HALBE WAHRHEITEN | kleines theater Salzburg

Halbe Wahrheiten – kleines theater Salzburg

DER RITT AUF DER HUMORKUGEL.

Caroline Richards Inszenierung HALBE WAHRHEITEN am kleines theater in Salzburg jongliert mit der Wahrheit wie andere mit Bällen (oder Fackeln oder Messer oder was man halt sonst noch so elegant durch die Luft schleudern kann). Unterhaltung pur!

Die Kunst des guten Redens ist die ars bene dicendi, also die Rhetorik. Noch kunstvoller erscheint allerdings die Disziplin der Lüge – oder mit anderen Worten formuliert, die ars bene dicendi so zu verdrehen, dass sie zwar nicht mehr der Wahrheit entspricht, sich aber verdammt selbstsicher danach anhört. Man könnte das dann auch ars trumpendi oder ars münchhausendi nennen. Die beiden haben die alternativen Fakten schließlich perfektioniert. Eine Kunstform aus der Faktenverdreherei machte aber auch Alan Ayckbourn. Er nannte das heitere Stück HALBE WAHRHEITEN und neuerdings ist die britische Farce auch im kleinen theater Salzburg zu sehen.

In aller Plot-Kürze

Eines morgen findet Gregor beim Aufwachen in der Wohnung seiner Freundin Ginny ein fremdes Paar Hausschuhe unter dem Bett. Auch sonst scheint ihm einiges merkwürdig im Leben seiner Liebsten. Ständig läutet ihr Handy und wenn er rangeht, herrscht Schweigen am anderen Ende. Ginny scheint außerdem Blumensträuße zu horten und selbst ihren Eltern will sie ihn nicht vorstellen. Grund genug, um skeptisch zu werden – und sich an Ginnys Fersen zu heften, als sie zu einem Wochenende in die Heimat aufbricht. Die entpuppen sich ebenfalls als relativ merkwürdig und das Fragezeichen über Gregors Kopf nimmt bedrohliche Ausmaße an.

Leading Men und Women

Dass es die Menschen mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau nehmen, ist altbekannt und dürfte in den Genen liegen (’surival of the fittest‘ und so). Alan Ayckbourns Farce HALBE WAHRHEITEN treibt dieses Laster allerdings auf die Spitze.HALBE WAHRHEITEN | kleines theater Salzburg Caroline Richards inszenierte dafür einen heiteren Rahmen, der nach anfänglicher Eingewöhnungsphase so richtig auf Touren kommt. Was davor noch leicht durchschaubar scheint, verwirrt sich zunehmend. Sonja Zobel schlüpft in die Hauptrolle von Ginny, die sich aber sehr schnell als eine von vier gleichberechtigten Leading-Parts entpuppt. Hier dominiert niemand. Wen das Scheinwerferlicht erwischt, der steht als Protagonist im Fokus und darf nach Herzenslust an der Wahrheit schrauben. In Ginnys Fall biegen sich die Balken, das Pokerface immer in treuherziger Position. Erst peu à peu bekommt die Flunker-Fassade Risse, der Einsturz wird mit dem Vorschlaghammer induziert.

Fettnäpfchen-Wetthüpfen

Macht Liebe blind? Gelegentlich. Das erklärt zumindest Gregors (Stefan Wunder) Engelsgeduld. Scheinbar naiv konfrontiert er die untreue Freundin mit den zahreichen Ominösitäten und schluckt jede Ausrede – die Betonung liegt auf scheinbar. Unaufdringlich lässt Stefan Wunders Figur in einzelnen Zwischentönen und feinen Nuancen anklingen, dass er vielleicht doch nicht ganz so unbedarft ist. Wunderbar auch das kunstvoll zelebrierte aneinander Vorbeireden der Figuren. Besonders in den Dialogen läuft die ars bene dicendi zur Hochform auf. Hier wird kein heiteres Fettnäpfchen verweigert, kein amüsantes Missverständnis ausgelassen – in locker leichtem Plauderton wähnt der Göttergatte die Affäre seiner Frau vor sich, der Schwiegersohn in spe den auffahrenden Schwiegervater und die treue Ehefrau lächelt nachsichtig, verständnisvoll und manchmal zu recht verwirrt.

Unerwartete Impro-Freuden

Mit Volker Wahl und Anita Köchl ist das ältere Ehepaar vorzüglich besetzt.HALBE WAHRHEITEN | kleines theater Salzburg Hier schenkt sich niemand etwas; er brummt missmutig seine Kommentare, sie schenkt fröhlich Kaffee nach und die gegenseitigen Anspielungen werden großzügig vom jeweils anderen ignoriert. Sogar ein Anflug von Improvisationstheater fließt an diesem Abend ein. Die lauten Volksmusiktöne aus der benachbarten Gastronomie kommentiert er nonchalant mit dem Musikgeschmack aus Nachbarsgarten. Sie schiebt einen humorigen Kommentar nach und das Publikum tost vor Lachen. Die Situationskomik kommt an und fügt sich nahtlos in den Farce-Charakter von HALBE WAHRHEITEN ein. Der wird auch durch die expressive Mimik und das lautstarke Gebrüll der Neo-Eltern weiter ausgebaut.

Die reine Wahrheit

Die Kulisse beschwört ein Österreich-Idyll, dass in Wien vielleicht noch altmodisch anmutet, spätestens in St. Gilgen aber ans Weiße Rössl erinnert (Ausstattung: Vasitti Magnus). Oberkellner Leoppold gibt es natürlich keinen – schließlich sind wir nicht in St. Wolfgang – und auch auf die Rössl-Wirtin wartet man vergebens, der humorige Zugang ist aber beiden Inszenierungen gemein.

Was anfänglich erst nach kurzem Zögern ins Rollen kommt und kurz darauf volle Fahrt aufnimmt, explodiert am Schluss – selbstverständlich humortechnisch. Die Pointe wirft geglaubte Strukturen über den Haufen. Zurück bleibt ein staunendes Publikum. So soll Komödie ein, so lässt sich Farce wunderbar an: HALBE WAHRHEITEN jongliert mit der Wirklichkeit wie andere mit Bällen (oder Fackeln oder Messer oder was man halt noch so elegant durch die Luft schleudern kann) und das hat sehr vergnügliche Konsequenzen.

 

Fotonachweis: Christian Streili

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