Die Hauptstadt | Schauspielhaus Salzburg

Die Hauptstadt – Schauspielhaus Salzburg

KEEP CALM AND LOVE PIGS.

Auf Salzburgs Bühnen sind die rosa Vierbeiner los: Jetzt premierte das possierliche Tierchen mit Maya Fankes Inszenierung DIE HAUPTSTADT auch am Schauspielhaus Salzburg in gar nicht so rosarotem Idyll.

United we stand. Selten zerbrach sich im Vorfeld das Publikum so unisono den Kopf über die erste Szene wie in Maya Fankes Inszenierung DIE HAUPTSTADT von Robert Menasse. Wer jetzt berechtigterweise einwirft: Woher will sie wissen, was die anderen denken? Tja, ich sitze zwar nicht in ihren Köpfen, aber zumindest in Hörweite einiger davon. Soll heißen, die Gesprächsthemen vor dem Stück waren klar definiert: Schwein oder Nicht-Schwein, das ist hier die Frage!

In aller Plot-Kürze

Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schweren Aufgabe. Sie soll das Image der Institution aufpolieren und beauftragt den Referenten Martin Susman. Seine Idee nimmt eine geisterhafte Gestalt an, die für Unruhe in den EU-Reihen sorgt. Kommissar Brunfaut hat es kaum leichter. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen. Und Alois Erhart? Der Wiener Emeritus der Volkswirtschaft soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.

Jööö, schau, ein Mangalitza

Biologisch kategorisiert, führt Maya Fankes Regiewerk DIE HAUPTSTADT ihre eigene Figur obsolet (Dramaturgie: Theresa Taudes). Die Hauptstadt | Schauspielhaus SalzburgVon wegen rosarotes Hausschwein, wie es unter der tierischen Maske hervortönt. Nein, es ist ein Mangalitza, dass durch die Kulisse stromert – ziemlich robust und sehr, sehr dunkel. Die Wahl regt zum Grübeln an. Vielleicht steht die düstere, an eine Orwell’sche Dystopie gemahnende Maske für die finsteren Aussichten, die die Regisseurin ihrer Zeit konstatiert – wer Augen auf dem Schweinskopf sucht, findet seltsame Vernarbungen und auch die Ohren sind alles, definitiv aber nicht possierlich. Dass das zielstrebige Tier Teilzeit mässig in die Metaebene wechselt und als narrative Überfigur die Gedanken und Meinungen der Menschen in Agenten-Attitüde verkündet (Arp, Ulrike Arp – in unparteiisch dozierender Mission), ist eine erfrischende Interpretation.

Die Stunde der 3. Person

Dramatisierungen von Literatur sind genau das – Literatur nämlich und keine Theaterstücke. Für DIE HAUPTSTADT löste man das Problem mit der Perspektive auf interessante Weise: Zuerst ist da das Schwein, das alle Wege kreuzt – nach und nach trudelt das Ensemble ein und stellt sich selbst vor. Lang lebe die dritte Person! Introspektive wechselt mit direkter Rede, dass einer ganz wuschig werden möchte. Wird es dann aber doch nicht, dafür ist das grammatikalische Bäumchen-wechsel-dich!-Spiel zu spannend. Tatsächlich scheint es hilfreich, spätestens an dieser Stelle gedanklich mobil zu werden. Das trainiert nicht nur die grauen Zellen, sondern ist auch die einzige Möglichkeit, bei dem verästelten Plot den Anschluss zu wahren. Es folgt die große Stunde der düsteren Sau – sie wird zur Zeremonien-Meisterin und offeriert die Innenschau der Figuren auf dem Silbertablett. Die Hauptstadt | Schauspielhaus SalzburgBis kurz vor Schluss. Erneuter Wechsel, alles auf Anfang.

DIE HAUPTSTADT: Karriere, Karriere, Karriere

Düster ist nicht nur das Schwein, sondern auch das Bühnenbild (Ausstattung & Video: Martin Hickmann, Licht: Marcel Busa). Maya Fanke scheint ein Faible für Purismus und stählerne Gerüste zu hegen – beides war auch schon in ihren früheren Inszenierungen am Schauspielhaus gegenwärtig (DANTONS TOD, DIE RÄUBER). Das ist praktisch, so fern noch irgendwo lagernd, und erlebt in DIE HAUPTSTADT ein eisernes Revival. EU-Büros werden zu symbolischen Käfigen. Zu den unterschiedlichsten musikalischen Arrangements der „Europahymne“ – einmal klassisch piano, einmal elektronisch temporeich – entwickelt sich der verästelte Plot. Das Ensemble ist in schlichte, verbeamtete Uniformen gekleidet; farblich auf Grün-, Gelb- oder Schwarz- und Blautöne reduziert, gilt auch hier die Maxime: bitte dezent, aber effizient. In dieser Effektivität blüht auch Fenia Xenopoulou sichtlich auf (Christiane Warnecke als zypriotische Powerfrau in einer Männerdomäne). Ambitioniert will sie vom tristen Kultur-Dasein in die Wirtschaft wechseln – alle Mitteln sind recht, auch wenn sie rückfeuern. Ellenbogen first!

