RETURN TO SENDER.
Ben Pascal inszenierte mit dem Theater ecce sein eigenes Stück ALL INCLUSIVE an der ARGEkultur – und widmet sich mit erfrischender Direktheit einem gesellschaftlichen Tabuthema.
Eine hübsch gedeckte Tafel lädt zum Verweilen ein. Zumindest am Anfang von ALL INCLUSIVE, dem Stück des jungen Salzburger Autors und Theatermachers und Tänzers und sowieso Hans-Dampf-in-allen-Gassen Ben Pascal. 90 Minuten später ist das gleiche Setting ein einziger Trümmerhaufen – die Glasindustrie jubiliert (Bühne: Alois Ellmauer, Kostüme: Nora Fankhauser). Scherben bringen Glück? Das mag diskutabel sein, für Hanna, Samuel und Harald steht die Welt jedenfalls Kopf und auch das Publikum darf an den philosophischen Fragen knabbern, die ALL INCLUSIVE unverblümt in den Raum stellt. Wohl bekomms.
In aller Plot-Kürze
Harald trauert. Kürzlich verlor er seine Frau Sandra an Krebs. Zurück blieben er und der gemeinsame Sohn Samuel, der aber ein Handicap besitzt. Nein, keines vom Golfspielen, sondern ein anderes, das Downsyndrom. An diesem Abend hat Harald eine Bekannte der Familie eingeladen, Hanna. Sie reden über Sandra, über Haralds Pensionierung und über Samuel – die Unterhaltung plätschert zwischen melancholischen Trauergefilden und ambitionierten Karriereplänen dahin, mal mehr, mal wenig philosophisch bis Harald Hanna aus heiterem Himmel mit seinen Plänen konfrontiert. Sohn dankend erhalten, aber jetzt wird er zum Klotz am Bein, bitte zurück an den Absender.
Ja, darf man denn das eigentlich?
Das Theater ecce ist für seine integrativen Theaterstücke bekannt. Schauspieler*innen ohne Handicap spielen mit (Laien)Schauspieler*innen mit Handicap. Eine Situation, von der alle profitieren, auch das Publikum. Das zeigt sich bereits daran, dass ALL INCLUSIVE sich nicht vor dem Thema non grata scheut. Regretting motherhood? Bereits ein alter Hut. Ben Pascal stellt lieber die Frage, ob Angehörige von Menschen mit Behinderungen ein Leben lang diese Verantwortung tragen müssen oder ob sie sich nicht einfach davon lossagen können?! Wer zwingt sie dazu? Die Moral, die Gesellschaft und wo ist die Grenze? Anhand seiner Figuren betreibt der Regisseur paradigmatische Feldforschung. Dafür lässt er Harald (sehr gelungen Reinhardt Winter) als gebrochenen Hinterbliebenen auftreten. Geradezu lehrbuchhaft arbeitet der sich an der Trauer zu seiner toten Ehefrau ab und kümmert sich liebevoll um den Sohn. Sandra ist ein Platz an der Tafel gewidmet, der Sohn (Philipp Kieninger) spricht ein rührend naives Gebet, das mit schalkhaft herausgestreckter Zunge endet.
Tanz mir das Lied von der Angst
Umso stärker der Bruch, als Harald mit unerwarteter Härte Hanna in die Pflicht nimmt. Er habe seine Schuldigkeit getan, jetzt seien andere an der Reihe. Die intensive Anklage sitzt. Nicht nur Hanna (wunderbar Pia Kolb) lehnt bleich vor Schreck an der Wand. Auch das Publikum wirkt seltsam erstarrt ob des plötzlichen Stimmungswandels. Apropos Hanna: Die taffe, natürlich vegetarische Politikerin mit dem ausgeprägten Hang zum Gendern, die jede Situation unter Kontrolle hat, vollzieht eine elegante 380-Grad-Wendung – selbstverständlich genauso unerwartet. Der Plot-Twist schlägt ein und hinterlässt tiefen Eindruck. Dazwischen musikalische Sequenzen in anderem Licht. Das Stichwort für Hanna und Harald ihre Zweifel und Ängste performativ spazieren zu führen, während Samuel heiter den Taktstock schwingt. Dr. Freud und Co wären begeistert von dem absonderlichen Treiben, das zugleich seltsam berührt. Vielleicht, weil es einen Einblick in das unterdrückte Innerste der Figuren gewährt. Zugleich ist es das zeitgenössische Zeugnis einer modernen Inszenierungs-Handschrift, das mit dem musikalischen Repertoire harmoniert.
Friede, Freude, Erika
Härte kann auch Hanna. Pia Kolb lässt die resolute Politikerin die Sprossen ihrer Karriereleiter verteidigen, als gäbe es kein Morgen, während sie ihr Tun gleichzeitig genau damit ad absurdum führt. Rührend der Einblick auf die versteckte Seite von Hanna, die verletzliche. Wenn sie mit Samuel spricht, verändert sich ihr Wesen, fällt die Härte ab und weicht einer unerwarteten Milde. Dazwischen groovt Beata Milewska als Erika über die Bühne oder als „Eichhörnchen auf Speed“, wie es einst Travis so treffend auf den Punkt brachte. Humorig mimt sie die schwerhörige Haushälterin, die ihre Brokkoli-Suppe selbst in den höchsten Tönen lobt und für die Pfeffermühle auch gerne mal auf den Tisch springt. Der Sinn der Figur wird nicht greifbar, allerdings sorgt Erika für beste Unterhaltung und lockert die Handlung mit ihren Slapstick-Einlagen effektiv auf.
A star is born
Der heimliche Star des Abends ist selbstverständlich Samuel Darsteller Philipp Kieninger. Der Text sitzt – egal ob er sich als Super-Samuel zum Abendessen schwingt oder als Taucher mit Flossen über die Bühne tappst. Dazwischen kann er sich das eine oder andere Lachen nicht verkneifen und sorgt für die sehr menschliche ALL INCLUSIVE-Note. Am Schluss lässt Philipp Kieninger noch den Entertainer raus und verbeugt sich auf der inzwischen leeren Bühne munter weiter. „Ich liebe euch“, ruft er in die Menge und winkt fröhlich ins Publikum, das ihn stürmisch feiert.
Der letzte Satz von Ben Pascals Stück hängt nach und sei an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten. Erleichternd ist allerdings, dass selbst bei ALL INCLUSIVE das Thema non grata nicht in Zement gegossen scheint: Wenn man Haralds Argumentationsfaden weiterspinnt, dann weist dieser – dem Himmel sei’s getrommelt und gepfiffen – die eine oder andere Schwachstelle auf. So einfach kann der Vater den beeinträchtigen Sohn dann also doch nicht zurückschicken, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Die Entdröselung wäre ein weiteres Stück – ruft nach Fortsetzung, oder?! 😉
Fotonachweis: Remo Rauscher
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