Himmel für Anna | Schauspiel

Himmel für Anna – Erzähltheater von Yarina Gurtner

FRIEDE, FREUDE, PUSTEKUCHEN

200 Jahre Stille Nacht, aber was wurde aus Anna Schoiber? Während Salzburg feiert, begibt sich Yarina Gurtner mit HIMMEL FÜR ANNA auf die Spuren von Josef Mohrs Mutter. Sehr gelungen.

Salzburg hat ja viele eifrig verklärte Heiligtümer. Man denke an Kaiser Karl, der im Untersberg den Schlaf der Gerechten schlummern soll. Oder Mozart, zu Lebzeiten verstoßen, danach zum höchstpersönlichen Eigentum erklärt. Ja und dann ist da noch das „Stille Nacht“-Lied aus den Federn von Josef Mohr und Franz Xaver Gruber. 1818 in Oberndorf uraufgeführt, ist die meistens schief intonierte Weise seither fixer Bestandteil jedes Heiligen Abends (der Ehrenkodex verlangt, dass es nur dann gesungen werden darf). Heuer feiert das prominente waschechte Salzbuger Weihnachtslied 200 Jahre. Ein ganzes Land streut Konfetti und denkt rührselig an Josef Mohr, der anno dunnemals den Text schrieb. Posthum gelangte er wie Mozart zu Ruhm, Ehre und… Verklärung.

Anna Wer-Nochmal?

Für Josef Mohrs ledige Mutter bleibt im ganzen 200jährigen Freudentaumel kein Platz, nur wenige denken an sie. Yarina Gurtner ist eine von ihnen. Die junge Schauspielerin war als Kind an der Dorfschule in Arnsdorf, in der der musikalische Klassiker einst komponiert wurde. Auch die Nähe zu Oberndorf verpflichtet. Yarina Gurtner bricht also mit der omnipräsenten „Stille Nacht“-Verklärung und heftete sich mit HIMMEL FÜR ANNA lieber an die Fersen der vergessenen Anna Schoiber (Text, Inszenierung, Produktionsleitung, Darstellung: Yarina Gurtner, Idee: Max Gurtner, Text, Inszenierung: Georg Clementi, Regie- und Produktionsassistenz: Jeanette Römer, Ausstattung: Alois Ellmauer).

Anna Schoiber hatte es als ledige Mutter von vier Kindern nicht leicht. Das ist selbstverständlich eine Untertreibung. Sie hatte es sogar sehr schwer. Die Heirat blieb ihr verwehrt, von der Gesellschaft als Hure beschimpft, musste sie für ihre „fleischlichen Vergehen“ mit Barem bezahlen und Selbstanzeige erstatten. Josef Mohr litt vermutlich zeitlebens unter dem Status seiner Mutter und schämte sich für sie. Was Annas Schicksal nicht vereinfachte.

Josef Mohr for Dummies

Yarina Gurtner rollt mit HIMMEL FÜR ANNA das typische Frauenschicksal aus der Erzähl-Perspektive auf. Dafür kreiert sie mit den Musikern Manfred Wambacher (musikalische Kompositionn, Saxophon) und Robert Schönleitner (Gitarre) einen Raum mit mehreren Metaebenen. Mühelos schlüpft sie von einer Rolle in die nächste und bewegt sich fließend durch die verschiedenen Bereiche. Die Spielart ist so perfide wie klug: Eine fiktive Schauspielerin bildet den Rahmen, die allerdings mit autobiografischen Elementen der realen Schauspielerin verschmilzt. Das wirkt verdammt sympathisch, erhebt das Publikum zu Komplizen und kommt merkbar an. Als Anna Schoiber probiert sie sich aus und spielt verschiedene Szenarien aus unterschiedlichen Perspektiven durch. Sie jodelt zu John Lennons „Imagine“ oder räkelt sich lasziv auf dem Schoß eines Anwesenden. Das spielerische Experimentieren mit den Fakten öffnet Türen in die Vergangenheit und führt vor, was hätte sein können. Intensiv die Szene der Selbstanzeige, die vor Traurigkeit und Revoluzzer-Geist nur so strotzt.

Happy 200!

Die Inszenierung doziert aber nicht nur über Anna Schoiber. Auch Josef Mohrs Schicksal fließt ein und zeigt ihn, den strebsamen Sohn, nicht im besten Licht. Eine wohltuende Abwechslung im 200jährigen Verklärungsjahr. Zwischen den variablen Rollen als Anna Schoiber, Josef Mohr oder Franz Xaver Gruber läutet das Telefon. Yarina Gurtner ist zurück als fiktive Yarina Gurtner. Das Baby zu Hause will nicht schlafen, der Ehemann ist überfordert. Schwärmt die Schauspielerin eingangs noch, dass das berühmte Lied sogar ganze Fronten zum Schweigen brachte, ist jetzt wenig davon zu bemerken. Laut und aggressiv herrscht sie das unsichtbare Gegenüber an. Das Baby schläft trotzdem nicht. Wer sich jetzt wundert, was denn ein Baby mit „Stille Nacht“ zu tun hat, wartet auf das Ende.

Die Wunder der Sprachlichkeit

Sehr gelungen an HIMMEL FÜR ANNA ist die Sprachlichkeit. Die pendelt zwischen Jugendsprache mit simpler Syntax („er hatte voll die Identitätskrise“, „das sind doch mindestens 70 Likes auf Facebook“) und Standard mit ausgeklügelten Satzkonstruktionen. Die Mischung dieser ungleichen Dialogizität gestaltet sich spannend und sorgt für gelungene, didaktische Abwechslung. Während die fiktive Schauspielerin mit kumpelhafter Varietät und Slang um sich wirft und so für Nähe sorgt, bringt sie genau dadurch auch gleichzeitig die Botschaft effektiv ans Publikum. Mit einfachen Worten skizziert sie die Leben von Anna Schoiber und ihrem Sohn Josef Mohr. Schlüpft sie in ihre Rollen, wandelt sich auch die Sprachlichkeit mit einem Ruck. Die Figuren erwachen eloquent zum Leben. Ein faszinierender, homogener Wechsel.

Anna ist zurück

HIMMEL FÜR ANNA holt Josef Mohrs Mutter zurück aus dem Vergessen.  Dass dieses Vorhaben gelingt, dafür sorgt auch die Live-Musik von Manfred Wambacher und Robert Schönleitner. Gut gelaunt und versiert begleiten sie die Schauspielerin auf ihrer Reise durch das Leben der Protagonisten und intensivieren das Geschehen musikalisch. Zusätzlich mischen sie sich mit kleinen Gesten und Worten ins Schauspiel ein. Das Resultat ist humorig und trägt gelungen zur Produktion bei. HIMMEL FÜR ANNA ist eine kluge, charmante und sehr liebenswerte Dekonstruktion eines Mythos. Josefs Mohrs Heiligenschein mag zwar ins Wackeln geraten, dafür erhält Anna Schoibers Schicksal eine Bühne. Und seien wir ehrlich, ohne sie und ihr „fleischliches Vergehen“ gäbe es „Stille Nacht“ heute nicht. Salzburger Original hin oder her.

 

Fotonachweis: Michael Herzog

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