Nationalismus und Wutreden

Kai-Uwe Frigge (Bülent Özdil moralisch flexibel) soll die Karriere von Xenia beflügeln. Die Hauptstadt | Schauspielhaus SalzburgGleichzeitig ist da auch Martin Susmann – den Theo Helm mit einer großen Portion philosophischer Melancholie ausstattet. Immer wieder unterstützt von Bohumil Szmekal (Antony Connor ganz europäischer Patriot), den andere Probleme plagen – bekommt der Pole doch einen Rechten als Schwager vorgesetzt. Währenddessen schüttelt Susmann akrobatische Einlage aus den Ärmeln und Hosenbeinen. Grenzenlose Melancholie beherrscht Marcus Marottes Professor Alois Erhart. Verloren und einsam pilgert er durch das Bühnenbild. Immer wieder erinnert sich Erhart an Trudi, seine verstorbene Frau. Ein rührendes Bild, das noch trauriger enden könnte. Stattdessen folgt der Wendepunkt – die Gefühle invertieren ins Gegenteil. Der Professor hält eine flammende Wut-Rede, die nicht nur ihn erstaunt. Olaf Salzers hyperaktiver António Oliveira Pinto – ein bisschen Hipster, ein bisschen Künstler – lässt sie vor Schreck erstarren und enttarnt Dauer-Gute-Laune als Maskerade.

Zeit ist Geld

Etwas seltsam muten die drei Gesetzesvertreter an – das heißt, nicht die Figuren an sich, sondern ihre Ausstattung. Kommissar Émile Brunfaut (Harald Fröhlich) wird zum schiefen Kasten. Was auch immer der Schauspieler unter dem Mantel trägt, es beult ihn ungleichmäßig aus. Den undurchsichtigen Staatsanwalt (Olaf Salzer) ziert ein überdimensionaler Bauch, dem ein improvisierter Ausstattungs-Charakter anzumerken ist, und Hauptkommissar Maigret (Simon Jaritz) tummelt sich mit entsprechender Kostümkreuzung zwischen den Beiden. Humorig die Szene, als er sich sprichwörtlich dazwischen drängt. Die Hauptstadt | Schauspielhaus SalzburgDer Ausstattungssinn erschließt sich trotzdem nicht; vielleicht ein Versuch von Slapstick? Da dürfen auch Verschwörungs-Elemente nicht fehlen – „Illuminati“ und „Sakrileg“ war gestern. Menasse dringt selbstsicher in Dan Browns Revier vor, Fanke bekräftigt die Richtung.

Die große Verschwörung

In DIE HAUPTSTADT lautet das Zauberwort: katholischer Terrorismus. Tatsächlich. Dan Brown-Fans jubilieren und der Rest schmunzelt. In Menasses Stück machen Nato und Vatikan jetzt also gemeinsame Sache. Schließlich, wie Bülent Özdil als ungepflegter IT-Nerd treffsicher folgert, hat diese Gruppierung in jedem Kaff zumindest einen Spitzel sitzen – überall gibt es Kirchen. Eine ambitionierte These, für die das Stück mit Matek bereits emsig Vorarbeit leistet (Simon Jaritz als undurchsichtiger Auftragskiller mit stereotypem Hoodie und einer Sonnenbrille, die schon wieder einen – intendierten? – Comedy-Charakter birgt). Die Hauptstadt | Schauspielhaus SalzburgIst Matek zuerst nur ein ominöser Mörder, entpuppt sich die Figur immer stärker als religiöser Fanatiker. Der wahlweise übrigens auch zu Susmanns Bruder Florian oszilliert und fröhlich-einfach in breitem Wiener Dialekt über Schweinezucht und die EU doziert.

Der Mann vom Band

Der Ausschwitz-Überlebende David de Vriend ist nur als Video-Projektion gegenwärtig – mit manchmal anatomisch seltsam anmutenden Gliedmaßen. Julia Gschnitzer spricht ihn vom Band ein. Vielleicht aus Respekt vor den tatsächlichen Shoa-Überlebenden, vielleicht aber auch (profaner gedacht) um die Grande Dame der heimischen Schauspielzunft nicht all abendlich ins Theater bemühen zu müssen. Julia Gschnitzer verleiht de Vriend so oder so eine würdige und feierliche Präsenz, die die Zerbrechlichkeit der Figur akzentuiert.

Aktuelles Zeitgeschehen in Form zu pressen, benötigt genau das – nämlich Zeit. Brexit, Terroranschläge, Flüchtlingskrise und Co fordern Raum, der sich in generöser Spiellänge äußert. Für eine noch aktuellere Inszenierung sorgt ein (zufälliges) Update. Gelbwesten? Gab es zur Geburtsstunde des Romans zwar noch nicht. Im Theaterstück sind sie aber als Gelbmänner mit tüten-beflaggten Köpfen der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten sehr präsent. Und Großbritannien wird als zerknüllte Tüte lieblos getreten. United we stand, divided we fall.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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