FETTES SCHWEIN | (c) Foto Flausen

Fettes Schwein – Theater ecce am kleines theater

Fidele Nabelschau am kleines theater: FETTES SCHWEIN

Schönheit liegt im Auge des Betrachters – oder etwa doch nicht? Mit Neil LaButes FETTES SCHWEIN bringt Theater ecce sein Publikum an die Grenze der Komfortzone. Ungemütlich erkenntnisreich.

Es sitzt vermutlich irgendwo tief drin in unseren Genen und lacht sich an dunkelster Stelle keck ins Fäustchen. Der Zwang nach sozialer Zugehörigkeit. Was nach Neandertaler-Kriterien ganz nützlich war, sich gemeinschaftlich zusammenzurotten, lässt den Menschen bis heute nicht los. Und nein, damit sind weder WG-Leben noch Co-Working-Spaces gemeint, aber der Drang zu gefallen und mit dem Strom zu schwimmen. Wer zum Gegenpaddeln ansetzt, hat es schwer. Oder anders formuliert, es müssen ja nicht die Maße 90-60-90 sein, 91-61-91 tun’s auch. Mit dem anderen Ende der Schönheitsskala ist Helena aus FETTES SCHWEIN bestens vertraut. Autor Neil LaBute benannte seine Figur nach der Femme fatale der griechischen Antike. Während die Attraktivität der einen den trojanischen Krieg auslöste, hebt der Leibesumfang der anderen das Leben von Tom aus den Angeln und entfacht einen sehr viel persönlicheren Krieg, nämlich den unter Freunden.

In aller Plot-Kürze

Tom ist jung, sportlich und macht jagt auf Kalorien wie andere auf Rabattmarken im Supermarkt. Genauso hip und lebensfroh sind seine beiden Freunde Martin und Jenny; immer irgendwo an der Oberfläche verweilend, sind sie sich selbst am nächsten. Sehen und gesehen werden. Leben und leben lassen. Das mit dem Leben lassen stimmt nicht wirklich. Tom verliebt sich in Helena. Eine Frau in XXXL und damit eigentlich Tabu, weil nicht präsentabel. Dafür aber der Auftakt des fröhlichen Bodyshaming-Reigen seiner Freunde.

Laut, lauter, FETTES SCHWEIN

Es sind die lustigsten, traurigsten und verwundbarsten Momente im Leben, die Neil LaBute faszinieren und seinen Stücken als solide Basis dienen. Nach gebührendem So-weit-so-normal Geplänkel geht es regelmäßig ans Eingemachte. Das gilt auch für FETTES SCHWEIN. Ben Pascal inszenierte die Tragikkomödie für Theater ecce und setzt auf laute, sehr laute Momente. Das beginnt beim amerikanischen Habitus des Stücks, das – soviel Lokalkolorit muss sein – trotzdem in Salzburg angesiedelt ist. Zumindest werden die Geschäftskollegen aus Wien thematisiert und auch humoriges Produkt Placement findet statt, wenn Foto Flausen für das Porträt Helenas gelobt wird.

Dezent funktioniert anders; egal ob man die Hauptdarstellerin in einen Fatsuit Marke XXXL steckt, wo sich die Wülste gefährlich ungesund nach außen wölben, oder sich der beste Kumpel als schriller Vogel entpuppt. Ganz zu schweigen vom schwer juvenilen Arbeitsklima, das mit infantilen Kritzeleien und Drehstuhlwettrennen nur so um sich wirft (Bühne: Hannes Öhlböck, Kostüme: Lili Brit Pfeiffer).

Troja lebt. In Salzburg mit FETTES SCHWEIN

Stichwort Sieg. Troja lebt. Seine Helena lernte Tom zufällig kennen, in der Mittagspause. Bina Blumencron gibt die Bibliothekarin auf wunderbar charmante, schlagfertig, quirlige und zugleich sehr verletzliche Weise. Des voluminösen Fatsuits hätte es gar nicht bedurft. Auch wenn Bina Blumencron nicht XL ist, geschweige denn weiterer Xen, wäre es umso spannender, der Fantasie des Publikums zu vertrauen. Fatshaming ohne das offensichtliche, das Fett. Nachdem die künstlichen Leibeswülste aber nun schon einmal dran sind, verschmilzt die Figur homogen damit. Immer am Essen, futtert sich Helena durch den Abend und kompensiert die seelischen Narben mit Witze auf eigene Kosten. Lieber sich selbst diffamieren als von anderen verletzt zu werden. Ein oberflächliches Geplänkel, das unter die Haut geht. Gleichzeitig ist Helena die einzig reflektierte Figur, die über den Tellerrand hinausblickt; so erfrischend ganz und gar nicht egozentrisch, aber empfindsam und klug.

