FRAUENPOWER FÜR DEN WIENER WALD.
Patriarchat, Misogynie und Deutschtümelei: GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD gibt sich im Salzburger Landestheater böse, tragisch und gleichzeitig erstaunlich harmonisch – eine massenkompatible Inszenierung.
Ein echter Wiener geht nicht unter. Er gibt lieber der echten Wienerin die Schuld an seiner Misere und tritt noch einmal kräftig hinterher. GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD stellt keine Ausnahme dar. Was vordergründig so idyllisch daherkommt, ist ein Volksstück von Ödön von Horváth – und damit steht fest, Idylle? Sicher nicht. Für die Horváth’sche „Demaskierung des Bewusstseins“ ließ Carl Philip von Maldeghem (Inszenierung) einen besonderen Rahmen schaffen. Die Bühne (Stephanie Seitz) erinnert mit ihren gekachelten weißen Wänden an einen Schlachtraum – halbiertes Schwein, Skelett und Lotto-Tafel baumeln als Chiffren für Fleischhauerei, Spielwaren-Laden und Trafik vom Bühnenhimmel. Das große Schlachten findet aber nicht nur hinter verschlossenen Türen statt; während es Sau Susi im Off an den Kragen geht, wird Marianne (Nikola Rudle) einen Abend lang auf der Bühne der Gar ausgemacht.
In aller Plot-Kürze
Im 8. Wiener Gemeindebezirk ist die Welt noch in Ordnung. Der Spielwaren-„Zauberkönig“ verlobt seine Tochter Marianne mit dem angesehenen Fleischhauer Oskar. Daneben residiert die selbstbewusste Trafikantin Valerie. Doch dann trifft Marianne auf Alfred, den Ex von Valerie. Sie verliebt sich, schießt Oskar in den Wind und wird vom Vater verstoßen. Ein Kind lässt nicht lange auf sich warten. Alfred wird immer unzufriedener, Baby Leopold kommt zur Großmutter in die Wachau. Es hilft allerdings alles nichts, Alfred lässt Marianne sitzen. Die verdingt sich inzwischen als ‚Tänzerin‘ im Maxim und landet wenig später im Zuchthaus. Valerie will Vater und Tochter wieder versöhnen, das Kind stirbt und der Weg für Oskar scheint frei.
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD: Milieu-Reigen
Das eigentliche Geschehen findet bei GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD auf sprachlicher Ebene statt. Ödön von Horváth schuf aus der Zersetzung von Dialekten einen Bildungsjargon, den er dem Kleinbürgertum in den Mund legte. Genau diese Sprachlichkeit rückt auch Carl Philip von Maldeghem in den Fokus und bietet alles an Dialekt-Natives auf, was das Ensemble so hergibt. Jeder darf ungeniert dem Wiener Regiolekt frönen und das kommt merklich an. Die Pointen, die eigentlich wahlweise bitterböse oder todtraurig und in jedem Fall misogyn sind, entwickeln ein frivoles Eigenleben. Das Lachen sprudelt, der schale Nachgeschmack stellt sich ebenso zuverlässig ein und die oberflächliche Leichtigkeit entpuppt sich als erstaunlich schwer.
Ein Wiener Mädel am Abgrund
Marianne (Nikola Rudle) ist ein typisches Wiener Mädel. Ihre Fröhlichkeit wohnt allerdings von Anfang an eine gewisse Resigniertheit inne, die wenig verwunderlich scheint. Das Publikum wird gleich in den ersten Szenen Zeuge von den frauenfeindlichen Derbheiten des Vaters, so eine Sozialisierung hinterlässt Spuren (Walter Sachers als wunderbar patriarchalischer, übellauniger Zauberkönig). Gelungen die Szene, als sich Bald-Verlobter Oskar (Christoph Wieschke) einen Kuss erbittet und Marianne ‚versehentlich‘ beißt. Erste sadomasochistische Züge werden an der Figur deutlich, die sich steigern, wenn Oskar den Tod von Mariannes Kind herbeisehnt. Diese unterschwellige Gewaltbereitschaft steht in spannender Korrelation zu Oskars zurückhaltendem Naturell. Die Verbitterung gelingt Nikola Rudle überzeugend, wenn sie reduziert, aber voller ernüchteter Emotion in den Raum wirft, nicht mehr geschlagen werden zu wollen.
Gebenedeit unter den Frauen
Liebliche Walzerklänge verstärken das angebliche Idyll und führen es obsolet. Das ist auch die Intention der Großmutter (Janina Raspe), die immer häufiger und immer ausgeprägter an eine Marienallegorie erinnert. Alleine, heilig ist hier niemand mehr. Garstig und böse stößt die zwischen Resolutheit und Gebrechlichkeit schwankende Großmama wüste Beschimpfungen aus und stellt die Weichen für den Tod des Säuglings. Diese Verderbtheit macht durchaus Sinn und Janina Raspe schreit sich dafür auch die Seele aus dem Leib. Die Allegorie mit der Jungfrau Maria bleibt allerdings im Dunkeln und scheint redundant, zumal hier ein patriarchalisches System vorgeführt wird. An Erklärbarkeit mangelt es auch so manchem Dialektversuch. Havlitschek (Tim Oberließen) macht sich vorzüglich als Oskars prolliger Metzgerei-Gehilfe, der auf wunderbar degoutante Weise Wurst konsumiert und das Corpus Delicti als Phallus-Symbol durch die Gegend schwingt; gleichzeitig ist seine sprachliche Verortung nicht klar definierbar und oszilliert zwischen östlicher Färbung und Hang zu deutscher Varietät.
Deutschtümelei
Als tatsächlicher deutscher Student Erich geißelt sich Gregor Schulz gerne und sehr euphorisch selbst. Schneidig schlägt er die Hacken zusammen, marschiert als Ein-Mann-Regiment über die Bühne und schwingt deutschtümelnde Reden, dass dem Publikum die Ohren schlackern. Bei so einer Heil-Gelegenheit reagiert der inzwischen in Lederhosen und rot kariertem Hemd steckende Havlitschek mit einem, wenn nicht alles trügt, enthusiastischen „Hulapalu“. Eine subtile Anspielung auf einen bestimmten Sänger, dem trotz Nähe zum rechten Eck in Kürze der Karl Valentin Preis verliehen werden soll? Falls ja, Chapeau, eine gelungene Distanzierung. Falls nein, ein amüsanter ‚Freud’scher-Verhörer‘. Den Draufgänger Alfred – der stellenweise an Mackie Messer erinnert – beherrscht Sascha Oskar Weis selbstverständlich aus dem Effeff; alles andere wäre für den Parade-Wiener auch verwunderlich gewesen. Britta Bayers Valerie pendelt zwischen Hysterie und Mannstollheit, muss einmal blank ziehen und zeigt sich am Ende erstaunlich versöhnlich.
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD ist eine massenkompatible Inszenierung, die so harmonisch aufbereitet wurde, dass sich niemand daran stoßen wird – die zeitgenössischer Kostüme tun das ihrige für den einfachen, aber effektiven Gegenwartsbezug.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
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