Je oller, desto doller!
Das Land ist in zwei politische Lager gespalten, ach was, ganz Europa hat ein Problem. Der Theaterverein Chromosom XX nimmt die Herausforderung an und versucht mit WIR SIND PRÄSIDENT*IN – EINE AUSNAHMEKONFERENZ die Aufgabe zu lösen: innovativ anders.
Die Bürgermeister-Wahlen haben es in Salzburg in Zahlen gefasst: Das Land ist müde, wahlmüde, und in zwei Lager gespalten. Der traurige Sturzflug und die allgemeine Resignation finalisierten sich mit der Trump’schen Präsidentschaftskandidatur. Nun gut, könnte man einwerfen, das betrifft uns nicht, Amerika ist schließlich weit weg – falsch gedacht. Die seltsame schwarz-weiß Polarisierung scheint uns alle zu erfassen. Von den USA schwappte die Welle auf Europa über und bescherte Deutschland und Österreich ähnliche Identitäts-Turbulenzen. Die Bevölkerung ist gespalten, der Frustrationspegel steigt und niemand will’s gewesen sein.
Halt. Genau dieser Punkt ist die Ausgangsbasis von WIR SIND PRÄSIDENT*IN – EINE AUSNAHMEKONFERENZ. Während sich die einen nämlich bereits der inneren Immigration widmen und liebevoll ihre Scheuklappen polieren, setzt der Theaterverein Chromosom XX auf politische Aktionskunst – oder eben Theater – und fragt nach dem „wer“ und „wir“ und „was“ eigentlich so eine Identität konstituiert. Dazu holt sich die Inszenierung unter der Leitung von Dagmar Lesiak und Bernadette Heidegger nicht nur professionelle Schauspieler*innen ins Boot, sondern auch Laien-Darsteller*innen und Schüler*innen des Musischen Gymnasiums. Gemeinsam präsentieren sie ein Sammelsurium an österreichischen Mentalitäten.
In aller Plot-Kürze
Ist der Konjunktiv noch zeitgemäß, muss die Melancholie wirklich Teil der Nation sein und wie sieht’s eigentlich mit dem Patriarchat, der Gemütlichkeit, der Kulturnation oder der Opfermentalität aus? In Österreich werden redundante Geisteshaltungen zur Ausnahmekonferenz gebeten. Das anwesende Gremium soll entscheiden, wer bleiben darf und wer gehen muss. Gar nicht so einfach und freiwillig räumt keine Mentalität ihr heimeliges Nest.
„Ich habe heute leider kein Foto für dich“
Die TriBühne Lehen wird zum Austragungsort der etwas anderen Delegiertenkonferenz. Die Abgesandten sind Archetypen repräsentativer österreichischer Mentalitäten beziehungsweise die einzelnen Puzzleteilchen der kulturellen Identität. Schauspieler*innen und Laien-Schauspieler*innen schlüpfen in die Rollen der Stellvertreter und kämpfen wortreich um den Erhalt ihrer Ideologie. Als Form setzt WIR SIND PRÄSIDENT*IN dabei auf aktives Mitmachtheater in gemäßigter Form, das gerade landesweit die Bühnen erobert. Partizipieren ja, aber bei Chromosom XX in vertretbarer Form. Hier wird niemand aus dem Publikum genötigt, Reden zu schwingen – auch wenn die Befürchtung am Anfang gegeben scheint, wie dem einen oder anderen besorgten Gemurmel zu entnehmen ist. Schließlich werden statt Eintrittskarten Konferenzpässe verteilt. Tatsächlich sorgt aber genau diese Form des Theaters für eine sehr lebendige, sehr nahbare Inszenierung mit divergierendem Ausgang.
Wer sind Wir – und wenn ja, wie viele?
Es sind amüsante Szenen, die sich auf der Bühne entfalten, wenn die Archetypen ihre Plädoyers präsentieren. Gleichzeitig entbehren sie aber auch nicht eines gewissen Ernstes und einer finalen Feierlichkeit; das ist stimmig, schließlich kämpfen die Delegierten auf argumentativer Basis um den Bestand oder die Abschaffung von sich und ihresgleichen. Die vorgetragenen Texte sind kluge Resümees und pointierte Skizzierungen der unterschiedlichen Wesensarten. Satzverspielt und wortvernarrt versucht der Konjunktiv (Leo Prothmann) ruhig und temperiert seine Stellung zu sichern, während die Opfermentalität (Sophie Hichert) salbungsvolle, betroffene Reden schwingt und sichtlich in ihrer Opferrolle aufgeht – da wird direkt Lust auf Opfersein geweckt. Eine fröhliche Melancholie (Samar Shehata) weiß sich mit Bühnennebel und altem Laub zu inszenieren. Es sind diese und ähnliche kleine Details, die WIR SIND PRÄSIDENT*IN einen individuellen Charme verleihen. Forsch und resolut tritt das Patriarchat (Paul Hüttinger) zum Appell an; tatsächlich kann es sich eines gewissen Rechtsdralls nicht erwehren, wenn es da gekonnt in die Führerposition springt und eloquent alle Macht an sich reißt.
Die große Stunde der Kulturnation (Waltraud Prothmann) schlägt nicht ohne fulminanten Auftritt. Eitel und arrogant dreht sie erst einmal die Weihnachtsbeleuchtung an und stellt ihre Vorladung in Frage. Österreich ohne Kultur, ist das überhaupt möglich? Verbissen wirft sie mit Schuldzuweisungen um sich. Gemütlicher geht’s da die, nun ja, eben Gemütlichkeit (Tobias Enzesberger) an. Gleichwohl sie sich fröhlich in Widersprüche verstrickt, wenn sie vom schnelllebigen Wien und gemütlichen Paris spricht. Als Kopf der Konferenz moderiert die Leitung (Bernadette Heidegger) souverän und sachlich, mit dem einen schnippischen Kommentar hier oder dem anderen ironischen Verweis da. Mit dem Ausgang ist sie alles andere als zufrieden und fordert prompt aussagekräftigere Statements. Dafür werden die Delegierten zum sportlichen Ja – Nein-Entscheid gebeten. Ob sie wirklich richtig stehen, sehen sie, wenn, nein, nicht wenn das Licht angeht, sondern wenn sie sich für ihre Antwort rechtfertigen müssen. Das führt zu humorigen Szenen und eindeutig-zweideutigen Selbstentlarvungen.
Professionelle und Laien-Schauspieler*innen verschmelzen zu einem homogenen Ganzen, die einen nehmen die anderen auf ihrer Bühnenreise mit. Das Resultat ist mit WIR SIND PRÄSIDENT*IN – EINE AUSNAHMEKONFERENZ ein kluges Polit-Programm, das auf unbequeme Fakten aufmerksam macht und zum kritischen Diskurs anregt. Am Ende entscheidet tatsächlich das Publikum. Ein letztes Mal werden die Vorteile der gewählten Theaterform sichtbar. Die Entscheidungsverkündung ist spannend, vermutlich nicht nur für die Besucher*innen. Und dazwischen immer wieder einige Störenfriede aus den Publikumsreihen, die musikalisch Meinungen verdoppeln, verdreifachen und kreativ in den Raum performen (Schüler*innen des Musischen Gymnasiums). Da machen politische Konferenzen Spaß!
Noch am 12. und 15.01. in der TriBühne Lehen.
Fotonachweis: Chromosom XX
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