AUS DER PERSPEKTIVE DER GUMMIHAND.
Am Toihaus Theater werden die Sinne mit Cornelia Böhnischs EMPATHIE MIT EINER GUMMIHAND auf den Kopf gestellt. Spannende Versuchsanordnung aus dem Uncanny Valley.
Gewohnheitsjunkies und Berühungsphobiker müssen jetzt stark sein. Metaphorisch gesprochen natürlich. Denn das Toihaus Theater in Salzburg demonstriert mit seiner ersten Uraufführung in der neuen Spielzeit, es hat an der Zeit gedreht. Statt dem gewohnt anderen 20:02 Uhr beginnen die Vorstellungen an der experimentellsten Adresse am Platz neuerdings um 19:30 Uhr. Das gilt es zu memorieren, damit Zuschauer*in nicht zu spät aufschlägt. Das wäre schade und bringt uns direkt zu den Berührungsphobikern. Es trifft sich gut, dass die Performerinnen und Musiker*in von EMPATHIE MIT EINER GUMMIHAND keine Kontaktprobleme haben. Das wäre in diesem Fall auch sehr hinderlich, schließlich wird Tuchfühlung auf der EMPATHIE-Bühne groß geschrieben.
In aller Plot-Kürze
1970 entdeckte der japanische Robotiker Masahiro Mori einen spannenden Effekt: das Uncanny Valley oder der sogenannte ‚Gruselgraben‘. Menschen hegen eine natürliche Antipathie gegenüber Avataren, Robotern oder Zombies, umso menschlicher sie scheinen. Seltsamerweise fühlen sie sich gleichzeitig zu hochabstrakten, völlig künstlichen Figuren hingezogen. Die Ducktales versus The Walking Dead? Da können die Untoten einpacken, Dagobert und seine Neffen gewinnen – und zwar haushoch. Die Akzeptanz gegenüber Avataren, Robotern oder Zombies greift erst dann, wenn sich die Imitation vom Menschen nicht mehr unterscheiden lässt. Dem gegenüber steht die Gummihand-Illusion: Neben der echten eigenen Hand liegt eine Gummihand. Die eigene sieht die Versuchsperson nicht, der Leiter streichelt beide Hände. Wenn er das lange genug macht, wird die Versuchsperson die künstliche Variante als eigene Hand akzeptieren und spüren.
Dr. Frankenstein ins Labor, Dr. Frankenstein bitte
Die Uncanny-Valley-Theorie bildet die Basis von EMPATHIE MIT EINER GUMMIHAND, die Gummihand-Illusion steuert den haptischen Aspekt bei und das Publikum wertet die Versuchsanordnung aus (Idee, Regie, Choreografie: Cornelia Böhnisch, Raum: Paul Horn). Das Setting dafür ist ein skurriles Labor: Am Mischpult steht ein janusköpfiger DJ (Nic Lloyd), dem auch plötzlich mehrere Hände wachsen. Vom Bühnenhimmel seilt sich leise das Toilettenpapier ab, Wände fallen lautlos zu Boden und über dem Ambiente liegt ein Hauch von Popcorn. Tatsächlich werden die Sinne der Zuschauer*innen auf Irrwege geführt. Nichts ist in der Eigenproduktion am Toihaus Theater, wie es scheint und Erwartungen werden kunstvoll aufgebaut, um sie dann mit reduzierten Gesten selbstbewusst zu negieren.
Ja, nein, vielleicht
Gesprochen wird in der empathischen Versuchsreihe wenig. Rhetorisch scheinen #metoo-Diskurse eingeflossen. „Yes“, „no“, „maybe“ – mit dem großen Unterschied, dass die Antworten auch Berücksichtigung finden. Der DJ legt nicht nur Platten auf, sondern auch sich selbst. Auf dem Bühnenboden. Die Performerinnen (Elena Francalanci, Lisa Magnan & Pascale Staudenbauer) gruppieren sich um ihn. Anfangs fallen ihre Berührungen sachte aus. Später wird es grober und gezogen, gezerrt, gekitzelt oder geschlagen. Alles im Sinne der Wissenschaft? Zumindest sind hier keine Roboter am Werke, selbst wenn die menschlichen Emotionen aus purer Absicht auf den Kopf gestellt werden. „No“, ruft eine Performerin mit breitem Grinsen und alle Beteiligten lächeln ins Publikum.
Entkoppelte Menschen
Am Rand sitzt die Cellistin (Angelika Miklin) scheinbar entkoppelt und eingangs ohne Beschäftigung. Sekundenlang, Minutenlang tickt die Pendeluhr an der Wand, surren die Scheinwerfer-Lichter und ruft Nic Lloyd seine drei Antworten in den Raum. Ansonsten Totenstille. Man könnte die berühmte Stecknadel fallen hören, wenn da nicht das Magengrummeln von der Person am Nebenplatz wäre. Irgendwann ändert sich das. Leise nimmt Miklin ihr Spiel auf dem Barockcello auf und steigert sich immer weiter, bis sie sich mit der DJ-Einspielung zu batteln scheint. Die Körper der Performerinnen zucken zu den harten Beats roboter-gleich auf improvisierten Podesten. Völlig entkoppelt vom Menschsein werfen sie mit Gliedmaßen um sich und schleudern ihre automatisierten Körper durch den Raum.
Fest der Sinne
Das musikalische Arrangement sorgt in Korrelation mit dem Bühnenbild für spannende Klangräume und Eindrücke. Vom Band zwitschern die Vögel, plätschert das Wasser und entsteht Dschungel-Laune. Auf der Bühnen raucht der Bühnennebel aus den Rohren, die verdächtig an einen Baum erinnern; zieht Nic Lloyd Watte aus dem Mund, spuckt Elena Francalanci Lego-Steine, strapaziert Pascale Staudenbauer die Handnebelmaschine und lässt Lisa Magnan das weiße Ergebnis tanzen. Es ist ein Fest der Sinne, das EMPATHIE MIT EINER GUMMIHAND kreiert und bei der es mit sämtlichen Klischees bricht. Hier erscheint kein Gegenstand und keine Geste, als das, was sie tatsächlich sind. Das ist konsequent, schließlich zelebriert das Toihaus Theater die Sicht der Gummihand und die evoziert eine neue, fremde und zugleich spannende Ebene. Übrigens auch für die Zuschauer*innen, die im Anschluss selbst Sein und Schein erkunden und sichtlich Spaß daran haben.
Fotonachweis: Ela Grieshaber
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