Vetternwirtschaft und Highlife im Olymp
Die ILIAS am Salzburger Landestheater demonstriert in moderner Montur eindrücklich, warum kriegerische Auseinandersetzungen stets dem Vorteil der jeweiligen politischen Instanzen dienen. – Homers Epos so aktuell wie eh und je.
Es ist bekannt, dass es die Götter des alten Griechenlands ziemlich bunt trieben. Vermutlich aber nirgends so opulent wie in den homerischen Epen. Der berühmte griechische Poeticus aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, der nicht mehr so ganz von den Aemulatio aspirierenden Dichterkollegen zu unterscheiden ist, hat diese Kunstform allerdings präzisiert. Im homerischen Œuvre nämlich wird der Misswirtschaft und den eigenen Interessen in allen Koleraturen gefrönt, dass es eine Freude ist.
„Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs sendete“. – Mit der obligatorischen Musenanrufung beginnt die tragische Handlung rund um die wohl berühmtesten Streithähne der griechischen Mythologie. Die Achäer belagern gerade Troja, um die von Paris geraubte Helena zu befreien. Die will das zwar eigentlich gar nicht, ihr gehörnter Gatte Menelaos dafür umso mehr. Auf ihren Streifzügen um die Stadt rauben die wackeren Helden ein wunderschönes Mädchen, Chryseis, die Tochter eines Priesters. Die kostbare Beute erhält Agamemnon. Das wiederum ist dem Vater von Chryseis naturgemäß ein Dorn im Auge. Er will Chryseis auslösen, Agamemnon weigert sich aber, sie freizugeben. Beim Gehen fleht der Alte deshalb Apollon an, ihn zu rächen. Der göttliche Schütze läßt sich nicht lange bitten und trifft mit seinen tödlichen Pfeilen die Achäer. Der Seher Kalchas rät Agamemnon daraufhin, Chryseis zurückzugeben. Der lässt sich nur unter einer Bedingung darauf ein: Er will Achilleus‘ Lieblingssklavin dafür erhalten. Davon will Achilleus selbstverständlich nichts wissen, aber Agamemnon übergeht ihn einfach, um die eigene Macht zu demonstrieren (Männer!!). Das wiederum kann Achilleus nicht auf sich sitzen lassen. Stattdessen läuft er lieber zu seiner göttlichen Mutter und beklagt sich bei ihr über Agamemnons unsportliches Verhalten. Thetis, die bei Zeus einen Stein im Brett hat, setzt sich für den Filius ein und der Göttervater sendet Agamemnon einen trügerischen Traum mit Hoffnung auf baldigen Sieg.
Das ist erst der Anfang einer sehr kämpferischen, sehr blutigen und sehr verlustreichen Auseinandersetzung: Homers ILIAS. Die erfreut sich gerade wieder neuen Bühnen-Ruhms. Klar, entspricht der absolute Wille zur Macht, das Thema Krieg und die darunter leidende Bevölkerung einem beängstigenden Zeitgeist. Dass die ILIAS allerdings auch anders geht, dafür sorgt Carl Philip von Maldeghem mit seiner ganz eigenen und durchaus poppigen Variante. Die neun schmollenden Jahre vor den Toren Trojas vergehen wie im Flug. Die restlichen 51 Tage des zehnjährigen Krieges erzählen die gelungen auf einen Theater-Abend verdichteten 24. Gesänge mit bisweilen leicht ironischem Unterton. Die ILIAS so gar nicht heroisch, stattdessen werden die Brutalität und die menschlichen Abgründe, die sich hinter göttlichen Masken verstecken, vorgeführt und demaskiert.
Die Götter müssen verrückt sein.
