Lagerkoller in den Kammerspielen.
Emotion und Semantik stehen bei EINE NACHT IM THEATER: EIN KARL-VALENTIN-ABEND in den Kammerspielen Kopf – genau damit tritt das Stück in die großen Fußstapfen des berühmten Komikers und Autors. Eine liebevolle Hommage.
„Wenn ich einmal Herrgott wär…“, philosophiert ein Karl Valentin nach dem anderen. Ganze vier Mal steht der berühmte Humorist, Komiker und Stückeschreiber an diesem Abend auf der Bühne der Kammerspiele. Selbstverständlich in Vertretung von Schauspielern, alles andere wäre biologisch ein Ding der Unmöglichkeit. Karl Valentin erging es ähnlich wie Ödön von Horváth – er legte einen ziemlich dramatischen und absolut bühnenreifen Abgang hin. Während Horváth von einem zufällig herabstürzenden Ast auf der Champs-Élysées erschlagen wurde, hatte Valentin das Pech, eines Abends im Theater eingeschlossen zu werden. Der unterernährte Künstler erkältete sich dabei so schwer, dass er wenig später an einer Lungenentzündung starb.
Liebevolle Hommage
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen? Mit Spott hat diese NACHT IM THEATER: EIN KARL-VALENTIN-ABEND tatsächlich wenig gemein; gelacht wird zwar viel und gerne, das liegt aber am Potpourri aus Originaltexten von Karl Valentin und ihm nachempfundenen Ergänzungen aus der Feder Alessandro Visentins (Regie). Das Ergebnis ist eine liebevolle Hommage an den berühmten Bayern, der sein Comeback erst posthum in den Sechziger Jahren erfuhr. Nicht immer greifen bei EINE NACHT IM THEATER Rahmenhandlung und Valentin-Texte leise und glatt ineinander. Mitunter verlaufen die Übergänge etwas holprig; je länger das Spiel allerdings währt, desto deutlicher wird das Regiekonzept. Zeitkritik und Lebensumstände Karl Valentins wurden in einen Abend gepackt, der sehr kurzweilig ausfällt und gleichzeitig ein Best-of an Kalauern und Pointen darstellt.
Ebenen-Spagat
Das Schauspiel-Quartett funktioniert genau wie Rahmen- und Binnenhandlung auf zwei Ebenen. Zum einen sind Britta Bayer, Jakob Egger, Nikola Jaritz-Rudle und Walter Sachers in den Rollen von vier Schauspieler*innen zufällig nach der Vorstellung im Theater eingesperrt und in jeweils zwei Pärchen unterteilt. Das ist praktisch, weil es sehr viel Raum für Beziehungskisten und interne Kabbeleien der Rahmenhandlung öffnet. Gleichzeitig sind alle vier Schauspieler*innen aber auch Karl Valentin. Dadurch wird die Handlung auf eine spannende Ebene gehoben. Denn in dieser Auslegung ist es tatsächlich Karl Valentin, der mit sich selbst konfrontiert diese eine fatale Nacht im Theater erlebt. Und tatsächlich folgen immer wieder kleine und größere Anspielungen, um den Eindruck zu verstärken. Den Hunger thematisiert das Stück genauso konsequent wie die Kälte, die die spätere Lungenentzündung des Komikers auslöst. Zu fortgeschrittener Stunde fassen sich die Karl Valentins deshalb auch unisono an den Hals und husten gequält.
Klagelied einer Wirtshaussemmel
Auch wenn EINE NACHT IM THEATER: EIN KARL-VALENTIN-ABEND die Lebensumstände des berühmten deutschen Komikers spiegelt, die Texte sind die eigentlichen Stars des Abends. Sehr gelungen und mit viel Hingabe inszeniert, das „Klagelied einer Wirtshaussemmel“. Dafür legen sich Nikola Jaritz-Rudle, Walter Sachers und Jakob Egger so richtig ins Zeug. Tatsächlich kann so eine Semmel nicht jeder tragen und dann sogar noch mit Choreografie, die einen Hauch von Musical-Persiflage birgt. Britta Bayer ergänzt das illustre desillusionierte Trio als nicht minder abgeschlagene Hausbrotscheibe (Bühne & Kostüme: Eva Musil). Wunderbar ihre Euphorie, als sie etwas später den anderen Valentins mit glänzenden Augen von ihrem Masterplan erzählt, der ATBPF. ATBPF was? Eine Abbreviatur für Allgemeine Theaterbesuchspflicht. Die macht Sinn, schließlich, so schlussfolgert Bayers Valentin messerscharf, wenn jede Bürger auf Staatskosten zum Theaterbesuch verpflichtet wäre, wäre kein Theater mehr leer und keine Schauspieler arbeitslos. Nikola Jaritz-Rudles Valentin springt ihr euphorisch zur Seite und man sieht die DM-Zeichen im Kopf rattern.
Sprachjonglage und Wortwitz
Das Ensemble schwelgt im Sprachwitz von Karl Valentin, der die Komik aus dem Funktionieren und Nicht-Funktionieren der Sprache erzeugte. So bewerfen sich Nikola Jaritz-Rudle und Jakob Egger eingangs mit Nettigkeiten, während sich der Tonfall allmählich zur aggressiven Hysterie hochschwingt. Emotion und Semantik stehen Kopf, genau das konstituiert den Reiz der Szene und führt zum Innehalten und Grübeln, was denn jetzt hier genau nicht stimme. Wenn Jakob Eggers an späterer Stelle als euphorischer, wohlerzogener Teufel mit besten Manieren von der Hölle schwärmt und in Tupper-Verkäufer-Art demonstriert, wie der Mensch nach seinem Ableben zu einem Abgesandten Beelzebubs wird, dann ist das hochgradig amüsant. Vor allem, weil ihm schließlich selbst Bedenken zwecks Überbevölkerung da unten kommen. Da ist es aber schon zu spät, die potentiellen Höllen-Anwärter sind Feuer und Flamme, da hilft nur Flucht nach vorne – mit einer Neuinterpretation von „Oh Tannenbaum“ auf den Lippen.
Das zehnte Bundesland
Ebenfalls sehr gelungen, die Verzweiflung von Walter Sachers Buchbinder Wanninger. Vergeblich versucht der Buchbinder zu erfahren, ob er die Rechnung für seinen Auftrag gleich beilegen soll. Er wird intern einfach immer weiter verbunden. Anfangs eloquent und gut gelaunt, später immer verdrießlicher stellt er die immer gleiche Frage in leicht abgeänderter Form. Am Ende knurrt er ein empörtes, „Saubande, dreckade!“. Den bairischen Dialekt sind alle bemüht, an diesem Abend einzufangen. Bei den Nicht-Natives kann da auch schon österreichisches Sprachkolorit durchblitzen. Das macht aber nichts, Bayern gilt inoffiziell hierzulande ohnehin als das zehntes Bundesland.
Was wäre also, wenn Karl Valentin tatsächlich einmal Herrgott wär? Der Ratschlag, den das Couplet gibt, mutet mit Krieg und Klimakrise nur auf den ersten Blick dystopisch und futuristisch an. Auf den zweiten fügt es sich sehr homogen in den aktuellen Zeitkontext ein. Wer weiß, vielleicht ist er es also schon längst…
„Ja, lieber Herrgott, tu das doch / Du hast die Macht in Händen / Du könntest diesen Wirrwarr doch / Mit einem Schlag beenden. / Die Welt, die Du erschaffen hast / Die sollst du auch regieren! / Wenn Du die Menschheit nicht ersäufst / Dann laß sie halt erfrieren.“
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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