EINMAL WIENER OPERETTE MIT ALLES, BITTE.
Manche Dinge kommen nie aus der Mode – Operette ist so ein Phänomen. Marco Dott inszenierte den Strauß-Klassiker WIENER BLUT jetzt am Landestheater Salzburg mit Tempo, Glamour und viel Wiener Schmäh.
Wenn der Junior für den Sohn einspringt, dann ist das nicht Aufstand der Zwerge, sondern österreichische Musikgeschichte. Als Johann Strauß Sohn von Franz Jauner den Auftrag zu einer komischen Operette erhielt, war er bereits 73 Jahre und gesundheitlich lädiert. Deshalb durchforstete Adolf Müller Junior das breite Œuvre des berühmten Komponisten (über 500 Stücke) und arrangierte ein Best-of gängiger Melodien. Victor Léon und Leo Stein stellten sich der Libretto-Herausforderung und bestückten zum Teil ziemlich bekannte Kompositionen mit singbaren Texten, die obendrein noch (halbwegs) Sinn ergaben. Das Resultat ist weltweit bekannt. Aktuell feiert WIENER BLUT am Landestheater Salzburg ein lebenslustig keckes Revival.
In aller Plot-Kürze
Die Lage scheint vertrackt. Graf Zedlau hat eine Affäre mit der Tänzerin Franziska Cagliari und ihr in seinem amourösen Eifer die Stadt-Villa überschrieben. Dumm gelaufen, denn just zu diesem Zeitpunkt zeigt seine Frau Gabriele zum ersten Mal seit Langem wieder Interesse an ihm. Jetzt habe der Graf es endlich, das viel gerühmte „Wiener Blut“, das sie nach der Heirat so schmerzlich vermisste und sie beinahe sofort wieder zu ihren Eltern zurückziehen ließ. In Anbetracht der neuen Umstände will Gabriele nach Wien, wo aber schon Zedlaus Geliebte wartet. Beide ahnen nicht, dass der untreue Graf bereits Nummer 3 ins Auge gefasst hat, Pepi Pleininger, das Schneidermädchen. Die ist allerdings auch die Verlobte von Josef, seinem Assistenten. Das Chaos scheint perfekt, als sich alle abends beim Ball treffen.
Einer für alle, alle für einen
Der Junior arrangierte also für den Sohn, Léon und Stein schrieben das Libretto, das Ganze ist in der Zeit des Wiener Kongresses angesiedelt – da fehlt doch was. Genau, jetzt inszenierte ein Deutscher den österreichischen Operetten-Liebling am Landestheater Salzburg. „Ja, kann denn das überhaupt funktionieren“, mögen sich die einen fragen und empört die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Kann und tut es auch, sogar sehr gut. Vielleicht sind es gerade die ständigen Sticheleien zwischen Deutschland und Österreich, übrigens ein Produkt des besagten Wiener Kongresses, die den humorigen Charakter besonders befeuern. Marco Dott erkannte das selbstironische Potential und treibt den Mut zur dialektalen Verballhornung auf die Spitze. Sein WIENER BLUT ist ein Fest der sprachlichen Unterschiede. Das zelebrieren die Sänger*innen mit Verve und noch mehr Wiener Schmäh.
Große Strauß-Sause
Franz Supper gibt den umtriebigen Balduin Graf Zedlau. Stimmlich stark und selbstsicher, moralisch auf Abwegen, flirtet er mit allem, was weiblich und bei drei nicht auf den Bäumen ist. Gattin Gabriele zeigt sich davon wenig amüsiert (Anne-Fleur Werner als empörte Angetraute, die vokal temperamentvoll in die Vollen geht). Um ihn zu überführen, lässt sie sich aber auf das heitere Verwirr-Spiel in Strauß’scher Operetten-Manier ein. Man denke an den Grafen Orlowsky und seine Fledermaus-Sause. Zum Liebling des Abends avanciert allerdings just ihre Kontrahentin, Franziska Cagliari (Ilia Staple). Staple gibt das auf Krawall gebürstete, latent – okay, sehr – prollige Wiener Mädel, das so gar nichts mit dem süßen Arthur Schnitzler-Pedant gemein hat. Eifersüchtig bis zur Ekstase stellt sie kreischend ihre Ansprüche und akzeptiert keine Geliebte neben sich. Seine Frau? Schlimm genug. Köstlich, wie Ilia Staple immer wieder eine Art aggressiven Schweigefuchs aus dem Ärmel schleudert und in stärkstem Wiener Regiolekt über den Grafen herfällt.
