Schlechte Stücke braucht das Land: Das OFF Theater verwandelt geschriebene Schandtaten mit DER FLUCH VOM FISCHMARKT in knallige Gute-Laune-Abende.
Es gibt Sickerwitze, die Minuten, manchmal auch Stunden dauern. Und es gibt Sickerwitze, die ihre Pointe erst nach Wochen freigeben. Zum Beispiel dann, wenn sie sich in Titeln verbergen. DER FLUCH VOM FISCHMARKT ist so ein Fall. Selbstverständlich geht die latent durchgeknallte Produktion auf die Kappe des OFF Theater in Salzburg. Wer sonst könnte derart ungeniert ein OFF Special aus dem Boden stampfen, das zwischen Live-Lesung und improvisiertem Hörspiel oszilliert, penibel den Abstand wahrt und dabei noch dermaßen viel Lachen provoziert, dass sogar der Mundnasenschutz ins Rutschen gerät.
Genau diese Eigenschaften sind es, die den FLUCH VOM FISCHMARKT zum perfekten letzten Stück vor der vierwöchigen Theaterpause wider Willen prädestinierten. Einmal noch so richtig in die Vollen gehen. Oder in OFF Sprech: Ein Stück zum zweiten Lockdown produzieren, das aus der Not heraus während des ersten Lockdown entstand. Von daher auch FLUCH VOM FISCHMARKT. Wuhan verpflichtet. Ja, dauert, aber wenn der Witz ankommt, ist er großartig.
Das schlechteste Stück wird am OFF zum Renner
Für das neue Format darf sich ein Ensemblemitglied ein wirklich schlechtes Stück aussuchen und den Kolleg*innen zum Live-Performen anbieten. Das ist überraschend und amüsant, für alle Parteien. Denn niemand außer einer Person weiß, um welches Stück es sich handelt. An diesem Abend legte sich Thomas Pfertner für das schlechteste Stück ins Zeug. Ganze acht Mal quälte sich der Schauspieler laut eigenen Angaben durch das Manuskript. Die zwei Stunden Live-Lesung/Hörspiel vergehen zwar im Flug, aber man kann die Strapazen des Erstlesers nachfühlen. Zumal Thomas Pfertner ’seine‘ Produktion noch mit entsprechender akustischer Untermalung komplettierte. Von Nina Hagen bis Santiago über Udo Jürgens bis Tatort-Musik, alles dabei, was so ein Thriller Herz begehren könnte – oder eben auch nicht.
Tatsächlich erinnert der FLUCH VOM FISCHMARKT an einen herrlich trashigen B-Movie. Den muss man zwar nicht unbedingt mögen, gleichzeitig ist er so schlecht, dass er schon wieder Kultpotential besitzt. Die Story changiert zwischen wahr gewordenem „Traumschiff“ Albtraum, ein bisschen „Dirty Dancing“ (die Schumachers, dieses steinalte Gauner-Pärchen!), „Eine schrecklich nette Familie“ und sehr viele Alliterationen. Die Figurenliste ist ein wahres El Dorado der wiederholten Anfangsbuchstaben. Gleichzeitig hatte da offenbar auch wer ein Faible für sprechende Namen.
Kalauriger Clou: DER FLUCH VOM FISCHMARKT
Man kann es nicht beschönigen, der Plot des FLUCH VOM FISCHMARKT Opfers ist zum Haare Raufen. An dieser Stelle wäre Fremdschämen angebracht, aber stattdessen fließen Tränen: Lachtränen wohlgemerkt. Schuld daran ist das OFF Ensemble. Das nimmt sich selten bis nie ein Blatt vor den Mund. Noch weniger in Halloween-Stimmung. Stattdessen werden keine Strapazen gescheut, um das Unmögliche möglich zu machen und das unbekannte Stück spielbar zu spielen, während man sich selbst gleichzeitig über die Unspielbarkeit zerömmelt. Ein herrlich schizophrenes Treiben also. In das wird einiges investiert. Die einen laufen dafür in dialektale sächische Hochform auf, die anderen lassen mit ihren Proll-Ausbrüchen Al Bundy und die seinen vor Neid erblassen. Garniert wird das Ganze von einer sehr gelungene A capella Einlage, der auch ein Kerzenständer zum Opfer fällt.
Mit DER FLUCH VOM FISCHMARKT ist dem OFF Theater einmal mal mehr ein herrlich kalauriger Abend gelungen. Der erinnert bisweilen an ein unberechenbares Knallbonbon. Von dem gnach der kleinen Zwangspause bis Ende November hoffentlich mehr gibt. Denn – so viel steht fest – schlechte Stücke braucht das Land. Zumindest dann, wenn sie vom OFF Theater neu und vor allem live interpretiert werden. Und die Latte liegt nach diesem Abend hoch.
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