Voyeurismus boomt – „Holzers Peepshow“ am kleines theater hält der Gesellschaft den Spiegel vor.
Nach den Festspielen nimmt auch das kleines theater in Schallmoos seinen Spielbetrieb wieder auf und setzt mit HOLZERS PEEPSHOW ein humorig-kritisches Zeichen.
Es ist kaum zu glauben, aber Trash-TV erfreut sich auch 20 Jahre nach der ersten Big Brother Ausstrahlung noch vollster Beliebtheit. Schlimmer noch, das Konzept mutierte seither emsig weiter und erfindet sich ständig neu. Von jungen Instagramern, die ihr Leben Non-Stop auf Social-Median-Plattformen feilbieten und damit unanständig erfolgreich sind bis hin zu in Bussen und auf Schiffen herangekarrten Touristenmassen, die gleich Heuschreckenplagen in Dörfer und Städte einfallen und biblische Ausmaße annehmen. Da hilft nur noch eins: ein Theaterstück über den medialen Touristikwahnsinn und feingehätschelten Voyeurismus muss her.
In aller Plot-Kürze
Eine kleine Bauernfamilie irgendwo in der Schweiz, die mit einer Kuh und vielen Problemen ihr Auskommen sucht. Dann haben Tochter und Vater die zündende Idee: Rauf auf den Touristikzug und eben schnell das eigene Leben vermarkten. Quasi Instagramer in Real-Life. Die Touristenströme, die vorher nur zum Pinkeln anhielten, dürfen jetzt zusätzlich einen Blick in die Bauernstube werfen, wofür sie nicht nur ein Stück Alpenidyll erhalten, sondern auch kräftig zur Kasse gebeten werden.
Kind seiner Zeit
HOLZERS PEEPSHOW von Markus Köbeli ist ein Kind seiner Zeit. Familie Holzer erkennt zwar die Sehnsucht der getriebenen Touristenscharen nach Friede, Freude, Eierkuchen, verschließt aber gleichzeitig die Augen vor der Packungsbeilage. Statt tatsächlichem Heimatidyll entgleisen die über die Jahre entstandenen Sollbruchstellen im Familienleben und werden zu ausgewachsenen Problemen. Vom Alkoholismus des Vaters bis zum Freiheitsstreben von Mutter und Tochter. In dem Kontext erweist sich HOLZERS PEEPSHOW in der Regie von Hanspeter Horner am kleines theater als treffender Gesellschaftsspiegel. Den passenderweise eine andere Familie mit rustikalem Slapstick darbietet, wenn Anita Köchl, Edi Jäger und Tochter Magdalena Köchl in die Rolle der Protagonisten schlüpfen und schwarzes Bauerntheater zum Besten geben.
Die Einsilbigkeit der Figuren fängt das zur Routine gewordene Nebeneinanderher ein. Die Achtlosigkeit füreinander drückt sich in der familieninternen Sprachlosigkeit aus. Übrigens gelungen durch die Aneinanderreihung von kurzen Hauptsätzen zum Ausdruck gebracht, garniert mit der einen oder anderen Interjektion und sehr viel Regiolekt. Nur hin und wieder fällt dazu noch ein „Grüezi“ und erinnert, „ach, da war doch was“. Ja, genau, Schweizer Ursprung. Diese letzten Autoren-Überbleibsel hätte man dann konsequenterweise allerdings auch noch gegen Begrüßungsfloskeln im ohnehin rezitierten Regiolekt belassen sollen. „Griaß di“ statt „Grüezi“ also.
Das Reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, zelebrieren Anita Köchl (Martha), Magdalena Köchl (Anna) und Edi Jäger (Hans) mit Verve und authentischem Charme. Ihre Spielfreude wirkt ansteckend. Der 90 jährige Großvater darf zwar (fast) nichts sagen, aber Klaus Eibensteiner rückt seine Figur mittels Körperlichkeit ins Rampenlicht und bleibt keinesfalls nur uriges Beiwerk. Sehr gelungen die komödiantischen Momente, als Anna den betagten Herren aus dem Lehnstuhl hochhievt und an den Tisch bugsiert oder Familie Holzer erste Einstudierungsversuche des Wohnzimmeridylls unternehmen. Timing ist alles.
Holzers Peepshow goes Musical
Dass das Stück tiefer schürfen soll bei nicht allzu komplexem Handlungsstrang, ist schnell klar und macht auch Sinn. Als sehr pointiert erweist sich hier die Peepshow selbst, deren Entwicklung das Publikum beiwohnen darf. Wunderbar die Darstellung der Professionalisierung. Von den mehr schlechten als rechten ersten Gehversuchen entwickelt sich die Show rasch zur ganz großen Nummer. Die darf es dann zur Erheiterung des Publikums auch in mehreren Sprachen geben – angepasst an die jeweiligen Touristenbusse. Großartig die japanische Variante (Übersetzung: Yukie Koji) beziehungsweise das amerikanische Modell. „Sound of Music“ war gestern. Mit dem Heidi-Musical und seinem Medley (ein neu betextetes „Ich gehör‘ nur mir“ aus ELISABETH sowie „I want to be in America“ aus der WEST SIDE STORY) könnten die Holzers tatsächlich, man kann es förmlich spüren, das große Geld machen (Gesang: Anna Katharina Böhme, Leopold Eibensteiner, Klaus Eibensteiner). Fehlt eigentlich nur noch das Album.
Kontext Hallo!
Auch wenn Hanspeter Horners Inszenierung kurzweilig, pointiert und amüsant ist, fallen auch ein oder zwei Ungereimtheiten ins Auge, die redundant sind. Fast scheint es so, dass Autor Markus Köbeli so viel Zeitkritik wie möglich in HOLZERS PEEPSHOW pressen wollte, was ja löblich, aber definitiv zu viel ist und im Zuge dessen zu Inhomogenitäten führt. So taucht das Modethema Fremdenfeindlichkeit des Öfteren auf, wirkt dabei aber dem Kontext seltsam entrissen und ohne Zusammenhang. Auch das Ende wirft mehr Fragen auf, als es Antworten zu bieten vermag. Da hätte Mut zum Strich der Komödie neuen Schwung verliehen und ihr Ansätze von Langatmigkeit genommen.
Sehr gelungen hingegen die Musik zwischen den Szenenwechseln. Eine faszinierend rustikal-moderne Allianz, die sich als Grenzgänger zwischen den Zeiten bewegt, dem Gestern und dem Morgen, dem Urigen und der Moderne.
Fotonachweis: Erika Mayer
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