Walt Disney als kinskiesker Märchenvisionär
Wenn man aus dem Theater tritt und euphorisch „Und, wie fandest du den Film?“ ruft, dann muss es sich nicht zwangsweise um eine architektonische Umwidmung handeln: Die schauspielerische Uraufführung WALT! über den Kreator des Disney-Imperiums am Salzburger OFF Theater schlägt voll ein.
Walt Disney? Jeder kennt das hyperprominente US-amerikanische Medienunternehmen mit den zahllosen Trick- und Unterhaltungsfilm-Produktionen für Groß und Klein. Weniger bekannt hingegen ist die Story dahinter, die des Machers und Namenspaten Walter Elias Disney oder eben kurz Walt Disney. Dem schneiderte das Salzburger OFF Theater jetzt ein abwechslungsreiches Stück auf den Leib – mit WALT! wird Walt Disney zum Protagonisten seiner eigenen Geschichte (Text: Max Pfnür & Tom Pfertner, szenische Einrichtung: Alex Linse, Technik & Dramaturgie: Jonas Meyer-Wegener, Schneider: Abozar Hussaini).
In aller Plot-Kürze
In ärmlichen Verhältnissen auf einer Farm in Missouri aufgewachsen, schickte der Vater Walt Disney und seine Brüder früh arbeiten – um ihnen danach jeden Cent einzeln abzuknöpfen. Trotzdem fand Walt zu seiner Kreativität, die sich bei ihm vor allem über das Zeichnen ausdrückte, und entdeckte ein weiteres Faible, den Trickfilm. Bald musste Walt allerdings die Grenzen seines eigenen Talents erkennen und nutzte mit großem Erfolg das Potential anderer.
Cineastische Reminiszenzen
Dramen, Intrigen und noch mehr Dramen würzten den steinigen Erfolgsweg von Walt Disney, der sich vor allem durch seine Beharrlichkeit auszeichnete. Nie ließ er sich vom Weg abbringen, sondern spazierte hartnäckig weiter. Das OFF Theater Salzburg greift diesen Charakterzug auf, verharrt aber gleichzeitig nicht klischeebesetzt im zauberhaften Sagen-Glitzerland oder lässt sinnlos Feenstaub auf das staunende Publikum rieseln. Nein, stattdessen setzt die Produktion mit einer weißen ‚Leinenwand‘ und drei runden, verschiebbaren Podesten auf ein spartanisch-kreatives Ambiente, das zugleich eine Hommage an die Anfänge der (Zeichentrick)Filmindustrie symbolisiert – und aus Disneys cineastischer Ära sowie seinen Werken zitiert. Die Referenzen sind breit gestreut und bilden als Schattenspiel nicht nur das Intro zum Stück. Immer wieder versammeln sich Teile des Ensembles hinter der luftigen Wand, akzentuieren in Bewegter-Film-Optik signifikante Szenen oder verleihen ihnen gerade durch diesen speziellen Fokus Importanz. Aber auch vor dem Leinen wird auf Cineastik und ihre frühen Möglichkeiten gesetzt; zum einen durch akustische Zitate aus den Originalstreifen, zum anderen durch die Darsteller*innen selbst. Wunderbar der topographisch verzögerte Zweikampf zwischen Walt Disney (Max Pfnür) und Art Babbit (Tom Pfertner), der auch über die Distanz nicht an Schlagkraft einbüßt und von der Machart an das frühe zwanzigste Jahrhundert erinnert.