Schmäh? Läuft!
In Sachen Wiener Schmäh kann Franziska höchstens ihr Vater die Stirn bieten (Sascha Oskar Weis als lebenslustiger, unflätiger Karussellbesitzer Kagler mit starker Affinität zur heiß geliebten Klarinette). In enormem Tempo sprudeln die dialektalen Höhepunkte aus ihm heraus und wirft er sie dem deutschen Premierminister (Axel Meinhardt) um die Ohren, dass es ein Volksfest ist. Dem bleibt gerade genügend Zeit, der Sache lautmalerisch auf den Grund zu gehen und am Sprachschatz seines Gegenübers vorbildlich zu verzweifeln. Das Publikum goutiert so viel sprachlichen Sprengstoff und genießt das verbale Feuerwerk. Das schüren auch der wütende Fiaker-Kutscher (Michael Schober) und Graf Zedlaus Assistent Josef (Alexander Hüttner). Mit bayrischem Einschlag versucht Letzterer zu übersetzen und wird doch immer nur zum Schweigen verdammt. Wenn er dann endlich ein Wort oder eine Weisheit einwerfen darf, gibt er sie slapstickartig zum Besten. Diese überdrehten Elemente entstauben nicht nur den Stoff, sondern bilden gleichzeitig die Signatur Marco Dotts.
Je oller, desto doller
Zur Regie-Handschrift zählen aber auch Glitzer und Glamour. Gemeinsam mit Alexander Korobko (Choreografie; Kostüm: Conny Lüders) setzt Dott auf Revue-Charakter. Knapp bekleidet, aber funkelnd und strahlend erobern die Tänzer*innen ihre Bühne und sorgen für lebensfrohe Zerstreuung. In die fügt sich auch Tamara Ivaniš als Schneidermädchen Pepi Pleiniger homogen ein. Stimmlich stark, ist es nur ihr ausgeprägter Akzent, der hin und wieder aus dem Operetten-Rahmen springt – vor allem dann, wenn die Figur eigentlich Pepi heißt. Solche Probleme sind den Musiker*innen fremd. Das Mozarteumorchester Salzburg führt unter der Leitung von Robin Davis temporeich durch den Abend. Christian Floerens Bühnenbild oszilliert farbenprächtig und trotzdem nostalgisch-reduziert zwischen Salon und Prater.
Napoleon und Sargnagel
Historische und zeitgenössische Referenzen geben sich bei Marco Dotts WIENER BLUT unauffällig die Klinke in die Hand. Als roter Faden fungiert Napoleon (Horst Zalto); ein heimatloser Bettler, der frappant an den gefallenen Machthaber erinnert und wirre, moderne Spuren durch das Stück zieht. Vielleicht um auf die von Strauß intendierte Zeit anzuspielen und die schwierigen wirtschaftlichen Umstände. Dann taucht im letzten Bild aber auch noch eine Frau auf: rote Baskenmütze, schwarze Kleidung. Mit der Zigarette in der Hand, Bier immer in Reichweite und dem Notizblock auf den Knien erinnert sie an die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel. Ein Zufall, der der roten Baskenmütze geschuldet ist? Oder ist Stefanie Sargnagel tatsächlich symbolisch in die Strauß-Operette eingegangen? Emsig schreibt die seltsam aus der Zeit gefallen anmutende Figur das Geschehen mit und zieht immer wieder bedächtig an der nicht kürzer werden wollenden Zigarette. Ein Hoch auf die Literatur.
Charme-Offensive
Heiter, lebensfroh und nie um eine Ausrede verlegen: WIENER BLUT hat ihn noch immer, diesen ganz speziellen österreichischen Charme. Und genau den zelebrieren Marco Dott und sein Team auch in der Salzburger Inszenierung und verleihen ihm einen hyperbolischen Twist, der der komischen Operette ausgesprochen wohl bekommt.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
by