Fidele Nabelschau

Ist Helena nicht in die Szene involviert, sitzt sie im Hintergrund – wie ein mahnend erhobener Zeigefinger, ein moralischer Wink mit dem Zaunpfahl. Das interessiert die anderen Charaktere herzlich wenig, die eine Art narzisstischen Nabel der Welt bilden. Ein Kreisel, der sich persistent um sie selbst dreht. Die eigenen Befindlichkeiten werden stets über die der anderen gestellt. Stark der Kontrast, wenn Toms hyperaktiver Freund Martin (Alexander Lughofer) in Lästerlaune wie ein Sprungteufel unter dem Tisch hervorschießt. Schrill und grell fährt er mit passend grünem Shirt verbal dazwischen und hat sichtlich Vergnügen am Unwohlsein des anderen. Dass er selbst über Jahre verletzt wurde, erfährt Tom später. Es wird ein erstaunlich ernster Moment, wenn Martin die Maske fallen und tief blicken lässt. Die Stecknadel im Publikum ist anwesend, auch wenn es sich an dieser Stelle um einen mutigen Huster und das Knackgeräusch eines Scheinwerfers handelte.

Magie der kleinen Dinge

LaBute bezeichnet sich selbst als Miniaturist. Ihn interessiere besonders die Dynamik zwischen den Figuren, die Bina Blumencron und Wolfgang Kandler gelungen herausarbeiten. Es sind heitere, verspielte Momente, wenn er von einem Fettnäpfchen ins nächste hüpft und Amor ihm doch ein Schnippchen schlägt. Es könnte alles ein einzig großer Rosamunde-Pilcher-Abklatsch sein, wenn da nicht die dunklen Nuancen wären. Tatsächlich oszilliert Tom zur janusköpfigen Figur, der bei der Angebeteten schöne Worte raspelt und sich im Anschluss unter dem mahnenden Blick seiner Freunde in Halbwahrheiten und Ausflüchte verstrickt. Die zwei berühmten Seelen wohnen also auch in Toms Brust, ganz ohne Studium der „Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie“. Eine davon frönt stark der Egozentrik und lässt es an Rückgrat missen. Aus der Nummer kommt Tom nicht mehr so einfach raus. Stattdessen saust die Moralkeule von Ben Pascals Inszenierung nieder und trifft hart. Dass bei Bina Blumencrons und Wolfgang Kandlers Figur dann sogar Tränen fließen, zeugt vom Können der Schauspieler und macht Helena und Tom zu Opfern, allerdings recht unterschiedlich konnotierten.

Szenen einer Beziehung: FETTES SCHWEIN

Als weibliche Personifikation der Oberflächlichkeit flaniert Jenny (Kristin Henkel) durch das Stück und darf sich immer wieder im Scheinwerferlicht umziehen. Ist es, um die Sportlichkeit der Figur zu akzentuieren? Oder doch eher ein Männerding? Gleichzeitig wird aber auch ihre verletzbare, ziemlich menschliche Seite thematisiert, wenn sie Tom in einer schon an Besessenheit grenzenden Hartnäckigkeit verfolgt. Das selbst Super-Jenny von Selbstzweifeln zerfressen ist, arbeitet Kristin Henkel wunderbar heraus. Einmal mehr ist es die Verbissenheit, mit der sie Tom hinterherhetzt und zu kontrollieren versucht, die sie enttarnt. Stark die Szene, als Kandlers Tom sie impulsiv in Grund und Boden brüllt. Erst dann fällt bei Jenny der Groschen. Statt ihm weiter nachzustellen, sitzt sie gekränkt in der Ecke und schultert die ganze Last der enttäuschten Frauen.

Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte – und bestenfalls wird ein Theaterstück zum Spiegel der Gesellschaft, damit die dann vielleicht doch noch die Kurve bekommt. Übrigens ließe sich die Body-Shaming Komponente auch nahtlos durch andere ersetzen. Rassismus, Alter, Geschlecht. Ein absolut spannender Dauerbrenner, dieses FETTE SCHWEIN.

 

Fotonachweis: Foto Flausen

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