Geächtet – Schauspielhaus Salzburg

Aufregung in der Bildungsbürgerblase.

Letztes Jahr erhielt Ayad Akhtars brodelndes Wohnzimmerdrama GEÄCHTET den Nestory Autorenpreis. Jetzt premierte der amerikanische Bildungsbürgertums-Liebling mit großartigem Ensemble am Schauspielhaus Salzburg.

Es ist immer wieder faszinierend, wie sehr Theater polarisiert, wenn man es nur lässt. Bestes Beispiel: GEÄCHTET, das überraschende Debüt des bis dahin unbekannten Autors Ayad Akhtar. Was die einen seither als Ausnahme-Stück bejubeln und mit Preisen überhäufen (u.a. erhielt es den Nestroy 2017), beklagen die anderen als identitäres Design-Werk aus institutioneller Araca Group-Schmiede. Das finde, ätzt die Contra-Partei, seine Berechtigung nur in der pakistanischen Herkunft des Autors. Andernfalls wäre der Aufschrei beim linksliberalen Publikum groß. Das mag stimmen, genauso aber der Umstand, dass das Gros der auf Hochglanz polierten Klischees eine unangenehme Wahrheit birgt. Umso spannender, dass der geliebte Aufreger jetzt auch am Schauspielhaus Salzburg zu sehen ist.

In aller Plot-Kürze

Alles für die amerikanische Identität: Amir Kapoor ist ein angesehener Anwalt mit einer kunstaffinen Ehefrau und schickem Appartement in bester Manhattan-Lage. Seine hohe gesellschaftliche Position, davon ist er felsenfest überzeugt, verdanke er nur der Tatsache, seinem pakistanischem Ich abgeschworen zu haben. Religion und Namen legte er einst ab wie andere ihren ausrangierten Mantel. Alleine, dieser Mantel will nicht in der Altkleidersammlung bleiben. Als Amir und Emily eine Dinnerparty für einen jüdischen Kunstkurator und dessen Ehefrau geben, bricht das sorgsam gepflegte Weltbild mit einer unbedachten Bemerkung wie ein Kartenhaus zusammen.

Yasmina Rezas amerikanischer Bruder

Gleich vorne weg: Das Ensemble leistet Großartiges, egal wie man zum Inhalt von GEÄCHTET auch stehen mag. Tatsächlich reizt Ayad Akhtar die Klischees bis zum Anschlag aus. Da ist der ehemalige Moslem, der seiner Religion zwar abgeschworen hat, sie dann aber doch irgendwie nie ganz abstreifen konnte. Der Neffe mit dem arabischen Namen, der eigentlich Amerikaner sein möchte, ehe er plötzlich zum Extremisten konvertiert. Die weiße Ehefrau, die besser über die muslimische Religion ihres Mannes informiert zu sein scheint, als er selbst. Der Jude, der so liberal auftritt, und dann doch den Moslem beleidigt. Die Liste könnte noch länger fortgesetzt werden, das ist aber nicht Sinn der Sache. Tatsächlich verbirgt sich hinter der adrett arrangierten GEÄCHTET-Fibel gängiger Vorurteile eine Botschaft. Klar, das ist nicht zu übersehen. Auf den ersten Blick blendet sie schließlich auch ungefähr so stark wie einst Odysseus den Polyphem. Nein, es geht um einen anderen Sinn, der irgendwo zwischen den stereotypen Dialogzeilen schlummert und dem das tatsächlich großartige Ensemble in einer gelungene Inszenierung bemerkenswert Ausdruck verleiht.

Als Rahmen für das emotional opulente Gesellschaftsdrama ließ Regisseur Christoph Batscheider eine Bühne im Stil des griechischen Ampitheaters kreieren, minus der eigentlichen Bühne (Ausstattung Annett Lausberg). Stattdessen setzt er vollständig auf das Bühnenhaus dahinter. Ein durchaus stimmiges Konzept, handelt es sich bei GEÄCHTET schließlich um ein Wohnzimmer- drama, das in Sachen Dramatik den alten Griechen kaum nachsteht. Dafür wurden die schicken Manhattaner Upper East Side-Wände in Form einer Tribune dem ansteigenden Publikum gegenübergestellt und sorgen für eine spannende Perspektive, die tatsächlich treppauf und ab führt. Bei den Accessoires liegt das Augenmerk auf den bourgeoisen Details – während im Off die (vermutliche) Nespresso-Maschine rattert und rauscht, greifen die Bewohner*innen zu schickem Retro-Porzellan. Auf dieser antiken, neuen Bühne treffen sich aber auch die Vertreter*innen der unterschiedlichsten Ethnien und zwar in so bunter Anzahl, dass GEÄCHTET jedem französischen Film den Rang ablaufen könnte – oder Yasmina Reza. Tatsächlich erinnert der Stoff bisweilen an die explosiven Gesellschaftsdramen der französischen Autorin. Aber egal wie emotional und spitzzzüngig Yasmina Reza auch sein mag, GEÄCHTET legt noch ein gewalttätiges Scherflein drauf.

