Kleines Paar – was nun?!
OBERÖSTERREICH oder Szenen einer Ehe: Hildegard Starlinger inszeniert das sozialkritische Volksstück an der ARGEkultur und kreiert ein stereotypes Stückchen unbequeme Realität.
Auf der Bühne sitzt ein Paar, das gebannt in den Fernseher starrt und dabei mal mehr, mal weniger appetitlich an seinen Maiskolben knabbert. OBERÖSTERREICH stellt vor: Anni und Heinz – ein kleinbürgerliches Parade-Ehepaar irgendwo in der Provinz, das sich im Alltäglichen bereits so gemütlich eingerichtet hat, dass es sich eine Existenz ohne gar nicht mehr vorstellen kann. Bis Anni unverhofft schwanger wird und der philiströse Trott mit seinen Zwängen in Frage gerät. Höchst unbequem für das kleine Paar, das die liebgewordene Routine und damit die eigene Existenz auf den Prüfstand stellt.
Das kleine Paar
OBERÖSTERREICH stammt aus der Feder von Franz Xaver Kroetz und der ist für seine sozialkritischen Dramen bekannt. Gerne beschäftigen sich die mit Außenseiter*innen und sozialem Elend. Da trifft es sich recht gut, dass Kroetz selbst bereits u.a. Kraftfahrer, Pfleger oder Gelegenheitsarbeiter war. An der ARGEkultur inszenierte sein Stück jetzt Hildegard Starlinger und kreierte dafür eine Kunstwelt, die zwischen Bauernstübchen, Provinz und Neuzeit oszilliert (Bühne: Alois Ellmauer, Kostüme: Elke Gattinger, Video & Audio Markus Weisheitinger-Herrmann). Annie (Anna Morawetz) und Heinz (Wolfgang Kandler) sind ein sympathisches und nur vordergründig einfach gestricktes Pärchen. Sie optimistisch und hartnäckig, er tendenziell der Flasche mehr zugeneigt, als ihm gut sein dürfte, und zu Überreaktionen tendierend. Den Sarkasmus bringt Wolfgang Kandler wunderbar auf den Punkt – auch im Gestus -, während Anna Morawetz meistens lächelnd die ewig gut gelaunte Annie mimt. Nur manchmal zeigt diese Annie Zweifel und erhält gerade dadurch ihre Authentizität. Nachdenklich blickt sie dann ins Publikum, bevor sie beinahe schon trotzig wieder für ihre Ideale eintritt.
Aphorismen-Lawine
Annie und Heinz sind das Stereotyp für ehelichen Alltag und die Fragen, die die kleine Frau und den kleinen Mann von der Straße beschäftigen. Glück, Unglück, Träume, Wünsche – es sprudelt nur so aus den beiden Figuren hervor. Nebenbei beschäftigen sie sich mit banalen Dingen, die gerade dadurch plötzlich gar nicht mehr so banal scheinen. Das liegt zum Teil auch an der Kunstsprache, die OBERÖSTERREICH prägt, und die irgendwo zwischen dialektaler Poetik und Kalendersprüchen oszilliert. Wortspenden wie „man fährt am besten, wenn man es ruhig angehen lässt“, die auch von einem Paulo Coelho stammen könnten; freilich einem mit breitem österreichischen Lokalkolorit. Das Faszinierende daran ist aber, dass der Weisheiten-Strom ähnlich unerschöpflich scheint. Satz um Satz sprudelt es aus den Figuren hervor. Wobei vor allem Hildegard Starlingers Regie für das Aufbrechen dieser Aphorismen-Lawine sorgt; kluge Querverbindungen bringen sie ins Stocken und ermöglichen dem Publikum die dringend benötigte Aphorismen-Auszeit – als Medium nutzt die Regisseurin drei übereinander gestapelte TV-Bildschirme. Auf denen versammeln sich Interviewte, die die in den Raum geworfenen Fragen, Stichwörter aufgreifen und beantworten. Der Querschnitt durch die Bevölkerung vergrößert sich, aus (fast) jede*r Gruppe finden sich Vertreter*innen. Zusätzlich sind die Szenen eine wunderbare Metapher für die Medienfixierung, die dem Parade-Pärchen unterstellt werden darf; der permanente Nachrichtenstrom scheint ihr Movens zu sein und ihre Lebensenergie. Fehlt eigentlich nur noch eine Insta-Story.
Die weißen Figuren
Weiße Figuren geistern im Off durch das Stück und akzentuieren die Handlungen von Annie und Heinz. Sie assistieren, tanzen oder liefern den Soundtrack (Komposition & Musik: José Fernando Elias, Tanz: Anna Adensamer). Der rustikale Anfang mit den elektronischen Unterbrechungen markiert auch gleich die lokale Verankerung. Da ist sie wieder, diese Kunstwelt, die sich nicht recht entscheiden kann oder will, ob sie jetzt Bauernstübchen, Provinz oder Neuzeit ist. Fast scheint es so, als wäre sich die fiktive Realität selbst uneins, wo sie sich einzureihen gedenkt. Dazu trägt vielleicht auch bei, dass OBERÖSTERREICH aus den Siebzigern stammt und das dem Text phasenweise noch anzuhören ist. So wird szenisch laut darüber nachgedacht, ob das Donauland-Abo storniert werden soll (gibt es Donauland überhaupt noch?) oder darüber philosophiert, dass Wien heutzutage ja gar nicht mehr so weit weg ist. Lang leben die 70er! Gleichzeitig wird in Euro gerechnet und flimmern aktuelle Sorgen und Hoffnungen über die drei Bildschirme. Dass die am Ende von den zwei weißen Figuren gekapert werden, scheint passend; schließlich könnten die auch die merkwürdig entrückten Alter Egos von Annie und Heinz sein, vielleicht aber auch ganz einfach nur ihre Träume und Wünsche.
Fotonachweis: Michael Groessinger
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