REICH MIR DEN ASTHMASPRAY, KLEINES.
Neurosen-Alarm am Salzburger OFFtheater. SPIEL’S NOCHMAL, SAM feierte in der Eichstraße Premiere und schlug ein wie eine Bombe, eine höchst humorige.
„Wo die Neurosen wuchern, will ich Landschaftsgärtner sein“, poetisieren Element of Crime und sind zumindest stilistisch auf dem besten Weg nach New York. Mit etwas Glück treffen sie dort auf Allen Felix. Die Hauptfigur aus Woody Allens SPIEL’S NOCHMAL, SAM ist ein Neurotiker, wie er im Buche steht – und die tummeln sich nicht nur im amerikanischen Großstadtdschungel, sondern auch im idyllischen Salzburg. Dort premierte die schlagfertige Neurosen-Komödie mit dem sozial inkompatiblen Antihelden mit Pauken und Trompeten. Regie: Alex Linse, Maske: Andrea Linse, Technik: Jonas Meyer-Wegener, Musik: Alex Linse & Jonas Meyer-Wegener.
In aller Plot-Kürze
Filme? Sind die Paradedisziplin von Allen Felix. Der New Yorker Filmkritiker wurde gerade von seiner Frau Nancy verlassen. Das ist bitter und Allen sucht Trost bei Humphrey Bogart, der ihm als imaginärer Berater zur Seite steht. Seine Freunde Dick und Linda wollen ihn verkuppeln, aber so ein Stadtneurotiker hat’s nicht leicht. Und dann verliebt er sich auch noch just in Linda, die Ehefrau seines besten Kumpels.
Neurosen-Pflege
Ganz ehrlich? Beim Neurosen-Wildwuchs von SPIEL’S NOCHMAL, SAM am OFFtheater kommen Gartenscheren rasch an ihre Grenzen. Auch der redundante Laubsauger darf einpacken. Um dem heiteren Psychosen-Reigen Herr zu werden, müssten harte Macheten-Geschütze her. Das wäre allerdings nicht Sinn der Übung und würde die köstliche Komödie im Keim ersticken. Deshalb besinnt sich das OFFteam lieber auf den neurotischen Größenwahn, rückt die verrückt-sympathischen Macken liebevoll ins Scheinwerferlicht und gießt sie ausgiebigst mit scharfzüngigen Pointen. Allen voran Max Pfnür als Woody Allens psychotisches Alter Ego Allen Felix. Das erste Bild weist den Weg. Andächtig sitzt der Filmkritiker auf seiner Wohnzimmercouch und flüstert lautlos die berühmten Zeilen aus „Casablanca“ mit. Dem Film, der auch für SPIEL’S NOCHMAL, SAM Pate stand.
„Schau mir in die Augen, Kleines“
Es sind große Fußstapfen, die Max Pfnürs Figur füllt. Den Neurotiker hat er verinnerlicht. Fingernägel kauend, steht Allen da, wirft sich eine Tablette nach der anderen ein und hadert mit dem Schicksal als verlassener Ehemann – niemals um die entsprechende Mimik verlegen. Im Gegenteil; von verzweifelt bis größenwahnsinnig zieht Pfnür alle Register. Letzteres in den stimmig inszenierten Traumsequenzen des Großstadtneurotikers. Erkennbar am Lichtwechsel und daran, dass plötzlich Humphrey Bogart aus Pappmaché ein stimmliches Eigenleben entwickelt (Alex Linse). Souverän und mit tiefen-entspanntem Macho-Einschlag erteilt er dem unsicheren Allen chauvinistische Ratschläge, dass es eine Lach-Orgie ist, aber niemals ins Lächerliche abdriftet. Es ist auch diese Metaebene, die den unsicheren, psychotischen Allen für kurze Momente in einen bedenklichen Helden der alten Schule verwandelt – ein Bogart-Double, mit all seinen frauenfeindlichen Facetten.
Jagd durch die Traumsequenz
Traumsequenzen ist Diana Pauls Stichwort: Egal ob als anspruchsvolle Ex Nancy oder als Allens andere Dates – jeder Figur verleiht Diana Paul das gewisse Etwas. Die Palette reicht von verrucht bis intellektuell, von wichtig bis nyphomanisch. Wie aus dem Nichts schießt sie hinter dem Sofa hervor, nur um im nächsten Moment wieder auf der anderen Seite der Kulisse aufzutauchen. Ähnlich sportlich Alex Linse, der als gestresster Dick großartige Hektik verbreitet und von einem Telefon zum Nächsten hechtet – mit kurzen Unterbrechungen, um dem niedergeschlagenen Freund moralischen Beistand zu leisten. Den liefert auch Anja Clementis Linda. Pschychotisch mit Allen auf einer Wellenlänge, ergeht sich die Schauspielerin in köstlichem Fachgesimpel um die etwaigen medikamentösen Vorlieben.
Liebe für Neurotiker
Es muss Liebe sein, wenn sich Allen und Linda einen Asthmaspray teilen – Romantik pur auf der Couch, die Allen zur Abwechslung einmal nicht abräumt. Apropos, das ist auch so eine Eigenheit des psychotischen Filmkritikers, die zu zahlreichen blauen Post-Vorstellungsflecken führen könnte: Als absoluter Tollpatsch stolpert der gebeutelte Antiheld regelmäßig durch die Wohnung und wirft souverän das gesamte Inventar über den Haufen. Egal ob Sofa, Tisch, Lavalampe oder Rouleaus, der amerikanische Slapstick sitzt – felsenfest und erstaunlich leichtfüßig. Genauso treffsicher wie Allens linke Wurfhand und die heiteren Fensterstürze der malträtierten Schallplatten, die in wunderbare Sound-Effekte kulminieren. Es sind diese und ähnliche Details, die den humorigen Rahmen von SPIEL’S NOCHMAL, SAM bilden und ausdehnen, ohne dabei ins kalauerartige abzudriften oder schnöde Hanswurstiaden zu produzieren.
Spiel’s nochmal, OFFtheater
Was für Literatur-Junkies Goethes „Faust“ oder Schillers „Wilhelm Tell“, ist für Cineasten Curtiz‘ „Casablanca“. Woody Allen setzte ihm mit SPIEL’S NOCHMAL, SAM ein neurotisches, pointiertes Denkmal, das das Salzburger OFFtheater spielfreudig aufgreift und wortgewandt inszenierte. Das Ergebnis ist ein Abend bis zum Bersten mit ironischem Humor, intelligenten Pointen und scharfzüngigem Wortwitz gefüllt, während Slapstick zur Paradedisziplin erhoben wird. Element of Crime darf die Machete getrost stecken lassen, in Salzburg wird den Neurosen der rote Teppich ausgerollt.
Fotonachweis: OFFtheater Salzburg
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