Politaoke (Diana Arce) – Digital Spring / Media Art Festival

„Welcher Bundestag ist denn heute?“ – Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Politaoken.

Politaoke, Politaoke, Politaoke. In meinem Kopf wiederhole ich das immer gleiche Mantra. Ich muss mich auf die Vokale fokussieren, um keine spontanen Wortneubildungen zu provozieren. Unseligerweise tanzen die Buchstaben in meinem Kopf gerade ihren Namen und das auf immer andere Art und Weise. Mit etwas Konzentration und der ersten erfolgreichen Reproduktion funktioniert es dann aber doch noch: Politaoke. Jetzt fließt es. Politaoke, Politaoke, Politaoke.

2007 entwickelte Diana Arce, eine in Alaska geborene Dominikanerin, die bereits in halb Amerika beheimatet war und zur Zeit in Berlin lebt, das „Politaoke“, eine neue Form des Karaoke. Nur zur Erinnerung: Karaoke ist das mit dem Singen. Meisten treffen sich dafür einige bis viele Menschen in privaten Haushalten oder öffentlichen Nachtlokalitäten und schmettern lustig und heiter, von erstaunlich schief bis sehr tonischer, bekannte Hits in Mikrofone, deren Texte sie von Bildschirmen ablesen. Die Hemmschwelle der Neo-Interpreten sinkt und ihre Experimentierlaune steigt, je höher der Alkoholspiegel.

Ist Karaoke schon eine recht lustige Angelegenheit, dann ist Politaoke noch besser. Vergesst den Part mit dem Singen. Jetzt werden Reden geschwungen und leidenschaftliche Deklamationen zelebriert; Wahlkampf erhält eine gänzlich neue Note. Nun ja, nach anfänglichem Zögern, einiger einschmeichelnder bis härterer Überzeugunsarbeit von Diana Arce und ersten zarten Reden-Versuchen seitens des Publikums zumindest. Der Bann ist gebrochen. Mit jedem erfolgreich absolviertem Auftritt (und das sind sie alle), steigt die Redelust im Studio der ARGEkultur, wo im Zuge von Artivism die parteiunabhängige Karaokebar eingezogen ist. Immer mehr Freiwillige wählen sich eine Rede aus dem recht umfangreichem Repertoire. Das konnte bis kurz davor noch durch das Publikum selbst angereichert werden. Merkel, Stoiber, Strache, Lugner oder doch lieber ein amerikanischer Präsident? Alles da. Die Sprechtempi der gewählten Politiker*innen variieren dabei beachtlich. Das gilt es bei der eigenen Wahl zu bedenken, da andernfalls dem Text von Merkel, Strache und Co hinterher gehetzt wird. Die Politaoke-Redner*innen geraten ins Stolpern, verlieren Sätze, sind außer Atem und kontern amüsant. Genau das sind allerdings auch die Situationen, die das Politaoke-Gaudiums konstituieren.

Die Stimmung wird immer ausgelassener. Es scheint also beinahe blasphemisch, die Veranstaltung aus  Busplan-Gründen etwas verfrüht zu verlassen. Dadurch verpassen wir leider auch die Krönung des*der abendlichen Siegers*in und damit des*der Gewinners*in des Politaoke T-Shirts. Wir hoffen auf den*die eigene*n Favoriten*in.

Übrigens sind die Nebenwirkungen des Politaoke keinesfalls zu unterschätzen. Auf dem Weg zum letzten Bus erkundigt sich die Verfasserin dieser Zeilen nach dem Wochentag. Zumindest war das ihre Intention, als stattdessen ein unkontrolliertes „Welcher Bundestag ist denn heute?“ ihre Lippen verlässt.

 

Fotonachweis: Politaoke

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