Il turco in Italia – Landestheater Salzburg

Der eigenen Zeit enthoben, feiert Rossinis „Il turco in Italia“ in der Inszenierung von Marco Dott im Hier und Jetzt seine Landestheater-Premiere.

„Ein Türke in Italien“ als titelgebendes Sujet einer zeitgenössisch inszenierten Oper? Um Gleichheit besorgte Gemüter mögen erschrocken die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Tief durchatmen! Ihr dürft ganz beruhigt sein, denn alles entpuppt sich alsbald als halb so dramatisch. Political Correctness wird geradezu mustergültig exerziert und der vermeintliche Türke verliert sich in seinem eigenen musikalischen Stück. Denn ganz eigentlich handelt es sich bei der Salzburger Interpretation um einen universell platzierbaren und zu Machoallüren neigenden Kosmopoliten, dessen stereotype „osmanische Eigenheiten“ sich auf Felice Romanis Libretto beschränken, das wiederum aus dem 19. Jahrhundert stammt und sich in bisweilen latent merkwürdigem Kontrast zu Bühnenbild und Schauspiel befindet. Die einzig tatsächlich orientalisch angehauchte Requisite ist übrigens ein Morgenmantel; der steht dem Türken Selim, der ganz eigentlich auch von einem Italiener gemimt wird (wunderbar Bassbariton Pietro Di Bianco), dafür aber vorzüglich.

Kulturelle Gefühle werden an diesem Opera buffa-Abend keinesfalls verletzt, zumindest nicht auf Publikumsseite. Auf der Bühne geht es stoffbedingt schon sehr viel leidenschaftlicher zur Sache.
1459611866_2_sergioforestiundsimonschnorrIl poeta Prosdocimo steht vor einem schwerwiegenden Problem. Er soll das Libretto zu einer komischen Oper schreiben, nur mangelt es ihm leider gänzlich an Imagination. Darüber sinnierend, zieht es den Geistesmenschen in den Hafen, wo er auf seinen Freund Don Geronio trifft, den gehörnten Ehemann der jungen Donna Fiorilla. Prosdocimo wittert seine große Chance; das Leben selbst könnte ihm doch eine heitere Oper frei Haus liefern und der emsige Poet zückt sogleich begeistert sein Notizbüchlein. Als Don Geronio kurz darauf auf die Zigeunerin Zaida stößt und sich die Zukunft weissagen lässt, nimmt das Geschehen seine ersten humoresken Wendungen. Denn Zaida ist die ehemalige Geliebte des eifersüchtigen Türken Selim, die nach einem Missverständnis eigentlich durch Selim zum Tode verurteilt wurde und nur mit Müh‘ und Not ihrem furchtbaren Fatum entkam. In Italien angekommen und unter den Zigeunern heimisch geworden, verzehrt sie sich allerdings nach wie vor nach dem eifersüchtigen Osmanen. Als Selim nach Italien reist, um dort die europäischen Sitten zu studieren, verdreht er deshalb nicht nur Fiorilla den Kopf, sondern auch der verflossenen Geliebten. Geronio kocht vor Wut, Zaida ist plötzlich selbst von Eifersucht befallen und Don Narciso entpuppt sich als weiterer Liebhaber der flatterhaften Femme fatale Fiorilla. Bei all dem Stoffangebot läuft Prosdocimos Opera buffa bald Gefahr, den szenischen Rahmen vollends zu sprengen.

Die Handschrift Marco Dotts ist der Inszenierung in Salzburg deutlich anzukennen und Rossinis Vorlage stellt einen dankbaren Nährboden für die von Regie und Publikum präferierte Slap-Stick-Einlagen dar (Bühne und Kostüme: Heinz Steck, Dramaturgie: Katrin König, musikalische Leitung: Adrian Kelly). Bereits die Eingangsszene besticht mit heiteren Detailstudien zu Kreuzschifffahrtspassagieren, die pointierter schwerlich zu treffen sind, ohne andernfalls Gefahr zu laufen, ins Lächerliche abzudriften. IL TURCO IN ITALIA umschifft dieses Riff in komödiantisch eleganten Charakterstudien und verzichtet auch für den Rest des Abends nicht auf seinen vergnüglichen Kurs. Im Gegenteil, persistent wird weiter daran gefeilt und oszillieren Sänger*innen zu talentierten Komödiant*innen, während der Kapellmeister (Adrian Kelly) sanfte Klaviertöne anschlägt und Celine Dions „My heart will go on“ als musikalisches Zitat bemüht. Da ist er, der „Titanic“-Moment der Oper, der seit den ersten Takten auf der Hand lag, da ihn das Bühnenbild mit Fall des Vorhangs bereits auf dem Silbertablett servierte. Das ähnelt der knallbunten englischen Variante aus der Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier (Bühnenbild: Christian Fenouillat), das 2015 im Royal Opera House wiederaufgenommen wurde.