Die Faszination der ILIAS Dramatisierung am Landestheater Salzburg wird vor allem dadurch evoziert, dass sich die Produktion selbst nicht so ganz ernst nimmt. Dieser persiflierte Eindruck ergibt sich unweigerlich, wenn Diomedes mit Dreadlocks immer wieder kleine Zettelchen hervorkramt, von denen er stockend abliest. Oder der eitle Paris (Yascha Finn Nolting), durch sein fatales Urteil um die schönste Göttin einst Auslöser des ursprünglichen Konflikts, im güldenen Hemdchen und blonden Löckchen – nach einigen Widerworten und einem kurzen weiteren Stelldichein mit Helena – wunderbar geckenhaft in die Schlacht schreitet. Agamemnon (Gregor Schulz) sinnt auf Rache und wird zum Signum männlichen Machtgebarens. In Helenas (Julienne Pfeil) verführerischer Gegenwart kann er deshalb auch offenbar nicht mehr anders. Die Triebe übermannen ihn förmlich, das endet im stereotyp-macholastigen Griff an den eigenen Schritt. Achilleus hingegen, der gekränkte Halb-Gott, zeigt sich da schon etwas männlicher (welche Ironie, ist es doch er, der sich beleidigt an Mama wendet) und kann sich zumindest in weiblicher Gegenwart beherrschen. Außerdem scheint Achilleus einem musikalischem Faible zu frönen; mit den Waffen trommelt er, was das Material erlaubt, gerne auch in der Luft. Den Heldentod stirbt allerdings sehr überzeugend Patroklos (Nikola Rudle). Euphorisch und beinahe naiv schlüpft Patroklos in die Rolle seines Helden Achilleus, um den Achäern mit dieser List doch noch den Sieg zu bringen. Das funktioniert nur deshalb nicht, weil er Achilleus‘ Ratschlag ignoriert und selbst in den Kampf eingreift. Dafür bringt Patroklos Heldentod die Handlung von Homer wieder ins Rollen. Überhaupt sind die Achäer und Troer ziemlich rockig in ihren Attitüden und Kleidung (Kostüm: Alois Dollhäubl). Oder liegt es doch an der kriegerischen Bemalung? Nein, vermutlich ist es einfach nur die aggressive Atmosphäre des stimmigen Settings zwischen gigantischen Reifen und überdimensionaler Papierrolle. Beides erweist sich als großartig bespielbar und verleiht mit den harten technoartigen musikalischen Einspielungen der ILIAS eine sehr moderne jugendliche Note (Inszenierung und Raum: Carl Philip von Maldeghem).
Sprachliche Experimentierfreude.
Zeitgleich sind es auch die sich immer wieder vollziehenden Brüche zwischen Dialog und Erzählung, die fesseln. Sie konzentrieren sich nicht nur auf den im Stück anwesenden Dichter, dem Christoph Wieschke eine durchaus imposante Präsenz und Autorität verleiht. Gleich zu Beginn schüttet sein Homer Theaterblut auf eine weiße, beschriebene Wand, das Fatum der Sterblichen ist besiegelt. Idealerweise ist es Wieschke selbst, der zwischen den Rollen Homers und Zeus pendelt. Der Poeticus als Göttervater. Zugleich partizipieren die Figuren eifrig an den sprachlichen Sprüngen und finden sich einmal in erzählender, einmal in dialoglastiger Position. Ein Umstand, der zwar etwas verwirren mag, da die textliche Kohärenz durcheinander gerät, gleichzeitig ist genau das einer der faszinierendsten Aspekte dieser ILIAS Interpretation.
C. Ph. von Maldeghem nutzt die sprachlichen Vorgaben der bekannten Johann Heinrich Voß-Übersetzung und kombiniert sie mit eigenen Kreationen (Dramaturgie: Carola Schiefke). Die Götter*innen sind bilingual und in den Sprachen ihrer jeweiligen Schauspieler*innen unterwegs. Während die australische Athene (Anastasia Bertinshaw) tänzerisch durch das Geschehen tobt, die Sterblichen und deren halb-göttliche Geschwister beeinflusst, parliert die betörende Aphrodite (Sabrina Amali) lieber in Arabisch. Frances Pappas partizipiert als Zeus‘ Angetraute Hera nicht nur emsig auf Griechisch am Intrigen-Spiel, sondern bereichert die ILIAS gesanglich. Wunderbare Soli akzentuieren den dramatischen Aspekt des homerischen Epos. Als besonders gelungener Einfall entpuppt sich auch, Yevheniy Kapitula als fremdsprachigen und sensationslüsternen Nachrichtenkorrespondenten vom Flachbildschirm konspirieren zu lassen. Untertitel erhellen währenddessen das nicht in allen Sprachen versierte Publikum (wo ist der Babelfisch, wenn benötigt?). Gleichzeitig bereichert das Sprachen-Potpourri das internationale Flair und den Pop-Art Charakter der Inszenierung.
Make Love, Not War.
Carl Philip von Maldeghems gleichzeitige Verortung des Griechenklassikers im Damals wie im Hier und Jetzt demonstriert recht anschaulich, dass der alte Kampf um Troja als Chiffre für alle Krisen und Katastrophen stehen kann. Troja vor der eigenen Haustür? Damit trifft die Produktion eigentlich ziemlich genau ins Schwarze.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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