Der gar nicht so nette Onkel aus Hollywood
Die Liebe zum Detail ist der Produktion anzusehen und manifestiert sich unter anderem in der Akkuratesse, mit der die einzelnen Komponenten aufgegriffen und verarbeitet wurden. Ein Umstand, der sich auch in der Figurendarstellung spiegelt: Walt Disney ist kein Mensch, der klischeehaft als gütiger Märchenonkel verherrlicht oder als fieser Tyrann vorgeführt wird. Stattdessen liegt das Augenmerk auf den Nuancierungen dazwischen und siedelt sich irgendwo im relativ neutralen Mittel an – mit Hang zum Jähzorn. Max Pfnür zeigt einen sehr menschlich-nahbaren und charismatischen Walt, der sich ohne große Schamgefühle die Ideen anderer aneignet. Anfangs noch humorig, gut gelaunt und nur hin und wieder hustend, offenbart der amerikanische Filmemacher im Laufe des Stücks seine andere Seite, die von einem aufbrausenden Naturell zeugt und in ein Husten-Crescendo kulminiert – eine unaufdringliche Referenz an Walts Lungenkrankheit. Max Pfnür darf sich austoben und legt prompt einen kinskiesken Wutanfall hin; wie der berühmte Schauspieler brüllt dieser Disney seine Zeichner nieder und macht seiner Empörung so lautstark Luft, dass längst nicht nur Walts Angestellten die Ohren schlackern. Gleichzeitig wurde ein wenig am Antisemitismus-Rädchen gedreht und diverse Sager nur sehr wohldosiert eingesetzt (ok, konkret wurde nur einer gezählt). Entsprechend mehr Raum gewährt das kreative Team dann Walts kommunistischer Seite und bedenkt sie sogar mit einer Mini-Showeinlage.
Rollenbilder
Der charismatische Walt Disney genießt in WALT! naturgemäß Priorität, allerdings gilt: Immer auch dabei, Bruder und Geldgeber Roy. Tom Pfertner mimt Roy Disney wunderbar puritanisch und gibt humorige Szenen des amerikanischen Staubsaugervertreters zum Besten. Zu kreativen Höchstformen läuft er als begabter Zeichner Up Iwerks auf, wenn er nicht gerade als Art Babbit die Kollegen zum Aufstand motiviert; zwischen den Rollen zu springen ist bei WALT! genauso Programm wie die unzähligen Blacks zwischen den zahlreichen Mini-Szenen, die sich nach und nach zu einem homogenen Ganzen sammeln. Trotzdem geht noch mehr: Bei Bedarf wird Tom Pfertner auch zu einem kurzweiligen Salvador Dalí, mit rollendem R, irrem Blick und größenwahnsinnigen Ansichten. Ähnlich viele Rollen durchläuft Diana Paul, die als gütige Lillian Disney Micky Maus vor einem Schicksal als Mortimer Maus bewahrt. Kokett-chaotisch kichert sie als als Tommy, geschäftstüchtig als M. J. Winkler und fürsorglich als Hazel. Immer dazwischen, davor und danach: Die jungen Nachwuchs-Schauspieler*innen aus den Impro-Kursen des OFF Theaters; als Disney-Chor verleihen sie WALT! eine spezielle Note und ermöglichen die cineastischen Exkursionen. Einzelne übernehmen auch konkrete Rollen wie Paul Clementi, der als Jim Sherwood gemeinsam mit Walt Disney die Rahmenhandlung konstituiert. Auf seiner Reise trifft der hustende Unternehmer auf den motivierten Jungen und erzählt ihm in Etappen seine Geschichte. Die bildet, erraten, natürlich die Binnenhandlung. Gleichzeitig ermöglicht erst das äußere Konstrukt die tatsächlich sehr umfangreiche Vita von Walt Disney in ein lineares Theaterstück zu fassen, das auch konsistent an seinem roten Faden festhält. Und so gelingt das Unmögliche: Das verwirrende Material-Konvolut, diese (un)endliche Lebensgeschichte von Walt Disney (bei der Leserin im Vorfeld schon nach den ersten Absätzen mit schwirrendem Kopf kapitulierte), verwandelt sich in ein ansprechendes Theaterstück.
Happy Ever After… not
Und wenn sie nicht gestorben sind… Bei aller (bisweilen) brutalen Offenheit endet WALT! in höchstem Maße idyllisch. Oder eben fast. Eine strahlende Disneyland-Eröffnung und ein verklärtes „When You Wish Upon A Star“ aus Disneys „Pinocchio“ bilden das elysische Ende, das von einer Prinzessinnen-Inkarnation dargeboten wird. Zu kitschig, um wahr zu sein? Nicht ganz. Die Prinzessin tritt im schwarzen Märchenkleid auf und bemüht damit ein letztes Mal die düster, bittere Note, die bis heute den Mythos Walter Elias Disney umgibt; und bildet ein adäquates Ende.
Fotonachweis: OFF Theater Salzburg & Press-the-Button
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