So viel geballte Kreativität entfesselt irgendwann auch die eigene Inspiration; als Don Geronio (empathisch Sergio Foresti) von Liebeskummer gequält auf dem Boden kniet und ihn nur ein einsamer Spot beleuchtet, erwartet man beinahe, dass er unvermutet aufspringt und inbrünstig, operesk „I will survive“ intoniert. Das tut er natürlich nicht wirklich (schade eigentlich); vielmehr windet sich der Gehörnte weiter vor lauter Liebesqualen und verleiht in einem intensiven Opernmoment all den betrogenen Opern-Heroen eine eindrückliche Stimme. Mindestens genauso überzeugend Fiorilla (fabelhaft Hannah1459613086_16_rowanhellierpietrodibiancohannahbradburyundchor Bradbury), die Männer verschlingende Sirene an Board, die mit ihrer Mischung aus Koketterie und Selbstverliebtheit, Dominanz und gezielt applizierter Hilflosigkeit auch das Publikum in Rage versetzt. Nun gut, zumindest die Verfasserin, die es nicht wahrhaben kann, dass Don Geronio Fiorillas eigensüchtiges Treiben nicht durchschaut. Dann wiederum stimmt es sie mindestens genauso fassungslos, so vehement für eine fiktiven Charakter Partei zu ergreifen. Chapeau Fiorilla. Bariton Simon Schnorr geistert derweil quickfidel als einfallsloser Poeticus Prosdocimo temperamentvoll durch das überdimensionale Kreuzfahrtschiff-Bühnenbild, das sich in regelmäßigen Abständen im Uhrzeigersinn dreht und demonstriert, dass sich mit größerem Budget so einiges anstellen lässt.
Don Narciso (vorzüglich in seiner Nebenrolle Carlos Cardoso) erblüht mit dem Auftreten Selims förmlich in der Rolle des eifersüchtigen und jetzt ebenfalls gehörnten Liebhabers, der in seinem Zorn gar noch das  Schiff zum Schwanken bringt. Übrigens ein weiteres komödiantisches Moment, das auch den stummen Barmann inkludiert, den die Verfasserin im 1. Akt tragischerweise übersah; Freundin B. berichtete ihr während des Intervalls begeistert, dass die stumme Nebenfigur an der leeren Bar sich selbst der eigene beste Gast ist und nicht übersehen werden sollte, darf, kann. (Tipp deshalb für Akt #1: man achte auf den stummen Barmann).

Selim (P. Di Bianco) übrigens entpuppt sich als eitler Geselle, der es mit der Liebe weniger ernst nimmt, als er den Frauen gerne weismachen würde. Er schwört Zaida ewige Liebe, verliebt sich aber augenblicklich in Fiorilla und will eigentlich nichts lieber, als mit ihr durchzubrennen. Zaida (emotional Mezzosopranistin Rowan Hellier) hingegen vergibt dem Geliebten jede noch so amoralische Geste. Es verwundert keinesfalls, dass  IL TURCO IN ITALIA gegen so ziemlich alle Todsünden verstößt (heissa) und eine maskulin dominierte Sicht auf liebestolle Verwicklungen liefert (spannend).

Das Mozarteumorchester Salzburg lässt derweil unter der Leitung von Adrian Kelly die Partitur sich leicht und spielerisch1459613628_23_ensemble entfalten, widmet sich aber auch mit großer Tiefe und Präzision den melancholischen und verzweifelten Momenten.
Einzig Libretto und Kostüm/Bühnenbild scheinen sich phasenweise nicht ganz einig, in welchem Konnex sie eigentlich zueinanderstehen. So kündet das eine vom Serail und droht, nachdem Don Geronio seine Ehefrau keinesfalls zu verkaufen gedenkt, mit der türkischen „Sitte“ der Entführung der Geliebten, während andererseits das gesamte Ensemble einen großen Maskenball feiert, der eigentlich eine ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU und … KÖNIG BADESCHWAMM (?) Kindermusical-Sause darstellt. Zumindest was die Quelle des Kostüm-Gros betrifft. Und warum sind die Zigeuner*innen eigentlich wie europäische Tourist*innen gekleidet? Ein bisschen mehr Orient hätte es dann doch sein dürfen.

Das Publikum ist ekstatisch, das Ende dramatisch. (Und das reimt sich). Die raue See bringt die muntere Kreuzfahrtschiffsgesellschaft beinahe zum Kentern und, oh nein!, Menschen gehen über Board. Zuerst Unverständnis auf Rezipientinnen-Seite, dann Erkenntnis… „ahhh, eine Metapher! … Oder?“. – Die Moral des Stückes, die das Libretto offenherzig in die Welt hinausposaunt, fügt sich jedenfalls harmonisch in die szenisch stürmisch angelegte Beziehungs-Analogie. „Bleibt zufrieden: Lebt glücklich / und lehrt alle, / dass ein / Fehler unbedeutend ist, / wenn daraus / die Liebe umso schöner ersteht.“  Wir wollen es hoffen. Andernfalls: Charaktere über Board!

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger // Landestheater Salzburg

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmailby feather

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert