WEIL ICH EIN MÄDCHEN BIN.
LGBTQ-Uraufführung am OFFtheater: DAS BILDNIS DER LILI ELVENES verleiht dem schwierigen Kampf um gesellschaftliche Anerkennung abseits der Norm eine berührende Note.
Frage: Wer blickt dir täglich aus dem Spiegel entgegen? Das Gesicht einer Frau, die auch biologisch eine Frau ist? Oder das Gesicht eines Mannes, der auch biologisch ein Mann ist? Herzlichen Glückwunsch, die Kongruenz von sozialem und biologischem Geschlecht haut hin und die eigene Identität läuft. Zeit für ein bisschen Demut. Schließlich ist die Unterteilung in „Weiberl“ und „Manderl“, wie es ein selbsternannter VolksRock’n’Roller so lapidar abwertet, keineswegs eine naturgegebene. Tatsächlich handelt es sich um ein soziales Konstrukt und das fällt entsprechend wackelig aus. Wie instabil, demonstriert Max Pfnürs Dramatisierung DAS BILDNIS DER LILI ELVENES. Die basiert auf dem realen Schicksal der gleichnamigen Frau und feierte in der Regie von Alex Linse am OFFtheater Uraufführung (Maske: Andrea Linse, Technik: Johans Meyer-Wegener, Bühnenbau: Florian Strohriegl).
In aller Plot-Kürze
Das junge Maler-Ehepaar Gerda und Einar Wegener sorgt in Kopenhagen für Skandale. Nicht etwa, weil Einar seiner Frau als ‚Lili‘ Model steht, sondern vor allem, weil die ein Intermezzo mit der Tochter des Stadtrats pflegt. Es folgt ein Umzug nach Paris. Einar entdeckt immer mehr Lili in sich und will sich auch biologisch seinem gefühlten Geschlecht anpassen. Ein langer Kampf, der gelingt. Einar wird zu Lili, die ihr Glück allerdings nur kurz genießen kann. Wenige Tage nach ihrer letzten Operation verstirbt sie, vermutlich an den Folgen des Eingriffs.
Tabula rasa
Homogen bilden Ensemble und Ausstattung die Basis der komplexen Inszenierung. Es dominieren Hermaphroditismus und beste Stummfilm-Maske mit expressiven Gesichtsausdrücken. Als textile Grundierung tragen Schauspieler*innen unisono Hemd, Krawatte, Hose, Make-up und vereinen damit bereits beide Geschlechter. Ein spannender Aspekt, der das Spiel mit den biologischen und sozialen Kategorisierungen frühzeitig aufgreift und reflektiert. Peu à peu wird dem identischen Erscheinungsbild Individualität eingeflöst. Die Figuren entwickeln eigene Charakteristika, individuelle Facetten, wenngleich der Fokus auf dem Wechsel des Geschlechts bleibt. Die Männer schlüpfen bevorzugt in die weiblichen Parts, die Damen werden zu Herren.
Autor Max Pfnür beteiligt sich selbst am Spiel und pendelt zwischen Einar und Lili. Seine Darstellung nimmt immer weiblichere Züge an. Das wird nicht nur am sich intensivierenden Make-up deutlich, sondern vor allem stimmlich. Die Sprachmelodie verliert allmählich ihre maskulinen Züge, wird sanfter und leiser, je weiter der Abend voranschreitet, je mehr Lili auf der Bühne präsent ist. Dazwischen kneten die beiden Figuren nervös ihre Finger und akzentuieren die Unsicherheit, die Zerrissenheit im Kampf um Identität.
