verfremdungseffekt mittels Groteske); dass Sophia Fischbacher über ein breites emotionales Portfolio verfügt, allerdings schon. Das kommt in dieser Produktion auch voll zum Einsatz. Das reduzierte Gegenteil, Gulliver (Oliver Salzer); wie Emmenberger tritt der mysteriöse Schattenmann nur mit Bedacht auf und wird gleich zur Projektionsfläche für das Traumata eines ganzen Volkes. Eine Rolle, die Olaf Salzer mit entsprechender Würde trägt und ihr die dazugehörige Größe verleiht.

Übrigens, Dürrenmatt war der Überzeugung, dass die Unübersichtlichkeit der modernen Welt die Schuld verwische und abschiebe. Der Moderne komme man nur mit Groteske bei. Mit der Verschmelzung von „Der Richter und sein Henker – Der Verdacht“ begibt sich Gerhard Willert auf Spurensuche und erinnert einmal mehr an die NS-Schergen und ihre Opfer, sowie an die janusköpfige Gestalt von Recht und Gerechtigkeit. Eine kluge Produktion mit großem Inhalt, die Rezipient:innen genau das abverlangt, was auch schon Dürrenmatt forderte. Den eigenen Verstand einzuschalten und selber mitzudenken. Das ist nicht immer angenehm, könnte sich bisweilen etwas ziehen, da die grotesken Momente sehr inkohärent wie Springteufel auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden, wird aber schauspielerisch dennoch belohnt.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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