Großes Theater

In die Rolle vom unanständig teuren Hemden tragenden Anwalt Amir Kapoor schlüpft Bülent Özdil und avanciert (einmal mehr) zum heimlichen Star des Abends. Er lebt seinen Amir mit so viel Authentizität, unterdrücktem Ressentiment und Emotionen, dass die zwangsweise irgendwann überkochen müssen. Dass ihm das dann sogar mehrmals gelingt und er mit Tränen in den nunmehr roten Augen sichtlich um Fassung kämpft, ist eine bemerkenswerte Leistung, die unter die Haut geht. Diese innerliche Zerrissenheit des assimilierten Erfolgsmenschen, der dem Zerfall seiner mühsam konstruierten amerikanischen Identität hilflos zusehen muss, ist faszinierend zu beobachten. Und jetzt geschieht Bemerkenswertes: Bülent Özdil legt seinen Amir so ambivalent an, dass er selbst nach dem unausweichlichen Gewaltrausch noch sympathische Züge trägt. Vermutlich, da sich hinter der schicken Designer-Fassade des erfolgreichen Anwalts immer auch noch der kleine, unsichere und mit Komplexen behaftete pakistanische Amir spiegelt. Eine bemerkenswerte Leistung liefert aber auch Juliane Schwabe. Sie mimt die im linksliberalen Milieu voll verankerte Emily mit großer Leichtigkeit. Diese Emily ist nicht nur Malerin, sondern brennt auch eloquent für die abgelegte Religion ihres Mannes. Bilderbürgertums-Blase ahoi! Tatsächlich folgt das Erwachen mit Amirs dramatischem Sturz. Den nimmt er zwar später emotional zurück, für Emilys liberale Alle-Menschen-sind-gleich-Haltung kommt das allerdings zu spät. Jetzt zeigt Juliane Schwabe unbarmherzige Kälte. Wunderbar ist auch Matthias Hinz‘ Isaac. Voll herrlicher jüdischer Selbstironie lässt er seinen Kunstkurator souverän über die Bühne schlendern, immer irgendwie getrieben, und im obligatorischen Rollkragenpullover über Kunst und Religion disputierend. Besonders viel Ausdruck legt Hinz dabei auf die kleinen gestischen Details; voller Gier verschlingt er köstlich Emilys Fenchel Anchovis Salat oder starrt sinnierend in die Ferne. Seine Frau Jory (zwar ohne afrikanische Provenienz, dafür aber sehr gelungen Tilla Rath) fachsimpelt inzwischen mit Amir – anfangs lediglich auf die Rolle des schmückenden Beiwerks reduziert, avanciert sie selbst zügig zur scharfzüngigen Beobachterin. Und dann ist da noch Abe, den Lukas Bischof exemplarisch vom angepassten, jungen Amerikaner mit zugeknöpftem Hemd und gebügelter Chino in radikale Kreise abrutschen lässt. Vergessen sind die sanften Züge, wenn es um seine Religion geht.

Lang lebe die Polarisierung

An einer Stelle – es war zu erwarten, schließlich verläuft der Plot von Ayad Akhtars Stück geradezu lehrbuchhaft – ächzen Teile des Publikums auf. Wenn GEÄCHTET hier ende würde, wäre es ein fulminant-dramatischer Abgesang. Tut es zum Glück aber nicht. Und irgendwie wendet sich das Drama damit dann doch von seinem kalkulierbaren Weg ab. Das ist schön. Noch viel mehr gelungen ist aber die Inszenierung am Schauspielhaus Salzburg, die trotz mit Klischees überladener amerikanischer Vorlage zum Nachdenken anregt. Lang lebe die Polarisierung!

 

 

Fotonachweis: Jan Friese

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