Mädchen, Mädchen
Wer war Einar Wegener/ Lili Elbe jetzt eigentlich wirklich: Mann*Frau*oder*? Lange Zeit galt Lili als paradigmatischer Transgender-Fall, tatsächlich deutet aber einiges auf Intersexualität hin. Das heißt also, beide Geschlechtsmerkmale waren in verschiedener Ausprägung vorhanden. Dieser Theorie folgt auch Max Pfnürs Dramatisierung, die mit subtilen Einsprengseln Türen in die unterschiedlichsten Richtungen öffnet. Immer wieder ist die Rede von „noch mehr Mädchen“ oder „endlich ein richtiges Mädchen sein“. Auch die These von den (angeblich) verkümmerten Ovarien wird aufgegriffen, um die bereits vorhandene biologische Weiblichkeit der Figur zu verstärken. Gleichzeitig oszilliert Einar zum Eindringling, zum Synonym für durch die Gesellschaft aufgezwungene Geschlechtlichkeit. Muss er deshalb geopfert werden? Lili ist nach ihrer Neugeburt sichtlich erleichtert und plötzlich lebenslustig, der abgeworfene Ballast greifbar.
Die Götter müssen verrückt sein
Verschwundene Dokumente und eine posthum erschienene Autobiografie, die deutliche Spuren anderer Autoren trägt: Der mageren historischen Faktenlage wird bei DAS BILDNIS DER LILI ELVENES mit einer offenen Dramaturgie Tribut gezollt. Nichts muss, alles kann. Wissenschaftliche Reputation? Papperlapapp. Gutachten werden auch im Stück angepasst und alternative Wahrheiten kredenzt, um schneller ans individuelle Karriere-Ziel zu gelangen. Entsprechend janusköpfig und dubios geben sich auch die Weißkittel im BILDNIS DER LILI ELVENES – Tom Pfertner moralisch flexibel als buckelnder, anstößiger Dr. Oiseau, Dr. Gohrbrandt oder misogyner Pfleger Gerald – wobei auch das schüchterne, verspielte Dorchen Richter und der maskuline Fernando Porta sitzen.
Anna Knott gibt den stimmig undurchsichtigen Prof. Warnekros, der dank Trenchcoat und Hut seine ganz eigenen, vermutlich unfreiwilligen Agenten-Momente birgt. So bieder Lili, so ruchlos Gerda (ebenfalls sehr gelungen Anna Knott). Verwegen führt sie die Rolle der braven Hausfrau mit provokativem Verhalten und derben Sprüchen obsolet, zotig unterstützt von der lebensfrohen, frechen Draufgängerin Hélène Allatini (Diana Paul mit sichtlich Spielfreude). Die Schattenseiten der Forschung skizziert ebenfalls Diana Paul als depressive, verwirrte Patientin Emma Hvidsen – von Medikamenten und fragwürdigen Behandlungsmethoden still gestellt.
Erst die Kunst, dann die Moral
DAS BILDNIS DER LILI ELVENES präsentiert sich offen und ungeschönt. Einfühlsam wagen sich Autor, Regisseur und Ensemble an ein komplexes Thema, das andernfalls ein gesellschaftliches Randdasein fristet. Dem kann nur Respekt gezollt werden. Die Untermalung mit dem einen oder anderen moralischen Song aus der DREIGROSCHENOPER scheint da angebracht. Einzig die Länge des Stücks ist diskutierbar. Diese sportliche Ausdauer liegt vermutlich an der selbst auferlegten Faktentreue. Wobei ohnehin fraglich sein dürfte, wie viel in dieser unter schwierigsten Bedingungen überlieferten Lebensgeschichte tatsächlich der Realität entspricht. Die zahlreichen Zeitsprünge und redundanten Mini-Szenen verwirren mehr als sie erhellen. Umbauarbeiten verzögern das Geschehen zusätzlich.
Gleichzeitig darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass DAS BILDNIS DER LILI ELVENES eine Gratwanderung ist. Ohne Gefühle zu verletzen oder das schwierige Thema der Lächerlichkeit preiszugeben, gelingt die Darstellung einer dramatischen Lebensgeschichte niveauvoll und eindrücklich.
Fotonachweis: Mark Prohaska